Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Unruhen in Wittenberg.
tungen in Hinsicht der Kindertaufe wußte er nicht zu wi-
derlegen. Er sah, daß sie Geist hatten: ihn zu prüfen
fühlte er sich selbst nicht stark genug.

Auch der Churfürst war nicht fähig nachdrücklichen
Widerstand zu leisten. Wir kennen diesen Fürsten schon:
sein Temporisiren, seine Abneigung persönlich hervorzutre-
ten, einzugreifen, seine Gewohnheit die Dinge sich selbst
entwickeln zu lassen. Es war die friedfertigste Natur welche
dieß kriegerische fehdelustige Zeitalter hervorgebracht hat:
nie griff er zu den Waffen; zuletzt hatte dann immer seine
stille, beobachtende, kluge und geistreiche Politik den Sieg
davon getragen. Sein Vergnügen war, in seinem Lande
das er so schön fand wie irgend ein anderes auf Erden
seine Schlösser zu bauen, die Lochau, Altenburg, Weimar,
Coburg: seine Kirchen mit Gemählden zu schmücken, wozu
er den trefflichen Meister Lucas Kranach an sich gezogen:
seine Capelle und Singerey, die eine der besten im Reiche
war, im Stande zu halten: die hohe Schule die er gestiftet
emporzubringen. Obwohl er nicht sehr zugänglich war, so
liebte er doch das gemeine Volk. Er zahlte einst den schon
eingesammelten gemeinen Pfennig zurück, da es zu der Un-
ternehmung nicht kam, wozu er bestimmt war. "Wahr-
lich," sagt er von Einem, "es ist ein böser Mensch, denn
er ist armen Leuten ungütig." Auf der Reise ließ er die
Kinder beschenken, die am Wege spielten: heut oder mor-
gen werden sie dann sagen: es zog ein Herzog von Sach-
sen vorüber, der gab uns allen. Nunmehr war er zu Jah-
ren gekommen: von den alten deutschen Fürsten, mit denen
er zu seiner Zeit in engerer Vertraulichkeit gelebt, seinen gu-

Unruhen in Wittenberg.
tungen in Hinſicht der Kindertaufe wußte er nicht zu wi-
derlegen. Er ſah, daß ſie Geiſt hatten: ihn zu prüfen
fühlte er ſich ſelbſt nicht ſtark genug.

