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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

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Die Seelenkrankheiten sind vor allen ande-
ren dazu geneigt, sich zusammenzusetzen. Und
davon liegt die Ursache in dem zusammengesetz-
ten Bau des Gehirns, in der beweglichen Tem-
peratur seiner Kräfte und in der engen Verbin-
dung seiner Theile unter sich und mit den übri-
gen Getrieben des Nervensystems.

In den Gruppen und Zügen sind bloss die
Arten absolut bestimmt, aber keinesweges die
Regeln ihrer Construktion, die nemlich erst
durch das Individuum gegeben werden, in wel-
chem sie vorkommen. Wer sie daher für Ein-
heiten hält, geräth in Verwirrung, wenn er sie
bald in dieser, bald in einer andern Gestalt antrifft.
Man muss sie also in ihre Elemente zergliedern,
die beständig sind, wenn man zu ihrer Erkennt-
niss gelangen will, und daher das Studium
der Seelenkrankheiten mit den Arten
anfangen
.

Allein wie werden dieselben aufgefunden?
Durch Absonderung der einfachsten Zustände, die
in Rücksicht ihrer wesentlichen Merkmale un-
wandelbar sind. Dazu wird ein grosser Vorrath
zweckmässiger Beobachtungen erfordert. Die
Regeln, nach welchen dies geschehen muss, lie-
gen ausserhalb meiner Sphäre. Die aufgefund-
nen Arten werden vorerst noch, so lang uns die
Natur der dynamischen Seelenkrankheiten an
sich unbekannt ist, auf die Grundvermögen der
Seele bezogen und nach ihrem Einfluss auf das

Die Seelenkrankheiten ſind vor allen ande-
ren dazu geneigt, ſich zuſammenzuſetzen. Und
davon liegt die Urſache in dem zuſammengeſetz-
ten Bau des Gehirns, in der beweglichen Tem-
peratur ſeiner Kräfte und in der engen Verbin-
dung ſeiner Theile unter ſich und mit den übri-
gen Getrieben des Nervenſyſtems.

In den Gruppen und Zügen ſind bloſs die
Arten abſolut beſtimmt, aber keinesweges die
Regeln ihrer Conſtruktion, die nemlich erſt
durch das Individuum gegeben werden, in wel-
chem ſie vorkommen. Wer ſie daher für Ein-
heiten hält, geräth in Verwirrung, wenn er ſie
bald in dieſer, bald in einer andern Geſtalt antrifft.
Man muſs ſie alſo in ihre Elemente zergliedern,
die beſtändig ſind, wenn man zu ihrer Erkennt-
niſs gelangen will, und daher das Studium
der Seelenkrankheiten mit den Arten
anfangen
.

Allein wie werden dieſelben aufgefunden?
Durch Abſonderung der einfachſten Zuſtände, die
in Rückſicht ihrer weſentlichen Merkmale un-
wandelbar ſind. Dazu wird ein groſser Vorrath
zweckmäſsiger Beobachtungen erfordert. Die
Regeln, nach welchen dies geſchehen muſs, lie-
gen auſserhalb meiner Sphäre. Die aufgefund-
nen Arten werden vorerſt noch, ſo lang uns die
Natur der dynamiſchen Seelenkrankheiten an
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[124/0129] Die Seelenkrankheiten ſind vor allen ande- ren dazu geneigt, ſich zuſammenzuſetzen. Und davon liegt die Urſache in dem zuſammengeſetz- ten Bau des Gehirns, in der beweglichen Tem- peratur ſeiner Kräfte und in der engen Verbin- dung ſeiner Theile unter ſich und mit den übri- gen Getrieben des Nervenſyſtems. In den Gruppen und Zügen ſind bloſs die Arten abſolut beſtimmt, aber keinesweges die Regeln ihrer Conſtruktion, die nemlich erſt durch das Individuum gegeben werden, in wel- chem ſie vorkommen. Wer ſie daher für Ein- heiten hält, geräth in Verwirrung, wenn er ſie bald in dieſer, bald in einer andern Geſtalt antrifft. Man muſs ſie alſo in ihre Elemente zergliedern, die beſtändig ſind, wenn man zu ihrer Erkennt- niſs gelangen will, und daher das Studium der Seelenkrankheiten mit den Arten anfangen. Allein wie werden dieſelben aufgefunden? Durch Abſonderung der einfachſten Zuſtände, die in Rückſicht ihrer weſentlichen Merkmale un- wandelbar ſind. Dazu wird ein groſser Vorrath zweckmäſsiger Beobachtungen erfordert. Die Regeln, nach welchen dies geſchehen muſs, lie- gen auſserhalb meiner Sphäre. Die aufgefund- nen Arten werden vorerſt noch, ſo lang uns die Natur der dynamiſchen Seelenkrankheiten an ſich unbekannt iſt, auf die Grundvermögen der Seele bezogen und nach ihrem Einfluſs auf das

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Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/129>, abgerufen am 28.03.2024.