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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Einleitung.
deutung seiner Würde konnte er doch nie völlig erfüllen.
Wie contrastirt mit der Ruhe und Selbstgenügsamkeit des
Reiches das Carl der Große beherrschte, dieß ewige Hin
und Wiederfluthen entgegengesetzter Parteien, dieß stete Sich-
aufrichten widerspenstiger Gewalten! es gehörte eine Kraft
und Mannhaftigkeit ohne Gleichen dazu, sich zu behaupten!

Es war ein Weltereigniß, daß in dieser Lage der
Dinge der Fürst der diese Kraft wohl besaß, Heinrich III,
in frühen Jahren verstarb (1056) und ein sechsjähriger
Knabe, in dessen Namen aber zunächst eine schwankende
vormundschaftliche Regierung seinen Platz einnahm.

Emancipation des Papstthums.

Da begannen die Ideen, welche im 9ten Jahrhundert
zurückgedrängt worden, sich aufs neue zu erheben und zwar,
da die Geistlichkeit jetzt nach unten hin um so viel mäch-
tiger geworden, mit verdoppelter Kraft.

Überhaupt sind dieß die Zeiten, in welchen sich die
geistlichen Gewalten in aller Welt auszubilden begannen,
in welchen das menschliche Geschlecht in diesen Formen
des Daseyns Befriedigung fand. In dem elften Jahrhun-
dert ward der Buddhaismus in Tibet wiederhergestellt,
und durch den Lama Dschu-Adhischa die Hierarchie er-
richtet, die noch bis auf den heutigen Tag einen so gro-
ßen Theil von Hinterasien umfaßt. Das Chalifat von Bag-
dad, früher ein weltumfassendes Kaiserthum, bildete sich
damals zu einer geistlichen Autorität um, welcher eben
deshalb eine um so unumwundnere freiwillige Anerkennung

Einleitung.
deutung ſeiner Würde konnte er doch nie völlig erfüllen.
Wie contraſtirt mit der Ruhe und Selbſtgenügſamkeit des
Reiches das Carl der Große beherrſchte, dieß ewige Hin
und Wiederfluthen entgegengeſetzter Parteien, dieß ſtete Sich-
aufrichten widerſpenſtiger Gewalten! es gehörte eine Kraft
und Mannhaftigkeit ohne Gleichen dazu, ſich zu behaupten!

Es war ein Weltereigniß, daß in dieſer Lage der
Dinge der Fürſt der dieſe Kraft wohl beſaß, Heinrich III,
in frühen Jahren verſtarb (1056) und ein ſechsjähriger
Knabe, in deſſen Namen aber zunächſt eine ſchwankende
vormundſchaftliche Regierung ſeinen Platz einnahm.

Emancipation des Papſtthums.

Da begannen die Ideen, welche im 9ten Jahrhundert
zurückgedrängt worden, ſich aufs neue zu erheben und zwar,
da die Geiſtlichkeit jetzt nach unten hin um ſo viel mäch-
tiger geworden, mit verdoppelter Kraft.

Überhaupt ſind dieß die Zeiten, in welchen ſich die
geiſtlichen Gewalten in aller Welt auszubilden begannen,
in welchen das menſchliche Geſchlecht in dieſen Formen
des Daſeyns Befriedigung fand. In dem elften Jahrhun-
dert ward der Buddhaismus in Tibet wiederhergeſtellt,
und durch den Lama Dſchu-Adhiſcha die Hierarchie er-
richtet, die noch bis auf den heutigen Tag einen ſo gro-
ßen Theil von Hinteraſien umfaßt. Das Chalifat von Bag-
dad, früher ein weltumfaſſendes Kaiſerthum, bildete ſich
damals zu einer geiſtlichen Autorität um, welcher eben
deshalb eine um ſo unumwundnere freiwillige Anerkennung

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[28/0046] Einleitung. deutung ſeiner Würde konnte er doch nie völlig erfüllen. Wie contraſtirt mit der Ruhe und Selbſtgenügſamkeit des Reiches das Carl der Große beherrſchte, dieß ewige Hin und Wiederfluthen entgegengeſetzter Parteien, dieß ſtete Sich- aufrichten widerſpenſtiger Gewalten! es gehörte eine Kraft und Mannhaftigkeit ohne Gleichen dazu, ſich zu behaupten! Es war ein Weltereigniß, daß in dieſer Lage der Dinge der Fürſt der dieſe Kraft wohl beſaß, Heinrich III, in frühen Jahren verſtarb (1056) und ein ſechsjähriger Knabe, in deſſen Namen aber zunächſt eine ſchwankende vormundſchaftliche Regierung ſeinen Platz einnahm. Emancipation des Papſtthums. Da begannen die Ideen, welche im 9ten Jahrhundert zurückgedrängt worden, ſich aufs neue zu erheben und zwar, da die Geiſtlichkeit jetzt nach unten hin um ſo viel mäch- tiger geworden, mit verdoppelter Kraft. Überhaupt ſind dieß die Zeiten, in welchen ſich die geiſtlichen Gewalten in aller Welt auszubilden begannen, in welchen das menſchliche Geſchlecht in dieſen Formen des Daſeyns Befriedigung fand. In dem elften Jahrhun- dert ward der Buddhaismus in Tibet wiederhergeſtellt, und durch den Lama Dſchu-Adhiſcha die Hierarchie er- richtet, die noch bis auf den heutigen Tag einen ſo gro- ßen Theil von Hinteraſien umfaßt. Das Chalifat von Bag- dad, früher ein weltumfaſſendes Kaiſerthum, bildete ſich damals zu einer geiſtlichen Autorität um, welcher eben deshalb eine um ſo unumwundnere freiwillige Anerkennung

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/46>, abgerufen am 28.03.2024.