Auch der Churfürſt war nicht fähig nachdrücklichen
Widerſtand zu leiſten. Wir kennen dieſen Fürſten ſchon:
ſein Temporiſiren, ſeine Abneigung perſönlich hervorzutre-
ten, einzugreifen, ſeine Gewohnheit die Dinge ſich ſelbſt
entwickeln zu laſſen. Es war die friedfertigſte Natur welche
dieß kriegeriſche fehdeluſtige Zeitalter hervorgebracht hat:
nie griff er zu den Waffen; zuletzt hatte dann immer ſeine
ſtille, beobachtende, kluge und geiſtreiche Politik den Sieg
davon getragen. Sein Vergnügen war, in ſeinem Lande
das er ſo ſchön fand wie irgend ein anderes auf Erden
ſeine Schlöſſer zu bauen, die Lochau, Altenburg, Weimar,
Coburg: ſeine Kirchen mit Gemählden zu ſchmücken, wozu
er den trefflichen Meiſter Lucas Kranach an ſich gezogen:
ſeine Capelle und Singerey, die eine der beſten im Reiche
war, im Stande zu halten: die hohe Schule die er geſtiftet
emporzubringen. Obwohl er nicht ſehr zugänglich war, ſo
liebte er doch das gemeine Volk. Er zahlte einſt den ſchon
eingeſammelten gemeinen Pfennig zurück, da es zu der Un-
ternehmung nicht kam, wozu er beſtimmt war. „Wahr-
lich,“ ſagt er von Einem, „es iſt ein böſer Menſch, denn
er iſt armen Leuten ungütig.“ Auf der Reiſe ließ er die
Kinder beſchenken, die am Wege ſpielten: heut oder mor-
gen werden ſie dann ſagen: es zog ein Herzog von Sach-
ſen vorüber, der gab uns allen. Nunmehr war er zu Jah-
ren gekommen: von den alten deutſchen Fürſten, mit denen
er zu ſeiner Zeit in engerer Vertraulichkeit gelebt, ſeinen gu-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0035" n="25"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Unruhen in Wittenberg</hi>.</fw><lb/>
tungen in Hin&#x017F;icht der Kindertaufe wußte er nicht zu wi-<lb/>
derlegen. Er &#x017F;ah, daß &#x017F;ie Gei&#x017F;t hatten: ihn zu prüfen<lb/>
fühlte er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t nicht &#x017F;tark genug.</p><lb/>
          <p>Auch der Churfür&#x017F;t war nicht fähig nachdrücklichen<lb/>
Wider&#x017F;tand zu lei&#x017F;ten. Wir kennen die&#x017F;en Für&#x017F;ten &#x017F;chon:<lb/>
&#x017F;ein Tempori&#x017F;iren, &#x017F;eine Abneigung per&#x017F;önlich hervorzutre-<lb/>
ten, einzugreifen, &#x017F;eine Gewohnheit die Dinge &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
entwickeln zu la&#x017F;&#x017F;en. Es war die friedfertig&#x017F;te Natur welche<lb/>
dieß kriegeri&#x017F;che fehdelu&#x017F;tige Zeitalter hervorgebracht hat:<lb/>
nie griff er zu den Waffen; zuletzt hatte dann immer &#x017F;eine<lb/>
&#x017F;tille, beobachtende, kluge und gei&#x017F;treiche Politik den Sieg<lb/>
davon getragen. Sein Vergnügen war, in &#x017F;einem Lande<lb/>
das er &#x017F;o &#x017F;chön fand wie irgend ein anderes auf Erden<lb/>
&#x017F;eine Schlö&#x017F;&#x017F;er zu bauen, die Lochau, Altenburg, Weimar,<lb/>
Coburg: &#x017F;eine Kirchen mit Gemählden zu &#x017F;chmücken, wozu<lb/>
er den trefflichen Mei&#x017F;ter Lucas Kranach an &#x017F;ich gezogen:<lb/>
&#x017F;eine Capelle und Singerey, die eine der be&#x017F;ten im Reiche<lb/>
war, im Stande zu halten: die hohe Schule die er ge&#x017F;tiftet<lb/>
emporzubringen. Obwohl er nicht &#x017F;ehr zugänglich war, &#x017F;o<lb/>
liebte er doch das gemeine Volk. Er zahlte ein&#x017F;t den &#x017F;chon<lb/>
einge&#x017F;ammelten gemeinen Pfennig zurück, da es zu der Un-<lb/>
ternehmung nicht kam, wozu er be&#x017F;timmt war. &#x201E;Wahr-<lb/>
lich,&#x201C; &#x017F;agt er von Einem, &#x201E;es i&#x017F;t ein bö&#x017F;er Men&#x017F;ch, denn<lb/>
er i&#x017F;t armen Leuten ungütig.&#x201C; Auf der Rei&#x017F;e ließ er die<lb/>
Kinder be&#x017F;chenken, die am Wege &#x017F;pielten: heut oder mor-<lb/>
gen werden &#x017F;ie dann &#x017F;agen: es zog ein Herzog von Sach-<lb/>
&#x017F;en vorüber, der gab uns allen. Nunmehr war er zu Jah-<lb/>
ren gekommen: von den alten deut&#x017F;chen Für&#x017F;ten, mit denen<lb/>
er zu &#x017F;einer Zeit in engerer Vertraulichkeit gelebt, &#x017F;einen gu-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0035] Unruhen in Wittenberg. tungen in Hinſicht der Kindertaufe wußte er nicht zu wi- derlegen. Er ſah, daß ſie Geiſt hatten: ihn zu prüfen fühlte er ſich ſelbſt nicht ſtark genug. Auch der Churfürſt war nicht fähig nachdrücklichen Widerſtand zu leiſten. Wir kennen dieſen Fürſten ſchon: ſein Temporiſiren, ſeine Abneigung perſönlich hervorzutre- ten, einzugreifen, ſeine Gewohnheit die Dinge ſich ſelbſt entwickeln zu laſſen. Es war die friedfertigſte Natur welche dieß kriegeriſche fehdeluſtige Zeitalter hervorgebracht hat: nie griff er zu den Waffen; zuletzt hatte dann immer ſeine ſtille, beobachtende, kluge und geiſtreiche Politik den Sieg davon getragen. Sein Vergnügen war, in ſeinem Lande das er ſo ſchön fand wie irgend ein anderes auf Erden ſeine Schlöſſer zu bauen, die Lochau, Altenburg, Weimar, Coburg: ſeine Kirchen mit Gemählden zu ſchmücken, wozu er den trefflichen Meiſter Lucas Kranach an ſich gezogen: ſeine Capelle und Singerey, die eine der beſten im Reiche war, im Stande zu halten: die hohe Schule die er geſtiftet emporzubringen. Obwohl er nicht ſehr zugänglich war, ſo liebte er doch das gemeine Volk. Er zahlte einſt den ſchon eingeſammelten gemeinen Pfennig zurück, da es zu der Un- ternehmung nicht kam, wozu er beſtimmt war. „Wahr- lich,“ ſagt er von Einem, „es iſt ein böſer Menſch, denn er iſt armen Leuten ungütig.“ Auf der Reiſe ließ er die Kinder beſchenken, die am Wege ſpielten: heut oder mor- gen werden ſie dann ſagen: es zog ein Herzog von Sach- ſen vorüber, der gab uns allen. Nunmehr war er zu Jah- ren gekommen: von den alten deutſchen Fürſten, mit denen er zu ſeiner Zeit in engerer Vertraulichkeit gelebt, ſeinen gu-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/35
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/35>, abgerufen am 19.04.2024.