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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836.

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Buch VII. Kap. 1. Fortschritte
den Gräbern herausgeworfen: 1611 zerstörte man die Kirche
der Protestanten in Wilna, mißhandelte oder tödtete ihre
Priester: 1615 erschien in Posen ein Buch, daß die Evan-
gelischen kein Recht hätten in dieser Stadt zu wohnen, im
nächsten Jahre zerstörten die Jesuitenschüler die böhmische
Kirche, so daß kein Stein auf dem andern blieb: die luthe-
rische Kirche ward verbrannt. So ging es an vielen andern
Orten: hie und da wurden die Protestanten durch die steten
Angriffe genöthigt ihre Kirchen zu veräußern. Bald begnügte
man sich nicht mehr mit den Städten: die Krakauer Stu-
denten verbrannten die benachbarten Kirchen auf dem Lande.
In Podlachien ging ein alter evangelischer Pfarrer, des Na-
mens Barkow, auf seinen Stab gestützt vor seinem Wa-
gen daher: ein polnischer Edelmann, der von der andern
Seite denselben Weg kam, befahl seinem Kutscher die
Pferde geradezu auf ihn loszutreiben: ehe der alte Mann
noch ausweichen konnte, war er schon überfahren: er starb
an seinen Wunden 1).

Mit alle dem konnte aber doch der Protestantismus
nicht unterdrückt werden. Der König war durch ein Ver-
sprechen gebunden, das er nicht die Macht hatte zurückzu-
nehmen. Für sich selbst blieben die Herrn doch ungezwun-
gen, und nicht alle traten sofort über. Zuweilen wurde
nach vielen ungünstigen auch ein günstiges Urtheil ausge-
bracht, und eine oder die andere Kirche wiederhergestellt.
In den polnisch-preußischen Städten bildeten die Protestan-
ten immer die Majorität. Noch viel weniger waren die

1) Wengerscii Slavonia reformata p. 224. 232. 236. 244
247.

Buch VII. Kap. 1. Fortſchritte
den Graͤbern herausgeworfen: 1611 zerſtoͤrte man die Kirche
der Proteſtanten in Wilna, mißhandelte oder toͤdtete ihre
Prieſter: 1615 erſchien in Poſen ein Buch, daß die Evan-
geliſchen kein Recht haͤtten in dieſer Stadt zu wohnen, im
naͤchſten Jahre zerſtoͤrten die Jeſuitenſchuͤler die boͤhmiſche
Kirche, ſo daß kein Stein auf dem andern blieb: die luthe-
riſche Kirche ward verbrannt. So ging es an vielen andern
Orten: hie und da wurden die Proteſtanten durch die ſteten
Angriffe genoͤthigt ihre Kirchen zu veraͤußern. Bald begnuͤgte
man ſich nicht mehr mit den Staͤdten: die Krakauer Stu-
denten verbrannten die benachbarten Kirchen auf dem Lande.
In Podlachien ging ein alter evangeliſcher Pfarrer, des Na-
mens Barkow, auf ſeinen Stab geſtuͤtzt vor ſeinem Wa-
gen daher: ein polniſcher Edelmann, der von der andern
Seite denſelben Weg kam, befahl ſeinem Kutſcher die
Pferde geradezu auf ihn loszutreiben: ehe der alte Mann
noch ausweichen konnte, war er ſchon uͤberfahren: er ſtarb
an ſeinen Wunden 1).

Mit alle dem konnte aber doch der Proteſtantismus
nicht unterdruͤckt werden. Der Koͤnig war durch ein Ver-
ſprechen gebunden, das er nicht die Macht hatte zuruͤckzu-
nehmen. Fuͤr ſich ſelbſt blieben die Herrn doch ungezwun-
gen, und nicht alle traten ſofort uͤber. Zuweilen wurde
nach vielen unguͤnſtigen auch ein guͤnſtiges Urtheil ausge-
bracht, und eine oder die andere Kirche wiederhergeſtellt.
In den polniſch-preußiſchen Staͤdten bildeten die Proteſtan-
ten immer die Majoritaͤt. Noch viel weniger waren die

1) Wengerscii Slavonia reformata p. 224. 232. 236. 244
247.
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[398/0410] Buch VII. Kap. 1. Fortſchritte den Graͤbern herausgeworfen: 1611 zerſtoͤrte man die Kirche der Proteſtanten in Wilna, mißhandelte oder toͤdtete ihre Prieſter: 1615 erſchien in Poſen ein Buch, daß die Evan- geliſchen kein Recht haͤtten in dieſer Stadt zu wohnen, im naͤchſten Jahre zerſtoͤrten die Jeſuitenſchuͤler die boͤhmiſche Kirche, ſo daß kein Stein auf dem andern blieb: die luthe- riſche Kirche ward verbrannt. So ging es an vielen andern Orten: hie und da wurden die Proteſtanten durch die ſteten Angriffe genoͤthigt ihre Kirchen zu veraͤußern. Bald begnuͤgte man ſich nicht mehr mit den Staͤdten: die Krakauer Stu- denten verbrannten die benachbarten Kirchen auf dem Lande. In Podlachien ging ein alter evangeliſcher Pfarrer, des Na- mens Barkow, auf ſeinen Stab geſtuͤtzt vor ſeinem Wa- gen daher: ein polniſcher Edelmann, der von der andern Seite denſelben Weg kam, befahl ſeinem Kutſcher die Pferde geradezu auf ihn loszutreiben: ehe der alte Mann noch ausweichen konnte, war er ſchon uͤberfahren: er ſtarb an ſeinen Wunden 1). Mit alle dem konnte aber doch der Proteſtantismus nicht unterdruͤckt werden. Der Koͤnig war durch ein Ver- ſprechen gebunden, das er nicht die Macht hatte zuruͤckzu- nehmen. Fuͤr ſich ſelbſt blieben die Herrn doch ungezwun- gen, und nicht alle traten ſofort uͤber. Zuweilen wurde nach vielen unguͤnſtigen auch ein guͤnſtiges Urtheil ausge- bracht, und eine oder die andere Kirche wiederhergeſtellt. In den polniſch-preußiſchen Staͤdten bildeten die Proteſtan- ten immer die Majoritaͤt. Noch viel weniger waren die 1) Wengerscii Slavonia reformata p. 224. 232. 236. 244 247.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/410>, abgerufen am 28.03.2024.