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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
Kioto ein, bei der auch das Verlangen der fremden Gesandten um
endliche Eröffnung des Hafens von Hiogo zur Sprache kam, welche der
Shogun beim Mikado befürwortete und die von den meisten Daimio gut
geheissen wurde, und so erfolgte dieselbe nebst derjenigen von Osaka
und Yedo am 1. Januar 1868. Der Bakufu führte zwar die Regie-
rung noch weiter, fragte aber in allen wichtigen Angelegenheiten den
Hof zu Kioto. Hier blieben auch die zur Berathung herangezogenen
Fürsten mit Ausnahme von Yamanouchi Yodo, dem Daimio von
Tosa, welchen Krankheit bestimmt hatte, in seine Heimath Kochi in Tosa
zurück zu kehren. Im Herbst des nämlichen Jahres 1867 sandte er je-
doch einen bemerkenswerthen Brief folgenden Inhaltes an den Shogun:

"Es scheint mir, dass, obgleich die Regierung und Executive durch
die Militärklasse seit dem Mittelalter ausgeführt wurden, wir uns
doch seit Ankunft der Fremden beständig mit einander gestritten
haben. Der Osten und Westen sind gegen einander in Waffen auf-
gestanden, Bürgerkrieg hat nie geendet und die Folge war, dass wir
uns die Insulte fremder Nationen zuzogen. Die Ursache hiervon liegt
darin, dass die Administration von zwei Mittelpunkten ausgeht, wodurch
des Reiches Augen und Ohren nach zwei verschiedenen Richtungen
gewandt werden. Der Gang der Ereignisse hat eine grosse Umwäl-
zung hervorgebracht, und man kann nicht mehr hartnäckig das alte
System verfolgen. Ew. Hoheit sollte die Regierungsgewalt in die
Hände des Souveräns zurückgeben und so den Grund legen, auf dem
Japan gleichberechtigt allen andern Ländern gegenüber auftreten
kann. Dies ist die gebieterische Pflicht im gegenwärtigen Augen-
blick und die tiefempfundene Bitte von Yodo. Ew. Hoheit ist weise
genug, um diesen Rath zu überlegen."

Zwei vertraute Vasallen des Fürsten waren beauftragt, diesen
Brief zu überbringen und dem Shogun auch ihrerseits zu rathen, die
Regierungsgewalt abzugeben.

Der Shogun wurde von der Berechtigung und Zweckmässigkeit
dieser Vorschläge überzeugt und entwarf ein Dokument an seine Va-
sallen folgenden Inhaltes:

"Wenn ich über die Veränderungen nachdenke, welche in der
politischen Lage des Reiches eingetreten sind, so scheint es mir, dass,
als vor vielen hundert Jahren das kaiserliche Ansehen in Verfall ge-
rieth, die Familie Fujiwara die Staatsgewalt an sich riss. Während
der Kriege von Hogen (Taira) und Heiji (Minamoto) ging dieselbe
auf die Militärklasse über. Mein Vorfahr war der Empfänger be-
sonderer Gunst aus den Händen des Mikado, und von da ab haben
seine Nachkommen über 200 Jahre hindurch sich derselben Gunst

7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
Kiôto ein, bei der auch das Verlangen der fremden Gesandten um
endliche Eröffnung des Hafens von Hiogo zur Sprache kam, welche der
Shôgun beim Mikado befürwortete und die von den meisten Daimio gut
geheissen wurde, und so erfolgte dieselbe nebst derjenigen von Ôsaka
und Yedo am 1. Januar 1868. Der Bakufu führte zwar die Regie-
rung noch weiter, fragte aber in allen wichtigen Angelegenheiten den
Hof zu Kiôto. Hier blieben auch die zur Berathung herangezogenen
Fürsten mit Ausnahme von Yamanouchi Yôdô, dem Daimio von
Tosa, welchen Krankheit bestimmt hatte, in seine Heimath Kochi in Tosa
zurück zu kehren. Im Herbst des nämlichen Jahres 1867 sandte er je-
doch einen bemerkenswerthen Brief folgenden Inhaltes an den Shôgun:

»Es scheint mir, dass, obgleich die Regierung und Executive durch
die Militärklasse seit dem Mittelalter ausgeführt wurden, wir uns
doch seit Ankunft der Fremden beständig mit einander gestritten
haben. Der Osten und Westen sind gegen einander in Waffen auf-
gestanden, Bürgerkrieg hat nie geendet und die Folge war, dass wir
uns die Insulte fremder Nationen zuzogen. Die Ursache hiervon liegt
darin, dass die Administration von zwei Mittelpunkten ausgeht, wodurch
des Reiches Augen und Ohren nach zwei verschiedenen Richtungen
gewandt werden. Der Gang der Ereignisse hat eine grosse Umwäl-
zung hervorgebracht, und man kann nicht mehr hartnäckig das alte
System verfolgen. Ew. Hoheit sollte die Regierungsgewalt in die
Hände des Souveräns zurückgeben und so den Grund legen, auf dem
Japan gleichberechtigt allen andern Ländern gegenüber auftreten
kann. Dies ist die gebieterische Pflicht im gegenwärtigen Augen-
blick und die tiefempfundene Bitte von Yôdô. Ew. Hoheit ist weise
genug, um diesen Rath zu überlegen.«

