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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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II. Ethnographie.
nehmer an der Mahlzeit, wie in einer Restauration, seine abgemessene
Portion auf einem kleinen Tischchen oder Präsentierteller besonders
vorgesetzt. Auf den Matten knieend, ergreift er den kleinen lackierten
Holznapf mit der Suppe und bringt sie zum Trinken an den Mund,
dem die festen Speisen durch zwei Essstäbchen zugeführt werden,
welche er zwischen den Fingern der rechten Hand hält und so ge-
schickt bewegt, dass er damit eine Zange bildet. Ausser der Suppe
trägt das Tischchen gewöhnlich einen kleinen Porzellannapf, der mit
gekochtem Reis gehäuft voll ist, und mehrere Porzellantellerchen mit
den Zuspeisen, nämlich Fisch, Rettig, imo oder deren Ersatz. Selten
fehlt ein kleiner Theetopf mit einem Porzellanschälchen als Tasse.
Ein Dienstbote kniet in kurzer Entfernung vor dem sauberen Kübel
mit gekochtem Reis, um bald hier, bald dort den dargereichten Napf
von neuem zu füllen. Als Getränke zum Schluss dient in der Regel
ein schwacher Aufguss von grünem Thee oder einfach warmes Wasser.
Auf Reisen und an Festtagen erlaubt man sich eine Schale Reisschnaps
oder sake, der Lieblingsgetränke ist. In den höheren Ständen speist
die Frau mit dem weiblichen Personal des Hauses auf einem beson-
deren Zimmer, und nur der Abend vereinigt alle Glieder der Familie
um das matte Lampenlicht.

Die drei Stimulanten, die bei allen Ständen Japans gleich
beliebt sind, heissen cha (Thee), sake (Reisbranntwein) und tabako
(Tabak); alle drei erzeugt das Land in Ueberfluss und consumiert
sie in grosser Menge. Der grüne Thee -- schwarzer wurde bisher
gar nicht dargestellt -- wird als leichter Aufguss getrunken, ohne
irgend welche Zuthat. Man gewöhnt sich leicht an seinen Genuss
und findet ihn, namentlich auf Reisen, in hohem Grade erfrischend
und anregend. Es ist ein Getränk, das dem Ankömmling alsbald
serviert wird, mag er nun einen Besuch machen, in ein kaufmänni-
sches Geschäft eintreten oder auf der Bank oder Veranda einer
Wirthschaft sich niederlassen. Weniger zusagend erscheint uns der
sake. Derselbe wird in der Regel warm aus lackierten oder porzella-
nenen Schalen getrunken und betäubt leicht, besonders den Einge-
borenen, nicht sowohl des Alkoholgehaltes wegen, der gering ist, als
vielmehr durch das schädliche Fuselöl in ihm. So sieht man denn
auch durch sake Angeheiterte oder Betrunkene sehr häufig. Die natür-
liche Zurückhaltung und Gutmüthigkeit verlässt dann nicht selten den
Japaner, namentlich den Fremden gegenüber, die er seinen Hass er-
kennen lässt. So war es gefährlich und nicht rathsam, dass man in
Tokio an Mittwoch- oder Sonntag-Nachmittagen, wo die Soldaten frei
hatten und oft mehr oder minder betrunken sich in den Anlagen der

II. Ethnographie.
nehmer an der Mahlzeit, wie in einer Restauration, seine abgemessene
Portion auf einem kleinen Tischchen oder Präsentierteller besonders
vorgesetzt. Auf den Matten knieend, ergreift er den kleinen lackierten
Holznapf mit der Suppe und bringt sie zum Trinken an den Mund,
dem die festen Speisen durch zwei Essstäbchen zugeführt werden,
welche er zwischen den Fingern der rechten Hand hält und so ge-
schickt bewegt, dass er damit eine Zange bildet. Ausser der Suppe
trägt das Tischchen gewöhnlich einen kleinen Porzellannapf, der mit
gekochtem Reis gehäuft voll ist, und mehrere Porzellantellerchen mit
den Zuspeisen, nämlich Fisch, Rettig, imo oder deren Ersatz. Selten
fehlt ein kleiner Theetopf mit einem Porzellanschälchen als Tasse.
Ein Dienstbote kniet in kurzer Entfernung vor dem sauberen Kübel
mit gekochtem Reis, um bald hier, bald dort den dargereichten Napf
von neuem zu füllen. Als Getränke zum Schluss dient in der Regel
ein schwacher Aufguss von grünem Thee oder einfach warmes Wasser.
Auf Reisen und an Festtagen erlaubt man sich eine Schale Reisschnaps
oder sake, der Lieblingsgetränke ist. In den höheren Ständen speist
die Frau mit dem weiblichen Personal des Hauses auf einem beson-
deren Zimmer, und nur der Abend vereinigt alle Glieder der Familie
um das matte Lampenlicht.

