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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Wir haben gesehen, wie aus der einseitigen Entwickelung
welche das lateinische Kirchenwesen genommen, die Noth-
wendigkeit entsprang dasselbe zu reformiren, die allgemeine
Lage der Weltverhältnisse das forderte, die nationalen Re-
gungen des deutschen Geistes, die Fortschritte der Gelehr-
samkeit, die Gegensätze der Theologie dazu vorbereiteten, --
wie endlich die Mißbräuche des Ablaßhandels, die daran sich
knüpfenden Streitigkeiten, ohne daß Jemand die bewußte
Absicht gehabt hätte, zu dem gewaltigsten Ausbruche der
Opposition führten.

War das nun unvermeidlich, so dürfen wir doch nicht
weiter gehn, ohne zu bemerken wie höchst gefährlich es zu-
gleich werden konnte.

Denn in der Totalität des Bestehenden, wie es nun
einmal geworden, ist alles verbunden, unterstützt sich alles:
sind die innern Lebenskräfte einmal in Kampf gesetzt, wer
kann sagen, wo dem siegreichen Angriff wieder Einhalt ge-
schehen, ob er nicht alles umstürzen werde.

Bei welchem Institute auf Erden wäre aber diese Ge-
fahr größer gewesen, als bei dem Papstthum, welches auf

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Wir haben geſehen, wie aus der einſeitigen Entwickelung
welche das lateiniſche Kirchenweſen genommen, die Noth-
wendigkeit entſprang daſſelbe zu reformiren, die allgemeine
Lage der Weltverhältniſſe das forderte, die nationalen Re-
gungen des deutſchen Geiſtes, die Fortſchritte der Gelehr-
ſamkeit, die Gegenſätze der Theologie dazu vorbereiteten, —
wie endlich die Mißbräuche des Ablaßhandels, die daran ſich
knüpfenden Streitigkeiten, ohne daß Jemand die bewußte
Abſicht gehabt hätte, zu dem gewaltigſten Ausbruche der
Oppoſition führten.

War das nun unvermeidlich, ſo dürfen wir doch nicht
weiter gehn, ohne zu bemerken wie höchſt gefährlich es zu-
gleich werden konnte.

Denn in der Totalität des Beſtehenden, wie es nun
einmal geworden, iſt alles verbunden, unterſtützt ſich alles:
ſind die innern Lebenskräfte einmal in Kampf geſetzt, wer
kann ſagen, wo dem ſiegreichen Angriff wieder Einhalt ge-
ſchehen, ob er nicht alles umſtürzen werde.

Bei welchem Inſtitute auf Erden wäre aber dieſe Ge-
fahr größer geweſen, als bei dem Papſtthum, welches auf

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[[3]/0013] Wir haben geſehen, wie aus der einſeitigen Entwickelung welche das lateiniſche Kirchenweſen genommen, die Noth- wendigkeit entſprang daſſelbe zu reformiren, die allgemeine Lage der Weltverhältniſſe das forderte, die nationalen Re- gungen des deutſchen Geiſtes, die Fortſchritte der Gelehr- ſamkeit, die Gegenſätze der Theologie dazu vorbereiteten, — wie endlich die Mißbräuche des Ablaßhandels, die daran ſich knüpfenden Streitigkeiten, ohne daß Jemand die bewußte Abſicht gehabt hätte, zu dem gewaltigſten Ausbruche der Oppoſition führten. War das nun unvermeidlich, ſo dürfen wir doch nicht weiter gehn, ohne zu bemerken wie höchſt gefährlich es zu- gleich werden konnte. Denn in der Totalität des Beſtehenden, wie es nun einmal geworden, iſt alles verbunden, unterſtützt ſich alles: ſind die innern Lebenskräfte einmal in Kampf geſetzt, wer kann ſagen, wo dem ſiegreichen Angriff wieder Einhalt ge- ſchehen, ob er nicht alles umſtürzen werde. Bei welchem Inſtitute auf Erden wäre aber dieſe Ge- fahr größer geweſen, als bei dem Papſtthum, welches auf 1*

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/13>, abgerufen am 29.03.2024.