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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Viertes Buch. Erstes Capitel.
nun Carl an König Heinrich VIII von England einen so
mächtigen Verbündeten wie für die jenseitigen am Papst.
Auch Heinrich VIII hatte die alten Ansprüche seiner Vor-
fahren an Frankreich noch nicht vergessen: er führte noch
den Titel davon: noch war Calais in englischen Händen.
Gleich bei dem Abschluß des Vertrags in Brügge, in wel-
chem Kaiser und König einander zusagten, ihre Ansprüche
mit gemeinschaftlichen Anstrengungen zu Land und See
durchzufechten, stellte Wolsey seinem Herrn ein langes Ver-
zeichniß der Provinzen Städte und Schlösser zu, die man
den Franzosen alle zu entreißen gedenke. 1 In der Correspon-
denz des Königs mit dem Cardinal ist sehr ernstlich davon
die Rede, daß er in Person in Frankreich einfallen werde: 2
deshalb vor allem sucht man an der schottischen Grenze
Ruhe zu erhalten. Zuweilen scheint es den Engländern
wohl das Beste, sich auf die zunächstgelegenen französischen
Gebiete, von Calais bis an die Somme zu beschränken,
welche dann leichter zu behaupten seyn würden als das
entfernte Guyenne; zuweilen aber erhebt sich auch in Hein-
rich VIII der Gedanke, die Krone von Frankreich selber
zu tragen: bei einer Nachricht von der schlechten Lage der
Dinge in diesem Reiche ruft er aus: "man bahne ihm
dort den Weg, wie einst Richard III in England seinem
Vater: er selber denke noch einmal Frankreich zu regieren." 3

1 Pace to Wolsey 10 Sept. 1521. State Papers I, 52.
2 Wolsey to Henry Sept. 1522. Ibid. p. 107.
3 More to Wolsey p. 111. The Kinges Grace saied that
he trusted in God to be theyre governour hym selfe and that they
shold by thys meanys make a way for hym, as King Richard
did for his father. 21 Sept.
1522. Man wird nicht glauben wol-
len, daß der Gedanke da erst in ihm entstanden sey.

Viertes Buch. Erſtes Capitel.
nun Carl an König Heinrich VIII von England einen ſo
mächtigen Verbündeten wie für die jenſeitigen am Papſt.
Auch Heinrich VIII hatte die alten Anſprüche ſeiner Vor-
fahren an Frankreich noch nicht vergeſſen: er führte noch
den Titel davon: noch war Calais in engliſchen Händen.
Gleich bei dem Abſchluß des Vertrags in Brügge, in wel-
chem Kaiſer und König einander zuſagten, ihre Anſprüche
mit gemeinſchaftlichen Anſtrengungen zu Land und See
durchzufechten, ſtellte Wolſey ſeinem Herrn ein langes Ver-
zeichniß der Provinzen Städte und Schlöſſer zu, die man
den Franzoſen alle zu entreißen gedenke. 1 In der Correſpon-
denz des Königs mit dem Cardinal iſt ſehr ernſtlich davon
die Rede, daß er in Perſon in Frankreich einfallen werde: 2
deshalb vor allem ſucht man an der ſchottiſchen Grenze
Ruhe zu erhalten. Zuweilen ſcheint es den Engländern
wohl das Beſte, ſich auf die zunächſtgelegenen franzöſiſchen
Gebiete, von Calais bis an die Somme zu beſchränken,
welche dann leichter zu behaupten ſeyn würden als das
entfernte Guyenne; zuweilen aber erhebt ſich auch in Hein-
rich VIII der Gedanke, die Krone von Frankreich ſelber
zu tragen: bei einer Nachricht von der ſchlechten Lage der
Dinge in dieſem Reiche ruft er aus: „man bahne ihm
dort den Weg, wie einſt Richard III in England ſeinem
Vater: er ſelber denke noch einmal Frankreich zu regieren.“ 3

1 Pace to Wolsey 10 Sept. 1521. State Papers I, 52.
2 Wolsey to Henry Sept. 1522. Ibid. p. 107.
3 More to Wolsey p. 111. The Kinges Grace saied that
he trusted in God to be theyre governour hym selfe and that they
shold by thys meanys make a way for hym, as King Richard
did for his father. 21 Sept.
1522. Man wird nicht glauben wol-
len, daß der Gedanke da erſt in ihm entſtanden ſey.
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[284/0294] Viertes Buch. Erſtes Capitel. nun Carl an König Heinrich VIII von England einen ſo mächtigen Verbündeten wie für die jenſeitigen am Papſt. Auch Heinrich VIII hatte die alten Anſprüche ſeiner Vor- fahren an Frankreich noch nicht vergeſſen: er führte noch den Titel davon: noch war Calais in engliſchen Händen. Gleich bei dem Abſchluß des Vertrags in Brügge, in wel- chem Kaiſer und König einander zuſagten, ihre Anſprüche mit gemeinſchaftlichen Anſtrengungen zu Land und See durchzufechten, ſtellte Wolſey ſeinem Herrn ein langes Ver- zeichniß der Provinzen Städte und Schlöſſer zu, die man den Franzoſen alle zu entreißen gedenke. 1 In der Correſpon- denz des Königs mit dem Cardinal iſt ſehr ernſtlich davon die Rede, daß er in Perſon in Frankreich einfallen werde: 2 deshalb vor allem ſucht man an der ſchottiſchen Grenze Ruhe zu erhalten. Zuweilen ſcheint es den Engländern wohl das Beſte, ſich auf die zunächſtgelegenen franzöſiſchen Gebiete, von Calais bis an die Somme zu beſchränken, welche dann leichter zu behaupten ſeyn würden als das entfernte Guyenne; zuweilen aber erhebt ſich auch in Hein- rich VIII der Gedanke, die Krone von Frankreich ſelber zu tragen: bei einer Nachricht von der ſchlechten Lage der Dinge in dieſem Reiche ruft er aus: „man bahne ihm dort den Weg, wie einſt Richard III in England ſeinem Vater: er ſelber denke noch einmal Frankreich zu regieren.“ 3 1 Pace to Wolsey 10 Sept. 1521. State Papers I, 52. 2 Wolsey to Henry Sept. 1522. Ibid. p. 107. 3 More to Wolsey p. 111. The Kinges Grace saied that he trusted in God to be theyre governour hym selfe and that they shold by thys meanys make a way for hym, as King Richard did for his father. 21 Sept. 1522. Man wird nicht glauben wol- len, daß der Gedanke da erſt in ihm entſtanden ſey.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/294>, abgerufen am 29.03.2024.