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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

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Der rastlose Wahnsinn steht zwar dem
vorigen entgegen, doch wechseln beide gern mit
einander. Dem Kranken ist es nirgends wohl,
er flieht, und weiss nicht warum und wohin. Er
flieht die Menschen, sucht einsame, meistens trau-
rige Oerter, schwärmt des Nachts unter den Grä-
bern herum, ohne sich eines bestimmten Zwecks
bewusst zu seyn. Die Grade der Krankheit sind
verschieden. Einige Hypochondristen haben eine
innere Angst, die sie nirgends zur Ruhe kommen
lässt. Der bekannte Grotthouss gehörte zu
diesen Patienten. Wagner *) beschreibt einen
ähnlichen Sonderling, der immer von einem Ort
zum andern herumirrt. So lange man ihn als
Gast behandelt, spricht er ganz vernünftig; sobald
er aber ermahnt wird, an einem Ort länger zu
verweilen, so wird er fast rasend, und verflucht
seine Feinde, die ihn an seinem Glücke hindern
wollen. Auf seinen Reisen sucht er überall Be-
förderung; kaum hat er aber irgend ein Aemt-
chen erhalten, so denkt er schon an eine Verän-
derung, sucht sich von der Stelle, welche er be-
kleidet, loszumachen, und geht weiter. Ein
Aufenthalt von drey Tagen ist für ihn eine Ewig-
keit. Fragt man ihn, wo er hinreise, so giebt er
zur Antwort, er suche eine Condition. Er klagt
nie über Mattigkeit von den vielen Reisen. Zu-
weilen findet sich ein Anfall dieser Krankheit zu
Anfang der Pubertät ein, der sich aber meistens

*) Beitr. 1 B. 267 S.

Der raſtloſe Wahnſinn ſteht zwar dem
vorigen entgegen, doch wechſeln beide gern mit
einander. Dem Kranken iſt es nirgends wohl,
er flieht, und weiſs nicht warum und wohin. Er
flieht die Menſchen, ſucht einſame, meiſtens trau-
rige Oerter, ſchwärmt des Nachts unter den Grä-
bern herum, ohne ſich eines beſtimmten Zwecks
bewuſst zu ſeyn. Die Grade der Krankheit ſind
verſchieden. Einige Hypochondriſten haben eine
innere Angſt, die ſie nirgends zur Ruhe kommen
läſst. Der bekannte Grotthouſs gehörte zu
dieſen Patienten. Wagner *) beſchreibt einen
ähnlichen Sonderling, der immer von einem Ort
zum andern herumirrt. So lange man ihn als
Gaſt behandelt, ſpricht er ganz vernünftig; ſobald
er aber ermahnt wird, an einem Ort länger zu
verweilen, ſo wird er faſt raſend, und verflucht
ſeine Feinde, die ihn an ſeinem Glücke hindern
wollen. Auf ſeinen Reiſen ſucht er überall Be-
förderung; kaum hat er aber irgend ein Aemt-
chen erhalten, ſo denkt er ſchon an eine Verän-
derung, ſucht ſich von der Stelle, welche er be-
kleidet, loszumachen, und geht weiter. Ein
Aufenthalt von drey Tagen iſt für ihn eine Ewig-
keit. Fragt man ihn, wo er hinreiſe, ſo giebt er
zur Antwort, er ſuche eine Condition. Er klagt
nie über Mattigkeit von den vielen Reiſen. Zu-
weilen findet ſich ein Anfall dieſer Krankheit zu
Anfang der Pubertät ein, der ſich aber meiſtens

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[363/0368] Der raſtloſe Wahnſinn ſteht zwar dem vorigen entgegen, doch wechſeln beide gern mit einander. Dem Kranken iſt es nirgends wohl, er flieht, und weiſs nicht warum und wohin. Er flieht die Menſchen, ſucht einſame, meiſtens trau- rige Oerter, ſchwärmt des Nachts unter den Grä- bern herum, ohne ſich eines beſtimmten Zwecks bewuſst zu ſeyn. Die Grade der Krankheit ſind verſchieden. Einige Hypochondriſten haben eine innere Angſt, die ſie nirgends zur Ruhe kommen läſst. Der bekannte Grotthouſs gehörte zu dieſen Patienten. Wagner *) beſchreibt einen ähnlichen Sonderling, der immer von einem Ort zum andern herumirrt. So lange man ihn als Gaſt behandelt, ſpricht er ganz vernünftig; ſobald er aber ermahnt wird, an einem Ort länger zu verweilen, ſo wird er faſt raſend, und verflucht ſeine Feinde, die ihn an ſeinem Glücke hindern wollen. Auf ſeinen Reiſen ſucht er überall Be- förderung; kaum hat er aber irgend ein Aemt- chen erhalten, ſo denkt er ſchon an eine Verän- derung, ſucht ſich von der Stelle, welche er be- kleidet, loszumachen, und geht weiter. Ein Aufenthalt von drey Tagen iſt für ihn eine Ewig- keit. Fragt man ihn, wo er hinreiſe, ſo giebt er zur Antwort, er ſuche eine Condition. Er klagt nie über Mattigkeit von den vielen Reiſen. Zu- weilen findet ſich ein Anfall dieſer Krankheit zu Anfang der Pubertät ein, der ſich aber meiſtens *) Beitr. 1 B. 267 S.

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Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/368>, abgerufen am 25.04.2024.