Zwei vertraute Vasallen des Fürsten waren beauftragt, diesen
Brief zu überbringen und dem Shôgun auch ihrerseits zu rathen, die
Regierungsgewalt abzugeben.

Der Shôgun wurde von der Berechtigung und Zweckmässigkeit
dieser Vorschläge überzeugt und entwarf ein Dokument an seine Va-
sallen folgenden Inhaltes:

»Wenn ich über die Veränderungen nachdenke, welche in der
politischen Lage des Reiches eingetreten sind, so scheint es mir, dass,
als vor vielen hundert Jahren das kaiserliche Ansehen in Verfall ge-
rieth, die Familie Fujiwara die Staatsgewalt an sich riss. Während
der Kriege von Hôgen (Taira) und Heiji (Minamoto) ging dieselbe
auf die Militärklasse über. Mein Vorfahr war der Empfänger be-
sonderer Gunst aus den Händen des Mikado, und von da ab haben
seine Nachkommen über 200 Jahre hindurch sich derselben Gunst

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[409/0437] 7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854. Kiôto ein, bei der auch das Verlangen der fremden Gesandten um endliche Eröffnung des Hafens von Hiogo zur Sprache kam, welche der Shôgun beim Mikado befürwortete und die von den meisten Daimio gut geheissen wurde, und so erfolgte dieselbe nebst derjenigen von Ôsaka und Yedo am 1. Januar 1868. Der Bakufu führte zwar die Regie- rung noch weiter, fragte aber in allen wichtigen Angelegenheiten den Hof zu Kiôto. Hier blieben auch die zur Berathung herangezogenen Fürsten mit Ausnahme von Yamanouchi Yôdô, dem Daimio von Tosa, welchen Krankheit bestimmt hatte, in seine Heimath Kochi in Tosa zurück zu kehren. Im Herbst des nämlichen Jahres 1867 sandte er je- doch einen bemerkenswerthen Brief folgenden Inhaltes an den Shôgun: »Es scheint mir, dass, obgleich die Regierung und Executive durch die Militärklasse seit dem Mittelalter ausgeführt wurden, wir uns doch seit Ankunft der Fremden beständig mit einander gestritten haben. Der Osten und Westen sind gegen einander in Waffen auf- gestanden, Bürgerkrieg hat nie geendet und die Folge war, dass wir uns die Insulte fremder Nationen zuzogen. Die Ursache hiervon liegt darin, dass die Administration von zwei Mittelpunkten ausgeht, wodurch des Reiches Augen und Ohren nach zwei verschiedenen Richtungen gewandt werden. Der Gang der Ereignisse hat eine grosse Umwäl- zung hervorgebracht, und man kann nicht mehr hartnäckig das alte System verfolgen. Ew. Hoheit sollte die Regierungsgewalt in die Hände des Souveräns zurückgeben und so den Grund legen, auf dem Japan gleichberechtigt allen andern Ländern gegenüber auftreten kann. Dies ist die gebieterische Pflicht im gegenwärtigen Augen- blick und die tiefempfundene Bitte von Yôdô. Ew. Hoheit ist weise genug, um diesen Rath zu überlegen.« Zwei vertraute Vasallen des Fürsten waren beauftragt, diesen Brief zu überbringen und dem Shôgun auch ihrerseits zu rathen, die Regierungsgewalt abzugeben. Der Shôgun wurde von der Berechtigung und Zweckmässigkeit dieser Vorschläge überzeugt und entwarf ein Dokument an seine Va- sallen folgenden Inhaltes: »Wenn ich über die Veränderungen nachdenke, welche in der politischen Lage des Reiches eingetreten sind, so scheint es mir, dass, als vor vielen hundert Jahren das kaiserliche Ansehen in Verfall ge- rieth, die Familie Fujiwara die Staatsgewalt an sich riss. Während der Kriege von Hôgen (Taira) und Heiji (Minamoto) ging dieselbe auf die Militärklasse über. Mein Vorfahr war der Empfänger be- sonderer Gunst aus den Händen des Mikado, und von da ab haben seine Nachkommen über 200 Jahre hindurch sich derselben Gunst

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/437>, abgerufen am 25.04.2024.