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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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IV. Orographie.
4. Die Gebirge des Kuwanto.

Die Gebirgsketten, welche wir als südöstliche und südliche Grenze
der Aidzu-taira und als südliche Fortsetzung ihres Westrandes be-
trachtet haben, gehören zwar, da sie ja Iwashiro, beziehungsweise
Echigo von Shimotsuke und Kotsuke scheiden, mit Rücksicht auf die
beiden letzten Provinzen auch dem Kuwanto an, doch wurden ihre
diesem zugekehrten Seiten nicht näher beachtet. Hier aber lagern
sich mehrere bemerkenswerthe vulkanische Gebirgsketten und Massen-
gebirge vor, welche wir nun im Zusammenhange mit verschiedenen
anderen etwas näher ins Auge fassen wollen. Obenan steht das
vulkanische Gebirge von Nikko. Nordwärts und etwa 36 ri
(191/4 g. M.) entfernt von Tokio erhebt sich dieses interessanteste Gebiet
Japans an der nordwestlichen Ecke von Shimotsuke, sich anlehnend
an den Gebirgsknoten des Akayasu-yama und die von demselben aus
nordöstlich nach Sano-toge führende Wasserscheide. Das ganze Ge-
biet, welches hier besonders in Betracht kommt, umfasst nur wenige
Quadratmeilen und wird von dem Daiya-gawa, einem rechten
Nebenflusse des von Sano-toge kommenden Kinu-gawa, durchströmt.
Als Centrum und zweithöchster Gipfel desselben ist der Nantai-san
(Futaara-san)
anzusehen, welcher auf der Nordostseite des Chiu-
zenji-Sees steil sich erhebt und bis zum Gipfel bewaldet ist. Der-
selbe heisst auch Nikko-san, gehört zu den heiligen Bergen des
Landes und wurde früher nur nach strengen Bussübungen vom See
und einem Tempel daselbst aus während einer Juliwoche bestiegen.
Beim Abfluss aus dem See macht der Daiya-gawa den hohen und
berühmten Wasserfall Kegon-no-taki und weiter abwärts noch
verschiedene Stromschnellen. Seine Quellen liegen beim Badeort
Yumoto am Fusse des Shirane-yama.

Neben prächtigen Bergformen, wilden Schluchten und mauerartig
aufsteigenden Felswänden findet man hier einen grossen Reichthum
an Wasser, bald in Gestalt klarer, tiefer Gebirgsseen von feierlicher
Stille, bald wieder in reizenden Fällen oder als murmelnde Bäche
tief eingegraben in schattiger Waldesschlucht. Daneben interessiert
und erfreut nicht minder eine überaus üppige und mannichfaltige
Vegetation. Mit der Natur hat die Kunst sich vereinigt, Nikko zur
sehenswerthesten Gegend Japans zu machen. Dort, wo der Daiya-
gawa die letzten Rhyolithfelsen bei dem Orte Hachiishi überspringt,
steigt zu seiner Linken ein Tempelhain sanft empor, in welchem sich
die Grabstätten der zwei mächtigsten Tokugawa-Shogune, des Iyeyasu
und seines Enkels Iyemitsu, befinden. Das ganze Land hat ge-

IV. Orographie.
4. Die Gebirge des Kuwantô.

Die Gebirgsketten, welche wir als südöstliche und südliche Grenze
der Aidzu-taira und als südliche Fortsetzung ihres Westrandes be-
trachtet haben, gehören zwar, da sie ja Iwashiro, beziehungsweise
Echigo von Shimotsuke und Kotsuke scheiden, mit Rücksicht auf die
beiden letzten Provinzen auch dem Kuwantô an, doch wurden ihre
diesem zugekehrten Seiten nicht näher beachtet. Hier aber lagern
sich mehrere bemerkenswerthe vulkanische Gebirgsketten und Massen-
gebirge vor, welche wir nun im Zusammenhange mit verschiedenen
anderen etwas näher ins Auge fassen wollen. Obenan steht das
vulkanische Gebirge von Nikkô. Nordwärts und etwa 36 ri
(19¼ g. M.) entfernt von Tôkio erhebt sich dieses interessanteste Gebiet
Japans an der nordwestlichen Ecke von Shimotsuke, sich anlehnend
an den Gebirgsknoten des Akayasu-yama und die von demselben aus
nordöstlich nach Sano-tôge führende Wasserscheide. Das ganze Ge-
biet, welches hier besonders in Betracht kommt, umfasst nur wenige
Quadratmeilen und wird von dem Daiya-gawa, einem rechten
Nebenflusse des von Sano-tôge kommenden Kinu-gawa, durchströmt.
Als Centrum und zweithöchster Gipfel desselben ist der Nantai-san
(Futaara-san)
anzusehen, welcher auf der Nordostseite des Chiu-
zenji-Sees steil sich erhebt und bis zum Gipfel bewaldet ist. Der-
selbe heisst auch Nikkô-san, gehört zu den heiligen Bergen des
Landes und wurde früher nur nach strengen Bussübungen vom See
und einem Tempel daselbst aus während einer Juliwoche bestiegen.
Beim Abfluss aus dem See macht der Daiya-gawa den hohen und
berühmten Wasserfall Kegon-no-taki und weiter abwärts noch
verschiedene Stromschnellen. Seine Quellen liegen beim Badeort
Yumoto am Fusse des Shirane-yama.

