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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886.

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I. Land- und Forstwirthschaft.
aquifolium Thunb.), und Sasan-kuwa (Camellia sasanqua Thunb.),
welche gleich dem Theestrauch im November und December blühen,
ferner Tsubaki (Camellia japonica L.), die als Freilandpflanze ihre
ersten Blüthen im Januar entwickelt.

Laubhölzer als Alleebäume findet man in japanischen Städten
nur ausnahmsweise (z. B. in Niigata) und längs der Landstrassen fast
nirgends. Dagegen schmücken diese an vielen Orten immergrüne
Nadelhölzer, welche zum Theil schon mehrere hundert Jahre alt sind
und einen einzig grossartigen Eindruck machen. Ihren mächtigen
Stämmen hoch hinan klettert zum Theil Evonymus radicans oder ein
wilder Wein, ausnahmsweise auch das viel seltenere Epheu. Am statt-
lichsten erscheinen die Sugi oder Cryptomerien hier und dort, nament-
lich um Nikkio. Hochberühmt und einzig in ihrer Art ist namentlich
die grosse Sugi-Allee, von der Bd. I. pg. 172 das letzte Stück im
Lichtdruck wiedergibt. Auch Retinisporen, insbesondere Hi-no-ki-
Bäume finden stellenweise Verwendung.

Matsu, die Kiefer (Pinus Massoniana und P. densiflora) ist und
bleibt jedoch der verbreitetste und beliebteste Alleebaum dieser alten ja-
panischen Landstrassen. Die Hand des Gärtners hat in diesem Fall ihre
Gestalt nicht verändert. Urwüchsig, bizarr und in den malerischsten
Gestalten erscheint hier dieser grosse Liebling des japanischen Volkes,
mit Stämmen gerad und krumm, mit Aesten, die oft in allen Richtun-
gen gedreht sind, knotig und gestreckt, mit dichten Massen dunkel-
grüner Nadeln bedeckt. Da ist von Symmetrie keine Rede; dennoch
ziehen sie das Auge an und ruht dasselbe mit Wohlgefallen auf ihren
urwüchsigen, kräftigen und malerisch schönen Gestalten, auf diesen
stillen Zeugen einer längst vergangenen Zeit. Wie vielen Stürmen
haben manche derselben nicht schon getrotzt, wie vielen Entwürfen
zur Verzierung der mancherlei Erzeugnisse des Kunstfleisses schon ge-
dient, wie manches Aug' und Herz erfreut! Das ist der Baum, wel-
cher kühn und kräftig der Vorliebe des Volkes für bizarre, unregel-
mässige Formen am meisten entspricht, an dem anderseits, wenn er
einzeln im Garten oder Tempelhof erscheint, die Neigungen gärtne-
rischer Launen am häufigsten zum Ausdruck kommen. In alle mög-
lichen Krüppelgestalten und abnorme Formen hat man ihn hier gezwängt
und wir wundern uns bei deren Anblick nicht wenig wieder über eine
uns unverständliche Geschmacksrichtung, die auch hieran Gefallen
findet.


I. Land- und Forstwirthschaft.
aquifolium Thunb.), und Sasan-kuwa (Camellia sasanqua Thunb.),
welche gleich dem Theestrauch im November und December blühen,
ferner Tsubaki (Camellia japonica L.), die als Freilandpflanze ihre
ersten Blüthen im Januar entwickelt.

Laubhölzer als Alleebäume findet man in japanischen Städten
nur ausnahmsweise (z. B. in Niigata) und längs der Landstrassen fast
nirgends. Dagegen schmücken diese an vielen Orten immergrüne
Nadelhölzer, welche zum Theil schon mehrere hundert Jahre alt sind
und einen einzig grossartigen Eindruck machen. Ihren mächtigen
Stämmen hoch hinan klettert zum Theil Evonymus radicans oder ein
wilder Wein, ausnahmsweise auch das viel seltenere Epheu. Am statt-
lichsten erscheinen die Sugi oder Cryptomerien hier und dort, nament-
lich um Nikkio. Hochberühmt und einzig in ihrer Art ist namentlich
die grosse Sugi-Allee, von der Bd. I. pg. 172 das letzte Stück im
Lichtdruck wiedergibt. Auch Retinisporen, insbesondere Hi-no-ki-
Bäume finden stellenweise Verwendung.

