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Rapsilber, Maximilian: Das Reichstags-Gebäude. Berlin, 1895.

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Die pausbäckigen Kinder vergnügen sich nach Herzenslust, sie klettern
nach den Aepfeln empor, schaukeln, tanzen und wiegen sich in den
Zweigen, schneiden ergötzliche Grimmassen, trommeln, fiedeln und
pauken, reiten auf Steckenpferden einher, sie prügeln und zausen
sich aus allen Leibeskräften, der eine streichelt seine geschwollene
Backe, ein anderer zwickt mit einem zangenartigen Spielzeug einen
diebischen Kater in den Schwanz, andere wieder, von fröhlichem
Gelage heimkehrend, verüben einen tollen Fastnachtsulk, der Rädels¬
führer reitet auf einem feisten Mutterschwein, und voran jagt die
beängstigte Schaar der Ferkelchen, ob der langohrigen Narrenkappen,
mit denen man ihr Haupt geschmückt, auf's Höchste entsetzt. Für
die ausserordentliche Wölbung nun eine Wandtäfelung zu entwerfen,
die dem Auge eine ausreichende Tragfähigkeit darbietet, war eine
schwierige Aufgabe. Wallot löste das Problem durch eine schlichte,
architektonisch streng gedachte Pfeilerstruktur, die bei aller markigen
Gedrungenheit doch auch wieder eine festlich bewegte, graziöse
Leichtigkeit besitzt. In die durch die Fenster und Thüren begrenzten
Wandabtheilungen sind muschelartig ausgewölbte Nischen mit den
elektrischen Wandarmen eingelassen. Der durch die Thüren unter¬
brochene Architrav ist durch einen zierlichen Zahnschnitt gehoben,
und auf das Hauptgesims ist noch eine Attika aufgesetzt, welche die
Gitteröffnungen der Heizung enthält. Grotesken und Masken ver¬
vollständigen den Schmuck der Täfelung. Das monumentale Buffet
an der nördlichen Schmalseite des Saales ist gleichfalls in Eichenholz
geschnitzt. Es ist mit Nischen, Fächern, Karyatiden mit Weintrauben,
Engeln, Grotesken etc. mannigfach gegliedert, eine Kunstleistung von
hoher Schönheit. Die Uhr über dem Portal an der andern Schmal¬
seite ist durch phantastische Symbole der irdischen Vergänglichkeit
ausgestattet, und zwei heraldisch stilisirte aufrechte Löwen in der
bemalten Wandfläche flankiren bedeutungsvoll den Zeitmesser. Der
zweite Erfrischungssaal im südwestlichen Eckthurm weist eine acht¬
eckige Grundform auf bei einem Durchmesser von 13,21 m. An
den vier Schmalseiten und den daran grenzenden Theilen sind

Die pausbäckigen Kinder vergnügen sich nach Herzenslust, sie klettern
nach den Aepfeln empor, schaukeln, tanzen und wiegen sich in den
Zweigen, schneiden ergötzliche Grimmassen, trommeln, fiedeln und
pauken, reiten auf Steckenpferden einher, sie prügeln und zausen
sich aus allen Leibeskräften, der eine streichelt seine geschwollene
Backe, ein anderer zwickt mit einem zangenartigen Spielzeug einen
diebischen Kater in den Schwanz, andere wieder, von fröhlichem
Gelage heimkehrend, verüben einen tollen Fastnachtsulk, der Rädels¬
führer reitet auf einem feisten Mutterschwein, und voran jagt die
beängstigte Schaar der Ferkelchen, ob der langohrigen Narrenkappen,
mit denen man ihr Haupt geschmückt, auf's Höchste entsetzt. Für
die ausserordentliche Wölbung nun eine Wandtäfelung zu entwerfen,
die dem Auge eine ausreichende Tragfähigkeit darbietet, war eine
schwierige Aufgabe. Wallot löste das Problem durch eine schlichte,
architektonisch streng gedachte Pfeilerstruktur, die bei aller markigen
Gedrungenheit doch auch wieder eine festlich bewegte, graziöse
Leichtigkeit besitzt. In die durch die Fenster und Thüren begrenzten
Wandabtheilungen sind muschelartig ausgewölbte Nischen mit den
elektrischen Wandarmen eingelassen. Der durch die Thüren unter¬
brochene Architrav ist durch einen zierlichen Zahnschnitt gehoben,
und auf das Hauptgesims ist noch eine Attika aufgesetzt, welche die
Gitteröffnungen der Heizung enthält. Grotesken und Masken ver¬
vollständigen den Schmuck der Täfelung. Das monumentale Buffet
an der nördlichen Schmalseite des Saales ist gleichfalls in Eichenholz
geschnitzt. Es ist mit Nischen, Fächern, Karyatiden mit Weintrauben,
Engeln, Grotesken etc. mannigfach gegliedert, eine Kunstleistung von
hoher Schönheit. Die Uhr über dem Portal an der andern Schmal¬
seite ist durch phantastische Symbole der irdischen Vergänglichkeit
ausgestattet, und zwei heraldisch stilisirte aufrechte Löwen in der
bemalten Wandfläche flankiren bedeutungsvoll den Zeitmesser. Der
zweite Erfrischungssaal im südwestlichen Eckthurm weist eine acht¬
eckige Grundform auf bei einem Durchmesser von 13,21 m. An
den vier Schmalseiten und den daran grenzenden Theilen sind