Neben prächtigen Bergformen, wilden Schluchten und mauerartig
aufsteigenden Felswänden findet man hier einen grossen Reichthum
an Wasser, bald in Gestalt klarer, tiefer Gebirgsseen von feierlicher
Stille, bald wieder in reizenden Fällen oder als murmelnde Bäche
tief eingegraben in schattiger Waldesschlucht. Daneben interessiert
und erfreut nicht minder eine überaus üppige und mannichfaltige
Vegetation. Mit der Natur hat die Kunst sich vereinigt, Nikkô zur
sehenswerthesten Gegend Japans zu machen. Dort, wo der Daiya-
gawa die letzten Rhyolithfelsen bei dem Orte Hachiishi überspringt,
steigt zu seiner Linken ein Tempelhain sanft empor, in welchem sich
die Grabstätten der zwei mächtigsten Tokugawa-Shôgune, des Iyeyasu
und seines Enkels Iyemitsu, befinden. Das ganze Land hat ge-

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[76/0098] IV. Orographie. 4. Die Gebirge des Kuwantô. Die Gebirgsketten, welche wir als südöstliche und südliche Grenze der Aidzu-taira und als südliche Fortsetzung ihres Westrandes be- trachtet haben, gehören zwar, da sie ja Iwashiro, beziehungsweise Echigo von Shimotsuke und Kotsuke scheiden, mit Rücksicht auf die beiden letzten Provinzen auch dem Kuwantô an, doch wurden ihre diesem zugekehrten Seiten nicht näher beachtet. Hier aber lagern sich mehrere bemerkenswerthe vulkanische Gebirgsketten und Massen- gebirge vor, welche wir nun im Zusammenhange mit verschiedenen anderen etwas näher ins Auge fassen wollen. Obenan steht das vulkanische Gebirge von Nikkô. Nordwärts und etwa 36 ri (19¼ g. M.) entfernt von Tôkio erhebt sich dieses interessanteste Gebiet Japans an der nordwestlichen Ecke von Shimotsuke, sich anlehnend an den Gebirgsknoten des Akayasu-yama und die von demselben aus nordöstlich nach Sano-tôge führende Wasserscheide. Das ganze Ge- biet, welches hier besonders in Betracht kommt, umfasst nur wenige Quadratmeilen und wird von dem Daiya-gawa, einem rechten Nebenflusse des von Sano-tôge kommenden Kinu-gawa, durchströmt. Als Centrum und zweithöchster Gipfel desselben ist der Nantai-san (Futaara-san) anzusehen, welcher auf der Nordostseite des Chiu- zenji-Sees steil sich erhebt und bis zum Gipfel bewaldet ist. Der- selbe heisst auch Nikkô-san, gehört zu den heiligen Bergen des Landes und wurde früher nur nach strengen Bussübungen vom See und einem Tempel daselbst aus während einer Juliwoche bestiegen. Beim Abfluss aus dem See macht der Daiya-gawa den hohen und berühmten Wasserfall Kegon-no-taki und weiter abwärts noch verschiedene Stromschnellen. Seine Quellen liegen beim Badeort Yumoto am Fusse des Shirane-yama. Neben prächtigen Bergformen, wilden Schluchten und mauerartig aufsteigenden Felswänden findet man hier einen grossen Reichthum an Wasser, bald in Gestalt klarer, tiefer Gebirgsseen von feierlicher Stille, bald wieder in reizenden Fällen oder als murmelnde Bäche tief eingegraben in schattiger Waldesschlucht. Daneben interessiert und erfreut nicht minder eine überaus üppige und mannichfaltige Vegetation. Mit der Natur hat die Kunst sich vereinigt, Nikkô zur sehenswerthesten Gegend Japans zu machen. Dort, wo der Daiya- gawa die letzten Rhyolithfelsen bei dem Orte Hachiishi überspringt, steigt zu seiner Linken ein Tempelhain sanft empor, in welchem sich die Grabstätten der zwei mächtigsten Tokugawa-Shôgune, des Iyeyasu und seines Enkels Iyemitsu, befinden. Das ganze Land hat ge-

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/98>, abgerufen am 24.04.2024.