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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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I. Geschichte des japanischen Volkes.
die meisten waren junge unmündige Kinder -- lebte ganz in dieser
Bewegung. Sie war schon Jahrzehnte lang genährt und gefördert
worden durch das wiedererwachte Interesse für das Studium der alten
Kamilehre und früheren Zustände, welches wesentlich dazu beitrug,
den Respect vor dem Mikado zu erhöhen und in ihm den einzigen
rechtmässigen Herrn des Landes zu erkennen. Besonders am Hofe
zu Mito, in Echizen, Kioto und Satsuma gab man sich Betrachtungen
über die alte goldene Zeit hin und träumte von der Rückkehr zur
wahren Religion, d. h. dem Ahnencultus ohne buddhistische Ein-
wirkung, der nationalen Reinheit unter Führung des Mikado. Buddhis-
mus, chinesischer Einfluss, Confucius, Despotismus und Bakufu waren
in den Augen der strengen Shintoisten dasselbe und zu beseitigen.

"Im sechsten Monat (5. Juli -- 3. August) 1853", so beginnt
Shozan Yashi in seiner Kinsei Shiriaku (neuen Geschichte Japans),
"kam der amerikanische Gesandte mit vier Schiffen zu Uraga in
Sagami an *) und übergab einen Brief, worin er um einen Freund-
schafts- und Handelsvertrag bat". Am 16. Juli segelte Commodore
Perry wieder ab mit der kurzen Bemerkung, dass er im nächsten
Jahr kommen und sich die Antwort holen wolle. Grosse Aufregung
beim Bakufu, in Kioto und dem ganzen Lande folgte diesem über-
raschenden Ereigniss. Der Shogun befahl den Daimio, die Zugänge
von Musashi zu bewachen und in Vertheidigungszustand zu setzen.
Der Mikado verordnete, dass die Shintopriester zu Yamada in Ise
der Göttin Amaterasu Gebete um Vertreibung der Barbaren vortragen
sollten. Vergeblich hatte man frühere Abschreckungsmittel versucht
und sich bemüht, das Geschwader nach Nagasaki zu schicken; man
fühlte, dass dieser Fall sich nicht gleich früheren erledigen lasse,
und war getheilter Ansicht bezüglich des weiter einzuschlagenden
Verhaltens. Während die Rathgeber des Mikado und auch mancher
ungestüme Anhänger des Alten in Yedo den Abbruch aller Beziehungen
zu den Fremden verlangte, fühlte der einflussreichere und einsichts-
vollere Theil des Bakufu, dass dazu die Kraft fehle und anderseits
die fremden Barbaren doch Manches besässen, das nachahmens-
werth sei.

Perry liess den Japanern genügende Zeit zum Nachdenken und
den Eindrücken, welche er mit seiner Flotille und dem Briefe des
nordamerikanischen Präsidenten gemacht hatte, um zu wirken, segelte

*) Es war am 8. Juli 1853. Das Geschwader bestand aus den Kriegsschiffen
Susquehanna und Mississippi und den Schaluppen Saratoga und Plymouth. Der
Commodore hatte vorher den Riukiu- und Bonin-Inseln einen längeren Besuch
abgestattet, worüber das Narrative einen interessanten Bericht gibt.

I. Geschichte des japanischen Volkes.
die meisten waren junge unmündige Kinder — lebte ganz in dieser
Bewegung. Sie war schon Jahrzehnte lang genährt und gefördert
worden durch das wiedererwachte Interesse für das Studium der alten
Kamilehre und früheren Zustände, welches wesentlich dazu beitrug,
den Respect vor dem Mikado zu erhöhen und in ihm den einzigen
rechtmässigen Herrn des Landes zu erkennen. Besonders am Hofe
zu Mito, in Echizen, Kiôto und Satsuma gab man sich Betrachtungen
über die alte goldene Zeit hin und träumte von der Rückkehr zur
wahren Religion, d. h. dem Ahnencultus ohne buddhistische Ein-
wirkung, der nationalen Reinheit unter Führung des Mikado. Buddhis-
mus, chinesischer Einfluss, Confucius, Despotismus und Bakufu waren
in den Augen der strengen Shintôisten dasselbe und zu beseitigen.