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[39/0045] Die pausbäckigen Kinder vergnügen sich nach Herzenslust, sie klettern nach den Aepfeln empor, schaukeln, tanzen und wiegen sich in den Zweigen, schneiden ergötzliche Grimmassen, trommeln, fiedeln und pauken, reiten auf Steckenpferden einher, sie prügeln und zausen sich aus allen Leibeskräften, der eine streichelt seine geschwollene Backe, ein anderer zwickt mit einem zangenartigen Spielzeug einen diebischen Kater in den Schwanz, andere wieder, von fröhlichem Gelage heimkehrend, verüben einen tollen Fastnachtsulk, der Rädels¬ führer reitet auf einem feisten Mutterschwein, und voran jagt die beängstigte Schaar der Ferkelchen, ob der langohrigen Narrenkappen, mit denen man ihr Haupt geschmückt, auf's Höchste entsetzt. Für die ausserordentliche Wölbung nun eine Wandtäfelung zu entwerfen, die dem Auge eine ausreichende Tragfähigkeit darbietet, war eine schwierige Aufgabe. Wallot löste das Problem durch eine schlichte, architektonisch streng gedachte Pfeilerstruktur, die bei aller markigen Gedrungenheit doch auch wieder eine festlich bewegte, graziöse Leichtigkeit besitzt. In die durch die Fenster und Thüren begrenzten Wandabtheilungen sind muschelartig ausgewölbte Nischen mit den elektrischen Wandarmen eingelassen. Der durch die Thüren unter¬ brochene Architrav ist durch einen zierlichen Zahnschnitt gehoben, und auf das Hauptgesims ist noch eine Attika aufgesetzt, welche die Gitteröffnungen der Heizung enthält. Grotesken und Masken ver¬ vollständigen den Schmuck der Täfelung. Das monumentale Buffet an der nördlichen Schmalseite des Saales ist gleichfalls in Eichenholz geschnitzt. Es ist mit Nischen, Fächern, Karyatiden mit Weintrauben, Engeln, Grotesken etc. mannigfach gegliedert, eine Kunstleistung von hoher Schönheit. Die Uhr über dem Portal an der andern Schmal¬ seite ist durch phantastische Symbole der irdischen Vergänglichkeit ausgestattet, und zwei heraldisch stilisirte aufrechte Löwen in der bemalten Wandfläche flankiren bedeutungsvoll den Zeitmesser. Der zweite Erfrischungssaal im südwestlichen Eckthurm weist eine acht¬ eckige Grundform auf bei einem Durchmesser von 13,21 m. An den vier Schmalseiten und den daran grenzenden Theilen sind

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Zitationshilfe: Rapsilber, Maximilian: Das Reichstags-Gebäude. Berlin, 1895, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rapsilber_reichstagsgebaeude_1895/45>, abgerufen am 29.03.2024.