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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Idee einer politischen Reform.
sie fanden, dadurch seyen die Bünde im Grunde schon gebro-
chen; und sollte man die "groben unmenschlichen" Schmäh-
reden sich noch länger gefallen lassen? Die Verantwortun-
gen der fünf Orte darüber seyen selber ein Schimpf. 1

Zwingli's Meinung wäre gewesen, der Sache ohne
längern Verzug mit Gewalt ein Ende zu machen.

In politischer Beziehung waltete wenigstens ein nicht
minderer Unterschied zwischen Luther und Zwingli ob, als
in der Lehre. Luthers Politik, wenn wir ja davon reden
können, hing ganz vom religiösen Gesichtspunkte ab, und
war auf die nächste Vertheidigung beschränkt. Zwingli da-
gegen verfolgte von Anfang an zugleich positiv politische
Zwecke; eine Umgestaltung der Eidgenossenschaft war der
Mittelpunkt aller seiner Ideen; er hatte dazu die weit-
aussehendsten Pläne gefaßt; er ist ohne Zweifel in beider-
lei Hinsicht der größte Reformer, den die Schweiz je ge-
habt hat.

Schon öfter war das Mißverhältniß zur Sprache ge-
kommen, welches darin lag, daß die Waldstädte, die in
den eidgenössischen Kriegen an Mannschaft und Geld so
viel weniger leisteten, als die volkreichen Bürgerstädte, doch
an den Vortheilen des Sieges und der Herrschaft gleichen
Antheil nahmen. Das war eigentlich der Grund der Irrun-
gen nach den Burgunderkriegen gewesen. Schon damals muß-
ten die Wunder der Religion in Thätigkeit gesetzt werden: der
Bruder Claus mußte erscheinen, um die Aussöhnung zu be-
wirken, die in der Verkommniß von Stanz ausgesprochen ist.

1 Antwurtten und Meinungen der Radtsbotten der christlichen
Stetten. 24. April 1531. Bei Bullinger II, 362.
Ranke d. Gesch. III. 23

Idee einer politiſchen Reform.
ſie fanden, dadurch ſeyen die Bünde im Grunde ſchon gebro-
chen; und ſollte man die „groben unmenſchlichen“ Schmäh-
reden ſich noch länger gefallen laſſen? Die Verantwortun-
gen der fünf Orte darüber ſeyen ſelber ein Schimpf. 1

Zwingli’s Meinung wäre geweſen, der Sache ohne
längern Verzug mit Gewalt ein Ende zu machen.

In politiſcher Beziehung waltete wenigſtens ein nicht
minderer Unterſchied zwiſchen Luther und Zwingli ob, als
in der Lehre. Luthers Politik, wenn wir ja davon reden
können, hing ganz vom religiöſen Geſichtspunkte ab, und
war auf die nächſte Vertheidigung beſchränkt. Zwingli da-
gegen verfolgte von Anfang an zugleich poſitiv politiſche
Zwecke; eine Umgeſtaltung der Eidgenoſſenſchaft war der
Mittelpunkt aller ſeiner Ideen; er hatte dazu die weit-
ausſehendſten Pläne gefaßt; er iſt ohne Zweifel in beider-
lei Hinſicht der größte Reformer, den die Schweiz je ge-
habt hat.

Schon öfter war das Mißverhältniß zur Sprache ge-
kommen, welches darin lag, daß die Waldſtädte, die in
den eidgenöſſiſchen Kriegen an Mannſchaft und Geld ſo
viel weniger leiſteten, als die volkreichen Bürgerſtädte, doch
an den Vortheilen des Sieges und der Herrſchaft gleichen
Antheil nahmen. Das war eigentlich der Grund der Irrun-
gen nach den Burgunderkriegen geweſen. Schon damals muß-
ten die Wunder der Religion in Thätigkeit geſetzt werden: der
Bruder Claus mußte erſcheinen, um die Ausſöhnung zu be-
wirken, die in der Verkommniß von Stanz ausgeſprochen iſt.

1 Antwurtten und Meinungen der Radtsbotten der chriſtlichen
Stetten. 24. April 1531. Bei Bullinger II, 362.
Ranke d. Geſch. III. 23
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[353/0369] Idee einer politiſchen Reform. ſie fanden, dadurch ſeyen die Bünde im Grunde ſchon gebro- chen; und ſollte man die „groben unmenſchlichen“ Schmäh- reden ſich noch länger gefallen laſſen? Die Verantwortun- gen der fünf Orte darüber ſeyen ſelber ein Schimpf. 1 Zwingli’s Meinung wäre geweſen, der Sache ohne längern Verzug mit Gewalt ein Ende zu machen. In politiſcher Beziehung waltete wenigſtens ein nicht minderer Unterſchied zwiſchen Luther und Zwingli ob, als in der Lehre. Luthers Politik, wenn wir ja davon reden können, hing ganz vom religiöſen Geſichtspunkte ab, und war auf die nächſte Vertheidigung beſchränkt. Zwingli da- gegen verfolgte von Anfang an zugleich poſitiv politiſche Zwecke; eine Umgeſtaltung der Eidgenoſſenſchaft war der Mittelpunkt aller ſeiner Ideen; er hatte dazu die weit- ausſehendſten Pläne gefaßt; er iſt ohne Zweifel in beider- lei Hinſicht der größte Reformer, den die Schweiz je ge- habt hat. Schon öfter war das Mißverhältniß zur Sprache ge- kommen, welches darin lag, daß die Waldſtädte, die in den eidgenöſſiſchen Kriegen an Mannſchaft und Geld ſo viel weniger leiſteten, als die volkreichen Bürgerſtädte, doch an den Vortheilen des Sieges und der Herrſchaft gleichen Antheil nahmen. Das war eigentlich der Grund der Irrun- gen nach den Burgunderkriegen geweſen. Schon damals muß- ten die Wunder der Religion in Thätigkeit geſetzt werden: der Bruder Claus mußte erſcheinen, um die Ausſöhnung zu be- wirken, die in der Verkommniß von Stanz ausgeſprochen iſt. 1 Antwurtten und Meinungen der Radtsbotten der chriſtlichen Stetten. 24. April 1531. Bei Bullinger II, 362. Ranke d. Geſch. III. 23

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/369>, abgerufen am 28.03.2024.