»Im sechsten Monat (5. Juli — 3. August) 1853«, so beginnt
Shôzan Yashi in seiner Kinsei Shiriaku (neuen Geschichte Japans),
»kam der amerikanische Gesandte mit vier Schiffen zu Uraga in
Sagami an *) und übergab einen Brief, worin er um einen Freund-
schafts- und Handelsvertrag bat«. Am 16. Juli segelte Commodore
Perry wieder ab mit der kurzen Bemerkung, dass er im nächsten
Jahr kommen und sich die Antwort holen wolle. Grosse Aufregung
beim Bakufu, in Kiôto und dem ganzen Lande folgte diesem über-
raschenden Ereigniss. Der Shôgun befahl den Daimio, die Zugänge
von Musashi zu bewachen und in Vertheidigungszustand zu setzen.
Der Mikado verordnete, dass die Shintôpriester zu Yamada in Ise
der Göttin Amaterasu Gebete um Vertreibung der Barbaren vortragen
sollten. Vergeblich hatte man frühere Abschreckungsmittel versucht
und sich bemüht, das Geschwader nach Nagasaki zu schicken; man
fühlte, dass dieser Fall sich nicht gleich früheren erledigen lasse,
und war getheilter Ansicht bezüglich des weiter einzuschlagenden
Verhaltens. Während die Rathgeber des Mikado und auch mancher
ungestüme Anhänger des Alten in Yedo den Abbruch aller Beziehungen
zu den Fremden verlangte, fühlte der einflussreichere und einsichts-
vollere Theil des Bakufu, dass dazu die Kraft fehle und anderseits
die fremden Barbaren doch Manches besässen, das nachahmens-
werth sei.

Perry liess den Japanern genügende Zeit zum Nachdenken und
den Eindrücken, welche er mit seiner Flotille und dem Briefe des
nordamerikanischen Präsidenten gemacht hatte, um zu wirken, segelte

*) Es war am 8. Juli 1853. Das Geschwader bestand aus den Kriegsschiffen
Susquehanna und Mississippi und den Schaluppen Saratoga und Plymouth. Der
Commodore hatte vorher den Riukiu- und Bonin-Inseln einen längeren Besuch
abgestattet, worüber das Narrative einen interessanten Bericht gibt.
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[394/0422] I. Geschichte des japanischen Volkes. die meisten waren junge unmündige Kinder — lebte ganz in dieser Bewegung. Sie war schon Jahrzehnte lang genährt und gefördert worden durch das wiedererwachte Interesse für das Studium der alten Kamilehre und früheren Zustände, welches wesentlich dazu beitrug, den Respect vor dem Mikado zu erhöhen und in ihm den einzigen rechtmässigen Herrn des Landes zu erkennen. Besonders am Hofe zu Mito, in Echizen, Kiôto und Satsuma gab man sich Betrachtungen über die alte goldene Zeit hin und träumte von der Rückkehr zur wahren Religion, d. h. dem Ahnencultus ohne buddhistische Ein- wirkung, der nationalen Reinheit unter Führung des Mikado. Buddhis- mus, chinesischer Einfluss, Confucius, Despotismus und Bakufu waren in den Augen der strengen Shintôisten dasselbe und zu beseitigen. »Im sechsten Monat (5. Juli — 3. August) 1853«, so beginnt Shôzan Yashi in seiner Kinsei Shiriaku (neuen Geschichte Japans), »kam der amerikanische Gesandte mit vier Schiffen zu Uraga in Sagami an *) und übergab einen Brief, worin er um einen Freund- schafts- und Handelsvertrag bat«. Am 16. Juli segelte Commodore Perry wieder ab mit der kurzen Bemerkung, dass er im nächsten Jahr kommen und sich die Antwort holen wolle. Grosse Aufregung beim Bakufu, in Kiôto und dem ganzen Lande folgte diesem über- raschenden Ereigniss. Der Shôgun befahl den Daimio, die Zugänge von Musashi zu bewachen und in Vertheidigungszustand zu setzen. Der Mikado verordnete, dass die Shintôpriester zu Yamada in Ise der Göttin Amaterasu Gebete um Vertreibung der Barbaren vortragen sollten. Vergeblich hatte man frühere Abschreckungsmittel versucht und sich bemüht, das Geschwader nach Nagasaki zu schicken; man fühlte, dass dieser Fall sich nicht gleich früheren erledigen lasse, und war getheilter Ansicht bezüglich des weiter einzuschlagenden Verhaltens. Während die Rathgeber des Mikado und auch mancher ungestüme Anhänger des Alten in Yedo den Abbruch aller Beziehungen zu den Fremden verlangte, fühlte der einflussreichere und einsichts- vollere Theil des Bakufu, dass dazu die Kraft fehle und anderseits die fremden Barbaren doch Manches besässen, das nachahmens- werth sei. Perry liess den Japanern genügende Zeit zum Nachdenken und den Eindrücken, welche er mit seiner Flotille und dem Briefe des nordamerikanischen Präsidenten gemacht hatte, um zu wirken, segelte *) Es war am 8. Juli 1853. Das Geschwader bestand aus den Kriegsschiffen Susquehanna und Mississippi und den Schaluppen Saratoga und Plymouth. Der Commodore hatte vorher den Riukiu- und Bonin-Inseln einen längeren Besuch abgestattet, worüber das Narrative einen interessanten Bericht gibt.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/422>, abgerufen am 29.03.2024.