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Rapsilber, Maximilian: Das Reichstags-Gebäude. Berlin, 1895.

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Als das heilige römische Reich deutscher Nation, die Gründung
Karls des Grossen, altersmüde dahinsank, da keimte in den Herzen
der deutschen Jugend ein frühlingsfrisches Sehnen nach der Wieder¬
geburt des Vaterlandes. Der Dämon Napoleon war bezwungen, das
himmelanstrebende Wahrzeichen Erwin von Steinbach's mahnte
jenseits der Grenzscheide des Rheins an eine heilige Pflicht, an die
Erlösung eines urdeutschen Stammes aus den Fesseln der Fremd¬
herrschaft. Aber die Stimme Wilhelm von Humboldt's, des herrlichen
deutschen Mannes, verhallte wirkungslos, halbasiatische Willkür mischte
sich brutal in die vaterländischen Angelegenheiten, unter dem frostigen
harten Zwange neigte die Frühlingsblume der Begeisterung trauernd
das Haupt. Preussen, selber noch aus tausend Wunden blutend, war
noch nicht zu seiner grossen Mission gewappnet. Aber die Sehnsucht
nach der Erfüllung des Heldentraums blieb in den Tiefen der Volks¬
seele lebendig und die Wurzeln der vorgeahnten Machtgrösse senkten
sich tiefer und tiefer in den tausendjährigen Boden der deutschen
Kulturwelt. Das Geschlecht der Feiheitskämpfer nahm seine roman¬
tischen, traumschönen Ideale mit ins Grab, aber sein Vermächtniss
verpflanzte sich auf die folgende Generation, welche klaren Blickes,
nüchtern und thatenstark die Fundamente der kommenden Zeit gelegt
hat. Langsam, wie die Eichensaat, reifte das Geschick heran, die

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Als das heilige römische Reich deutscher Nation, die Gründung
Karls des Grossen, altersmüde dahinsank, da keimte in den Herzen
der deutschen Jugend ein frühlingsfrisches Sehnen nach der Wieder¬
geburt des Vaterlandes. Der Dämon Napoleon war bezwungen, das
himmelanstrebende Wahrzeichen Erwin von Steinbach's mahnte
jenseits der Grenzscheide des Rheins an eine heilige Pflicht, an die
Erlösung eines urdeutschen Stammes aus den Fesseln der Fremd¬
herrschaft. Aber die Stimme Wilhelm von Humboldt's, des herrlichen
deutschen Mannes, verhallte wirkungslos, halbasiatische Willkür mischte
sich brutal in die vaterländischen Angelegenheiten, unter dem frostigen
harten Zwange neigte die Frühlingsblume der Begeisterung trauernd
das Haupt. Preussen, selber noch aus tausend Wunden blutend, war
noch nicht zu seiner grossen Mission gewappnet. Aber die Sehnsucht
nach der Erfüllung des Heldentraums blieb in den Tiefen der Volks¬
seele lebendig und die Wurzeln der vorgeahnten Machtgrösse senkten
sich tiefer und tiefer in den tausendjährigen Boden der deutschen
Kulturwelt. Das Geschlecht der Feiheitskämpfer nahm seine roman¬
tischen, traumschönen Ideale mit ins Grab, aber sein Vermächtniss
verpflanzte sich auf die folgende Generation, welche klaren Blickes,
nüchtern und thatenstark die Fundamente der kommenden Zeit gelegt
hat. Langsam, wie die Eichensaat, reifte das Geschick heran, die

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[3/0009] Als das heilige römische Reich deutscher Nation, die Gründung Karls des Grossen, altersmüde dahinsank, da keimte in den Herzen der deutschen Jugend ein frühlingsfrisches Sehnen nach der Wieder¬ geburt des Vaterlandes. Der Dämon Napoleon war bezwungen, das himmelanstrebende Wahrzeichen Erwin von Steinbach's mahnte jenseits der Grenzscheide des Rheins an eine heilige Pflicht, an die Erlösung eines urdeutschen Stammes aus den Fesseln der Fremd¬ herrschaft. Aber die Stimme Wilhelm von Humboldt's, des herrlichen deutschen Mannes, verhallte wirkungslos, halbasiatische Willkür mischte sich brutal in die vaterländischen Angelegenheiten, unter dem frostigen harten Zwange neigte die Frühlingsblume der Begeisterung trauernd das Haupt. Preussen, selber noch aus tausend Wunden blutend, war noch nicht zu seiner grossen Mission gewappnet. Aber die Sehnsucht nach der Erfüllung des Heldentraums blieb in den Tiefen der Volks¬ seele lebendig und die Wurzeln der vorgeahnten Machtgrösse senkten sich tiefer und tiefer in den tausendjährigen Boden der deutschen Kulturwelt. Das Geschlecht der Feiheitskämpfer nahm seine roman¬ tischen, traumschönen Ideale mit ins Grab, aber sein Vermächtniss verpflanzte sich auf die folgende Generation, welche klaren Blickes, nüchtern und thatenstark die Fundamente der kommenden Zeit gelegt hat. Langsam, wie die Eichensaat, reifte das Geschick heran, die 1*

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Zitationshilfe: Rapsilber, Maximilian: Das Reichstags-Gebäude. Berlin, 1895, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rapsilber_reichstagsgebaeude_1895/9>, abgerufen am 19.04.2024.