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Reichardt, Christian: Land- u. Garten-Schatzes. Bd. 2. Erfurt, 1753.

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6. Cap. Vom Oculiren.
aber seine gute Art für sich behält, und unten
dem wilden Stamme seine wilde Art lässet.
Dieses beweise damit, wenn ein Reis auf einem
gepfropften Baume ausschlägt, und zwar über
der Gegend, wo der wilde Stam abgeschnitten
ist, so werden die Früchte, so auf diesen Zweigen
oder Aesten wachsen, gut schmecken, so aber ein
Zweig ausschlägt, unter dem aufgesetzten Pfropf-
Reise, oder auch an der Wurzel, und man lässet
solchen Zweig fortwachsen, daß er Früchte trägt,
so sind es keine gute, sondern wilde Früchte, und
also ist ja der Stam, so weit er bey der Pfropfung
weggeschnitten worden, wie vor noch wilder Art,
und ob er auch an den obern gepfropften Aesten
hätte 20, 30 und mehr Jahre gute Früchte getra-
gen. Hieraus wird ein jeder genugsam sehen,
daß mit der Pfropfung eines Baumes im ge-
ringsten keine Verwandelung vorgehet, denn ob
sich das gute Reis gleich mit dem wilden Stam-
me vereinbaret und ein ganzer Baum daraus
wird, so geschiehet es doch nicht Verwandlungs-
weise, sondern nur zu reden Vereinigungsweise,
da das Pfropf-Reis, nachdem es auf den wilden
abgeschnittenen Stam gesetzet wird, die Stelle
des vorhergehenden abgeschnittenen Gipfels ver-
trit, und den Saft durch den untersten wilden
Stam aus der Erde in sich ziehet, weil alles hu-
midum
oder Feuchtigkeit, so in den Gewächsen
ist, seinen Zug von der Wurzel ab, nach den Ae-
sten und Gipfel zu nimt, nichts wird aber von
den Aesten zurück nach der Wurzel geführet, es

blei-
F 2

6. Cap. Vom Oculiren.
aber ſeine gute Art fuͤr ſich behaͤlt, und unten
dem wilden Stamme ſeine wilde Art laͤſſet.
Dieſes beweiſe damit, wenn ein Reis auf einem
gepfropften Baume ausſchlaͤgt, und zwar uͤber
der Gegend, wo der wilde Stam abgeſchnitten
iſt, ſo werden die Fruͤchte, ſo auf dieſen Zweigen
oder Aeſten wachſen, gut ſchmecken, ſo aber ein
Zweig ausſchlaͤgt, unter dem aufgeſetzten Pfropf-
Reiſe, oder auch an der Wurzel, und man laͤſſet
ſolchen Zweig fortwachſen, daß er Fruͤchte traͤgt,
ſo ſind es keine gute, ſondern wilde Fruͤchte, und
alſo iſt ja der Stam, ſo weit er bey der Pfropfung
weggeſchnitten worden, wie vor noch wilder Art,
und ob er auch an den obern gepfropften Aeſten
haͤtte 20, 30 und mehr Jahre gute Fruͤchte getra-
gen. Hieraus wird ein jeder genugſam ſehen,
daß mit der Pfropfung eines Baumes im ge-
ringſten keine Verwandelung vorgehet, denn ob
ſich das gute Reis gleich mit dem wilden Stam-
me vereinbaret und ein ganzer Baum daraus
wird, ſo geſchiehet es doch nicht Verwandlungs-
weiſe, ſondern nur zu reden Vereinigungsweiſe,
da das Pfropf-Reis, nachdem es auf den wilden
abgeſchnittenen Stam geſetzet wird, die Stelle
des vorhergehenden abgeſchnittenen Gipfels ver-
trit, und den Saft durch den unterſten wilden
Stam aus der Erde in ſich ziehet, weil alles hu-
midum
oder Feuchtigkeit, ſo in den Gewaͤchſen
iſt, ſeinen Zug von der Wurzel ab, nach den Ae-
ſten und Gipfel zu nimt, nichts wird aber von
den Aeſten zuruͤck nach der Wurzel gefuͤhret, es

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[83/0115] 6. Cap. Vom Oculiren. aber ſeine gute Art fuͤr ſich behaͤlt, und unten dem wilden Stamme ſeine wilde Art laͤſſet. Dieſes beweiſe damit, wenn ein Reis auf einem gepfropften Baume ausſchlaͤgt, und zwar uͤber der Gegend, wo der wilde Stam abgeſchnitten iſt, ſo werden die Fruͤchte, ſo auf dieſen Zweigen oder Aeſten wachſen, gut ſchmecken, ſo aber ein Zweig ausſchlaͤgt, unter dem aufgeſetzten Pfropf- Reiſe, oder auch an der Wurzel, und man laͤſſet ſolchen Zweig fortwachſen, daß er Fruͤchte traͤgt, ſo ſind es keine gute, ſondern wilde Fruͤchte, und alſo iſt ja der Stam, ſo weit er bey der Pfropfung weggeſchnitten worden, wie vor noch wilder Art, und ob er auch an den obern gepfropften Aeſten haͤtte 20, 30 und mehr Jahre gute Fruͤchte getra- gen. Hieraus wird ein jeder genugſam ſehen, daß mit der Pfropfung eines Baumes im ge- ringſten keine Verwandelung vorgehet, denn ob ſich das gute Reis gleich mit dem wilden Stam- me vereinbaret und ein ganzer Baum daraus wird, ſo geſchiehet es doch nicht Verwandlungs- weiſe, ſondern nur zu reden Vereinigungsweiſe, da das Pfropf-Reis, nachdem es auf den wilden abgeſchnittenen Stam geſetzet wird, die Stelle des vorhergehenden abgeſchnittenen Gipfels ver- trit, und den Saft durch den unterſten wilden Stam aus der Erde in ſich ziehet, weil alles hu- midum oder Feuchtigkeit, ſo in den Gewaͤchſen iſt, ſeinen Zug von der Wurzel ab, nach den Ae- ſten und Gipfel zu nimt, nichts wird aber von den Aeſten zuruͤck nach der Wurzel gefuͤhret, es blei- F 2

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Zitationshilfe: Reichardt, Christian: Land- u. Garten-Schatzes. Bd. 2. Erfurt, 1753, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reichart_landschatz02_1753/115>, abgerufen am 18.04.2024.