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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Fünftes Buch. Drittes Capitel.
nur Zürcherische Geistliche aus der Stadt und vom Lande,
mit wenigen Fremden -- wie dort Boten von Antiochien zuge-
gen gewesen -- die sich unter Leitung des Bürgermeisters Marx
Röust auf dem Rathhause versammelten, um über zwei der
wichtigsten Fragen, welche die Christenheit beschäftigen konn-
ten, zu Rathe zu gehn. Meister Leu (Leo Judä) Leutprie-
ster zu St. Peter und Zwingli stellten die Sätze auf, welche
sie vertheidigen wollten, der eine, daß man keine Bilder
zum Gottesdienst machen dürfe, der andre, daß die Messe
kein Opfer sey; und luden einen Jeden der eine andre Mei-
nung hege ein, sie aus der Schrift zu widerlegen. Wohl
erhob sich Einer und der Andre; doch waren ihre Gründe
leicht beseitigt. Dann wurden die, welche sich den Neue-
rungen besonders eifrig entgegengesetzt und sie etwa ketzerisch
gescholten, einzeln und bei ihrem Namen aufgerufen, ihre
Rede zu beweisen. Einige waren nicht erschienen: Andre
schwiegen: noch Andere erklärten sich zuletzt überzeugt und
entschuldigten sich nur, daß sie den allgemeinen Irrthum
getheilt. Es war ein Abt, jener Abt von Cappel, der zum
Schluß die Herren von Zürich ermahnte, sich nun auch
unerschrocken der Sache des Evangeliums anzunehmen. 1
Hierauf ward den Seelsorgern befohlen, nicht wider die
Artikel zu predigen, welche in der Disputation den Sieg
behalten hatten. Zwingli verfaßte eine Anleitung für sie,
die ihnen unter öffentlicher Autorität bekannt gemacht wurde,

ist freilich auch keine Kirche, aber sie vindicirt der Gemeinde das Recht
der Autonomie. Sie ist der erste Ansatz zur Presbyterialverfassung.
1 Acta der zweiten Disputation (26, 27, 28 Wynmonats)
Zwingli's Werke I, 539. Es existirt auch ein Bericht darüber von
Johann Salat, Gerichtschreiber zu Lucern. In Füßli's Beiträgen
III, 1 ist demselben sein Recht geschehn.

Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
nur Zürcheriſche Geiſtliche aus der Stadt und vom Lande,
mit wenigen Fremden — wie dort Boten von Antiochien zuge-
gen geweſen — die ſich unter Leitung des Bürgermeiſters Marx
Röuſt auf dem Rathhauſe verſammelten, um über zwei der
wichtigſten Fragen, welche die Chriſtenheit beſchäftigen konn-
ten, zu Rathe zu gehn. Meiſter Leu (Leo Judä) Leutprie-
ſter zu St. Peter und Zwingli ſtellten die Sätze auf, welche
ſie vertheidigen wollten, der eine, daß man keine Bilder
zum Gottesdienſt machen dürfe, der andre, daß die Meſſe
kein Opfer ſey; und luden einen Jeden der eine andre Mei-
nung hege ein, ſie aus der Schrift zu widerlegen. Wohl
erhob ſich Einer und der Andre; doch waren ihre Gründe
leicht beſeitigt. Dann wurden die, welche ſich den Neue-
rungen beſonders eifrig entgegengeſetzt und ſie etwa ketzeriſch
geſcholten, einzeln und bei ihrem Namen aufgerufen, ihre
Rede zu beweiſen. Einige waren nicht erſchienen: Andre
ſchwiegen: noch Andere erklärten ſich zuletzt überzeugt und
entſchuldigten ſich nur, daß ſie den allgemeinen Irrthum
getheilt. Es war ein Abt, jener Abt von Cappel, der zum
Schluß die Herren von Zürich ermahnte, ſich nun auch
unerſchrocken der Sache des Evangeliums anzunehmen. 1
Hierauf ward den Seelſorgern befohlen, nicht wider die
Artikel zu predigen, welche in der Disputation den Sieg
behalten hatten. Zwingli verfaßte eine Anleitung für ſie,
die ihnen unter öffentlicher Autorität bekannt gemacht wurde,

iſt freilich auch keine Kirche, aber ſie vindicirt der Gemeinde das Recht
der Autonomie. Sie iſt der erſte Anſatz zur Presbyterialverfaſſung.
1 Acta der zweiten Disputation (26, 27, 28 Wynmonats)
Zwingli’s Werke I, 539. Es exiſtirt auch ein Bericht daruͤber von
Johann Salat, Gerichtſchreiber zu Lucern. In Fuͤßli’s Beitraͤgen
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[76/0092] Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel. nur Zürcheriſche Geiſtliche aus der Stadt und vom Lande, mit wenigen Fremden — wie dort Boten von Antiochien zuge- gen geweſen — die ſich unter Leitung des Bürgermeiſters Marx Röuſt auf dem Rathhauſe verſammelten, um über zwei der wichtigſten Fragen, welche die Chriſtenheit beſchäftigen konn- ten, zu Rathe zu gehn. Meiſter Leu (Leo Judä) Leutprie- ſter zu St. Peter und Zwingli ſtellten die Sätze auf, welche ſie vertheidigen wollten, der eine, daß man keine Bilder zum Gottesdienſt machen dürfe, der andre, daß die Meſſe kein Opfer ſey; und luden einen Jeden der eine andre Mei- nung hege ein, ſie aus der Schrift zu widerlegen. Wohl erhob ſich Einer und der Andre; doch waren ihre Gründe leicht beſeitigt. Dann wurden die, welche ſich den Neue- rungen beſonders eifrig entgegengeſetzt und ſie etwa ketzeriſch geſcholten, einzeln und bei ihrem Namen aufgerufen, ihre Rede zu beweiſen. Einige waren nicht erſchienen: Andre ſchwiegen: noch Andere erklärten ſich zuletzt überzeugt und entſchuldigten ſich nur, daß ſie den allgemeinen Irrthum getheilt. Es war ein Abt, jener Abt von Cappel, der zum Schluß die Herren von Zürich ermahnte, ſich nun auch unerſchrocken der Sache des Evangeliums anzunehmen. 1 Hierauf ward den Seelſorgern befohlen, nicht wider die Artikel zu predigen, welche in der Disputation den Sieg behalten hatten. Zwingli verfaßte eine Anleitung für ſie, die ihnen unter öffentlicher Autorität bekannt gemacht wurde, 2 1 Acta der zweiten Disputation (26, 27, 28 Wynmonats) Zwingli’s Werke I, 539. Es exiſtirt auch ein Bericht daruͤber von Johann Salat, Gerichtſchreiber zu Lucern. In Fuͤßli’s Beitraͤgen III, 1 iſt demſelben ſein Recht geſchehn. 2 iſt freilich auch keine Kirche, aber ſie vindicirt der Gemeinde das Recht der Autonomie. Sie iſt der erſte Anſatz zur Presbyterialverfaſſung.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/92>, abgerufen am 20.04.2024.