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Rapsilber, Maximilian: Das Reichstags-Gebäude. Berlin, 1895.

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Das architektonische System der Facaden ist in den Formen
der Hochrenaissance durchgeführt und zwar überall in einer den
Anschauungen der Neuzeit entsprechenden Umbildung, in welcher
der persönliche Stil Wallot's unverkennbar zu Tage tritt, Das
gerade bedingt die eigenartige Schönheit des Reichstagshauses. Straff
und wuchtig wachsen die Flächen und Linien aus dem Boden empor,
in lichten und kühnen Ausladungen erhält die Silhouette des Gebäudes
eine charaktervolle Kraft, die Mittelrisalite der Fronten und die festen
Eckpfeiler des Hauses, die vier Thürme, vereinigen in den orna¬
mentalen Symbolen die Herrlichkeit des neuerstandenen Reiches,
gleichsam zu Stein gewordene Siegeshymnen, in majestätischer Monu¬
mentalität spannt sich die goldstrahlende Kuppel über dem Herzen
des Bauwerks aus, und die Reichskrone dominirt auf dem Gipfel
des Hauses.

Das Erdgeschoss kennzeichnet sich in dem tiefgefugten Quader¬
werk als der Sockel des Gebäudes. Die Dreiviertelsäulen an der
Hauptfront und am Ostvorbau, sowie die Pfeiler an den Nebenfronten
bedingen die einheitliche monumentale Höhenentwicklung. Ueber
den herrlichen Kompositakapitälen legt sich der Architrav wie ein
ehernes Band rings um das Bauwerk, und die treibende Kraft der
Stützen schiesst über das von Konsolen getragene Hauptgesims in
den eigenartigen fialenähnlichen Aufsätzen empor, wie denn überhaupt
alle aufstrebenden Linien in vielgestaltenen Skulpturen gedankenvoll
und poetisch in der Höhe ausklingen.

Charakteristisch für die künstlerische Art Wallot's ist die Be¬
handlung der Fenster. An den verschiedenartigen Fenstern ist die
Zweckbestimmung der dahinter liegenden Räume unschwer zu er¬
kennen. Die mächtigen Lichtöffnungen an der Westfront, in den
Risaliten und den Thürmen weisen auf die Repräsentationsräume hin.
In den Nebenfronten, wo das Zwischengeschoss eingelegt ist, ergaben
sich, vom Sockelbau abgesehen, drei Fensterreihen, welche die monu¬
mentale Wirkung der Fronten nicht beeinträchtigen durften. Sie
mussten schlicht behandelt werden, weil es sich hier um blosse

Das architektonische System der Façaden ist in den Formen
der Hochrenaissance durchgeführt und zwar überall in einer den
Anschauungen der Neuzeit entsprechenden Umbildung, in welcher
der persönliche Stil Wallot's unverkennbar zu Tage tritt, Das
gerade bedingt die eigenartige Schönheit des Reichstagshauses. Straff
und wuchtig wachsen die Flächen und Linien aus dem Boden empor,
in lichten und kühnen Ausladungen erhält die Silhouette des Gebäudes
eine charaktervolle Kraft, die Mittelrisalite der Fronten und die festen
Eckpfeiler des Hauses, die vier Thürme, vereinigen in den orna¬
mentalen Symbolen die Herrlichkeit des neuerstandenen Reiches,
gleichsam zu Stein gewordene Siegeshymnen, in majestätischer Monu¬
mentalität spannt sich die goldstrahlende Kuppel über dem Herzen
des Bauwerks aus, und die Reichskrone dominirt auf dem Gipfel
des Hauses.

Das Erdgeschoss kennzeichnet sich in dem tiefgefugten Quader¬
werk als der Sockel des Gebäudes. Die Dreiviertelsäulen an der
Hauptfront und am Ostvorbau, sowie die Pfeiler an den Nebenfronten
bedingen die einheitliche monumentale Höhenentwicklung. Ueber
den herrlichen Kompositakapitälen legt sich der Architrav wie ein
ehernes Band rings um das Bauwerk, und die treibende Kraft der
Stützen schiesst über das von Konsolen getragene Hauptgesims in
den eigenartigen fialenähnlichen Aufsätzen empor, wie denn überhaupt
alle aufstrebenden Linien in vielgestaltenen Skulpturen gedankenvoll
und poetisch in der Höhe ausklingen.

Charakteristisch für die künstlerische Art Wallot's ist die Be¬
handlung der Fenster. An den verschiedenartigen Fenstern ist die
Zweckbestimmung der dahinter liegenden Räume unschwer zu er¬
kennen. Die mächtigen Lichtöffnungen an der Westfront, in den
Risaliten und den Thürmen weisen auf die Repräsentationsräume hin.
In den Nebenfronten, wo das Zwischengeschoss eingelegt ist, ergaben
sich, vom Sockelbau abgesehen, drei Fensterreihen, welche die monu¬
mentale Wirkung der Fronten nicht beeinträchtigen durften. Sie
mussten schlicht behandelt werden, weil es sich hier um blosse

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[21/0027] Das architektonische System der Façaden ist in den Formen der Hochrenaissance durchgeführt und zwar überall in einer den Anschauungen der Neuzeit entsprechenden Umbildung, in welcher der persönliche Stil Wallot's unverkennbar zu Tage tritt, Das gerade bedingt die eigenartige Schönheit des Reichstagshauses. Straff und wuchtig wachsen die Flächen und Linien aus dem Boden empor, in lichten und kühnen Ausladungen erhält die Silhouette des Gebäudes eine charaktervolle Kraft, die Mittelrisalite der Fronten und die festen Eckpfeiler des Hauses, die vier Thürme, vereinigen in den orna¬ mentalen Symbolen die Herrlichkeit des neuerstandenen Reiches, gleichsam zu Stein gewordene Siegeshymnen, in majestätischer Monu¬ mentalität spannt sich die goldstrahlende Kuppel über dem Herzen des Bauwerks aus, und die Reichskrone dominirt auf dem Gipfel des Hauses. Das Erdgeschoss kennzeichnet sich in dem tiefgefugten Quader¬ werk als der Sockel des Gebäudes. Die Dreiviertelsäulen an der Hauptfront und am Ostvorbau, sowie die Pfeiler an den Nebenfronten bedingen die einheitliche monumentale Höhenentwicklung. Ueber den herrlichen Kompositakapitälen legt sich der Architrav wie ein ehernes Band rings um das Bauwerk, und die treibende Kraft der Stützen schiesst über das von Konsolen getragene Hauptgesims in den eigenartigen fialenähnlichen Aufsätzen empor, wie denn überhaupt alle aufstrebenden Linien in vielgestaltenen Skulpturen gedankenvoll und poetisch in der Höhe ausklingen. Charakteristisch für die künstlerische Art Wallot's ist die Be¬ handlung der Fenster. An den verschiedenartigen Fenstern ist die Zweckbestimmung der dahinter liegenden Räume unschwer zu er¬ kennen. Die mächtigen Lichtöffnungen an der Westfront, in den Risaliten und den Thürmen weisen auf die Repräsentationsräume hin. In den Nebenfronten, wo das Zwischengeschoss eingelegt ist, ergaben sich, vom Sockelbau abgesehen, drei Fensterreihen, welche die monu¬ mentale Wirkung der Fronten nicht beeinträchtigen durften. Sie mussten schlicht behandelt werden, weil es sich hier um blosse

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Zitationshilfe: Rapsilber, Maximilian: Das Reichstags-Gebäude. Berlin, 1895, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rapsilber_reichstagsgebaeude_1895/27>, abgerufen am 29.03.2024.