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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Drittes Buch. Erstes Capitel.

Sey es nun, daß diese Meinungen nach den Gegen-
den ihres Ursprunges zurückwirkten, oder daselbst eine tie-
fere ältere Wurzel hatten, eben von dort her aus dem Erz-
Gebirge, von Zwickan, wo sich jener Peter von Dresden
eine Zeitlang aufgehalten, erhob sich eine verwandte Ten-
denz, welche sich der wittenbergischen Bewegung zu bemäch-
[t]igen suchte, wie damals der prager.

Besonders um einen schwärmerischen Tuchmacher des
Namens Claus Storch, sammelte sich dort eine Secte,
welche sich zu den weitaussehendsten Meinungen be-
kannte. Luther that diesen Leuten bei weitem nicht genug:
sie fanden, es seyen noch ganz andre Männer als er, von
höherm Geiste, nothwendig. Denn was könne es helfen,
sich so enge an die Bibel zu halten? Zu wahrer Unter-
weisung eines Menschen sey sie doch unkräftig, der Mensch
könne nur durch den Geist gelehrt werden. 1 Sie steiger-
ten ihren Enthusiasmus bis zu dem Grade daß sie sich
überzeugt hielten, ihnen sey das beschieden: Gott selbst rede
mit ihnen, gebe ihnen an, was sie thun, was sie predigen
sollten. 2 Auf den Grund dieser tiefern unmittelbar inspi-

Wenceslaus: II, Urkunden nr. 238 ex MS coaevo capituli. Sie
erklärten gleich im Anfang, "quod papa sit antichristus cum clero
sibi subjecto."
1 So bezeichnete ein aus Zwickau an den Churfürsten einge-
gangener Bericht, von welchem dieser der Universität Nachricht giebt,
die Linie ihrer Meinungen. Acta Einsiedelii cum Melanthonio
C. R. p. 536.
Die Nachrichten in Enoch Widemann Chronicon
Curiae
bei Mencken Scriptt. R. G. III, 744 bezeichnen eine etwas
spätere Entwickelung der Storchischen Phantasien. Tobias Schmidts
Cronica Cygnea 1656 ist für die Ereignisse des dreißigjährigen Kriegs
nicht ohne Werth: für die Reformationszeit aber unzureichend.
2 Amtliche Erklärung Melanchthons 1sten Jan. 22. C. R. I,
Drittes Buch. Erſtes Capitel.

Sey es nun, daß dieſe Meinungen nach den Gegen-
den ihres Urſprunges zurückwirkten, oder daſelbſt eine tie-
fere ältere Wurzel hatten, eben von dort her aus dem Erz-
Gebirge, von Zwickan, wo ſich jener Peter von Dresden
eine Zeitlang aufgehalten, erhob ſich eine verwandte Ten-
denz, welche ſich der wittenbergiſchen Bewegung zu bemäch-
[t]igen ſuchte, wie damals der prager.

Beſonders um einen ſchwärmeriſchen Tuchmacher des
Namens Claus Storch, ſammelte ſich dort eine Secte,
welche ſich zu den weitausſehendſten Meinungen be-
kannte. Luther that dieſen Leuten bei weitem nicht genug:
ſie fanden, es ſeyen noch ganz andre Männer als er, von
höherm Geiſte, nothwendig. Denn was könne es helfen,
ſich ſo enge an die Bibel zu halten? Zu wahrer Unter-
weiſung eines Menſchen ſey ſie doch unkräftig, der Menſch
könne nur durch den Geiſt gelehrt werden. 1 Sie ſteiger-
ten ihren Enthuſiasmus bis zu dem Grade daß ſie ſich
überzeugt hielten, ihnen ſey das beſchieden: Gott ſelbſt rede
mit ihnen, gebe ihnen an, was ſie thun, was ſie predigen
ſollten. 2 Auf den Grund dieſer tiefern unmittelbar inſpi-

Wenceslaus: II, Urkunden nr. 238 ex MS coaevo capituli. Sie
erklaͤrten gleich im Anfang, „quod papa sit antichristus cum clero
sibi subjecto.“
1 So bezeichnete ein aus Zwickau an den Churfuͤrſten einge-
gangener Bericht, von welchem dieſer der Univerſitaͤt Nachricht giebt,
die Linie ihrer Meinungen. Acta Einsiedelii cum Melanthonio
C. R. p. 536.
Die Nachrichten in Enoch Widemann Chronicon
Curiae
bei Mencken Scriptt. R. G. III, 744 bezeichnen eine etwas
ſpaͤtere Entwickelung der Storchiſchen Phantaſien. Tobias Schmidts
Cronica Cygnea 1656 iſt fuͤr die Ereigniſſe des dreißigjaͤhrigen Kriegs
nicht ohne Werth: fuͤr die Reformationszeit aber unzureichend.
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[20/0030] Drittes Buch. Erſtes Capitel. Sey es nun, daß dieſe Meinungen nach den Gegen- den ihres Urſprunges zurückwirkten, oder daſelbſt eine tie- fere ältere Wurzel hatten, eben von dort her aus dem Erz- Gebirge, von Zwickan, wo ſich jener Peter von Dresden eine Zeitlang aufgehalten, erhob ſich eine verwandte Ten- denz, welche ſich der wittenbergiſchen Bewegung zu bemäch- tigen ſuchte, wie damals der prager. Beſonders um einen ſchwärmeriſchen Tuchmacher des Namens Claus Storch, ſammelte ſich dort eine Secte, welche ſich zu den weitausſehendſten Meinungen be- kannte. Luther that dieſen Leuten bei weitem nicht genug: ſie fanden, es ſeyen noch ganz andre Männer als er, von höherm Geiſte, nothwendig. Denn was könne es helfen, ſich ſo enge an die Bibel zu halten? Zu wahrer Unter- weiſung eines Menſchen ſey ſie doch unkräftig, der Menſch könne nur durch den Geiſt gelehrt werden. 1 Sie ſteiger- ten ihren Enthuſiasmus bis zu dem Grade daß ſie ſich überzeugt hielten, ihnen ſey das beſchieden: Gott ſelbſt rede mit ihnen, gebe ihnen an, was ſie thun, was ſie predigen ſollten. 2 Auf den Grund dieſer tiefern unmittelbar inſpi- 2 1 So bezeichnete ein aus Zwickau an den Churfuͤrſten einge- gangener Bericht, von welchem dieſer der Univerſitaͤt Nachricht giebt, die Linie ihrer Meinungen. Acta Einsiedelii cum Melanthonio C. R. p. 536. Die Nachrichten in Enoch Widemann Chronicon Curiae bei Mencken Scriptt. R. G. III, 744 bezeichnen eine etwas ſpaͤtere Entwickelung der Storchiſchen Phantaſien. Tobias Schmidts Cronica Cygnea 1656 iſt fuͤr die Ereigniſſe des dreißigjaͤhrigen Kriegs nicht ohne Werth: fuͤr die Reformationszeit aber unzureichend. 2 Amtliche Erklaͤrung Melanchthons 1ſten Jan. 22. C. R. I, 2 Wenceslaus: II, Urkunden nr. 238 ex MS coaevo capituli. Sie erklaͤrten gleich im Anfang, „quod papa sit antichristus cum clero sibi subjecto.“

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/30>, abgerufen am 28.03.2024.