Die drei Stimulanten, die bei allen Ständen Japans gleich
beliebt sind, heissen cha (Thee), sake (Reisbranntwein) und tabako
(Tabak); alle drei erzeugt das Land in Ueberfluss und consumiert
sie in grosser Menge. Der grüne Thee — schwarzer wurde bisher
gar nicht dargestellt — wird als leichter Aufguss getrunken, ohne
irgend welche Zuthat. Man gewöhnt sich leicht an seinen Genuss
und findet ihn, namentlich auf Reisen, in hohem Grade erfrischend
und anregend. Es ist ein Getränk, das dem Ankömmling alsbald
serviert wird, mag er nun einen Besuch machen, in ein kaufmänni-
sches Geschäft eintreten oder auf der Bank oder Veranda einer
Wirthschaft sich niederlassen. Weniger zusagend erscheint uns der
sake. Derselbe wird in der Regel warm aus lackierten oder porzella-
nenen Schalen getrunken und betäubt leicht, besonders den Einge-
borenen, nicht sowohl des Alkoholgehaltes wegen, der gering ist, als
vielmehr durch das schädliche Fuselöl in ihm. So sieht man denn
auch durch sake Angeheiterte oder Betrunkene sehr häufig. Die natür-
liche Zurückhaltung und Gutmüthigkeit verlässt dann nicht selten den
Japaner, namentlich den Fremden gegenüber, die er seinen Hass er-
kennen lässt. So war es gefährlich und nicht rathsam, dass man in
Tôkio an Mittwoch- oder Sonntag-Nachmittagen, wo die Soldaten frei
hatten und oft mehr oder minder betrunken sich in den Anlagen der

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[488/0522] II. Ethnographie. nehmer an der Mahlzeit, wie in einer Restauration, seine abgemessene Portion auf einem kleinen Tischchen oder Präsentierteller besonders vorgesetzt. Auf den Matten knieend, ergreift er den kleinen lackierten Holznapf mit der Suppe und bringt sie zum Trinken an den Mund, dem die festen Speisen durch zwei Essstäbchen zugeführt werden, welche er zwischen den Fingern der rechten Hand hält und so ge- schickt bewegt, dass er damit eine Zange bildet. Ausser der Suppe trägt das Tischchen gewöhnlich einen kleinen Porzellannapf, der mit gekochtem Reis gehäuft voll ist, und mehrere Porzellantellerchen mit den Zuspeisen, nämlich Fisch, Rettig, imo oder deren Ersatz. Selten fehlt ein kleiner Theetopf mit einem Porzellanschälchen als Tasse. Ein Dienstbote kniet in kurzer Entfernung vor dem sauberen Kübel mit gekochtem Reis, um bald hier, bald dort den dargereichten Napf von neuem zu füllen. Als Getränke zum Schluss dient in der Regel ein schwacher Aufguss von grünem Thee oder einfach warmes Wasser. Auf Reisen und an Festtagen erlaubt man sich eine Schale Reisschnaps oder sake, der Lieblingsgetränke ist. In den höheren Ständen speist die Frau mit dem weiblichen Personal des Hauses auf einem beson- deren Zimmer, und nur der Abend vereinigt alle Glieder der Familie um das matte Lampenlicht. Die drei Stimulanten, die bei allen Ständen Japans gleich beliebt sind, heissen cha (Thee), sake (Reisbranntwein) und tabako (Tabak); alle drei erzeugt das Land in Ueberfluss und consumiert sie in grosser Menge. Der grüne Thee — schwarzer wurde bisher gar nicht dargestellt — wird als leichter Aufguss getrunken, ohne irgend welche Zuthat. Man gewöhnt sich leicht an seinen Genuss und findet ihn, namentlich auf Reisen, in hohem Grade erfrischend und anregend. Es ist ein Getränk, das dem Ankömmling alsbald serviert wird, mag er nun einen Besuch machen, in ein kaufmänni- sches Geschäft eintreten oder auf der Bank oder Veranda einer Wirthschaft sich niederlassen. Weniger zusagend erscheint uns der sake. Derselbe wird in der Regel warm aus lackierten oder porzella- nenen Schalen getrunken und betäubt leicht, besonders den Einge- borenen, nicht sowohl des Alkoholgehaltes wegen, der gering ist, als vielmehr durch das schädliche Fuselöl in ihm. So sieht man denn auch durch sake Angeheiterte oder Betrunkene sehr häufig. Die natür- liche Zurückhaltung und Gutmüthigkeit verlässt dann nicht selten den Japaner, namentlich den Fremden gegenüber, die er seinen Hass er- kennen lässt. So war es gefährlich und nicht rathsam, dass man in Tôkio an Mittwoch- oder Sonntag-Nachmittagen, wo die Soldaten frei hatten und oft mehr oder minder betrunken sich in den Anlagen der

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/522>, abgerufen am 19.04.2024.