Matsu, die Kiefer (Pinus Massoniana und P. densiflora) ist und
bleibt jedoch der verbreitetste und beliebteste Alleebaum dieser alten ja-
panischen Landstrassen. Die Hand des Gärtners hat in diesem Fall ihre
Gestalt nicht verändert. Urwüchsig, bizarr und in den malerischsten
Gestalten erscheint hier dieser grosse Liebling des japanischen Volkes,
mit Stämmen gerad und krumm, mit Aesten, die oft in allen Richtun-
gen gedreht sind, knotig und gestreckt, mit dichten Massen dunkel-
grüner Nadeln bedeckt. Da ist von Symmetrie keine Rede; dennoch
ziehen sie das Auge an und ruht dasselbe mit Wohlgefallen auf ihren
urwüchsigen, kräftigen und malerisch schönen Gestalten, auf diesen
stillen Zeugen einer längst vergangenen Zeit. Wie vielen Stürmen
haben manche derselben nicht schon getrotzt, wie vielen Entwürfen
zur Verzierung der mancherlei Erzeugnisse des Kunstfleisses schon ge-
dient, wie manches Aug’ und Herz erfreut! Das ist der Baum, wel-
cher kühn und kräftig der Vorliebe des Volkes für bizarre, unregel-
mässige Formen am meisten entspricht, an dem anderseits, wenn er
einzeln im Garten oder Tempelhof erscheint, die Neigungen gärtne-
rischer Launen am häufigsten zum Ausdruck kommen. In alle mög-
lichen Krüppelgestalten und abnorme Formen hat man ihn hier gezwängt
und wir wundern uns bei deren Anblick nicht wenig wieder über eine
uns unverständliche Geschmacksrichtung, die auch hieran Gefallen
findet.


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[326/0350] I. Land- und Forstwirthschaft. aquifolium Thunb.), und Sasan-kuwa (Camellia sasanqua Thunb.), welche gleich dem Theestrauch im November und December blühen, ferner Tsubaki (Camellia japonica L.), die als Freilandpflanze ihre ersten Blüthen im Januar entwickelt. Laubhölzer als Alleebäume findet man in japanischen Städten nur ausnahmsweise (z. B. in Niigata) und längs der Landstrassen fast nirgends. Dagegen schmücken diese an vielen Orten immergrüne Nadelhölzer, welche zum Theil schon mehrere hundert Jahre alt sind und einen einzig grossartigen Eindruck machen. Ihren mächtigen Stämmen hoch hinan klettert zum Theil Evonymus radicans oder ein wilder Wein, ausnahmsweise auch das viel seltenere Epheu. Am statt- lichsten erscheinen die Sugi oder Cryptomerien hier und dort, nament- lich um Nikkio. Hochberühmt und einzig in ihrer Art ist namentlich die grosse Sugi-Allee, von der Bd. I. pg. 172 das letzte Stück im Lichtdruck wiedergibt. Auch Retinisporen, insbesondere Hi-no-ki- Bäume finden stellenweise Verwendung. Matsu, die Kiefer (Pinus Massoniana und P. densiflora) ist und bleibt jedoch der verbreitetste und beliebteste Alleebaum dieser alten ja- panischen Landstrassen. Die Hand des Gärtners hat in diesem Fall ihre Gestalt nicht verändert. Urwüchsig, bizarr und in den malerischsten Gestalten erscheint hier dieser grosse Liebling des japanischen Volkes, mit Stämmen gerad und krumm, mit Aesten, die oft in allen Richtun- gen gedreht sind, knotig und gestreckt, mit dichten Massen dunkel- grüner Nadeln bedeckt. Da ist von Symmetrie keine Rede; dennoch ziehen sie das Auge an und ruht dasselbe mit Wohlgefallen auf ihren urwüchsigen, kräftigen und malerisch schönen Gestalten, auf diesen stillen Zeugen einer längst vergangenen Zeit. Wie vielen Stürmen haben manche derselben nicht schon getrotzt, wie vielen Entwürfen zur Verzierung der mancherlei Erzeugnisse des Kunstfleisses schon ge- dient, wie manches Aug’ und Herz erfreut! Das ist der Baum, wel- cher kühn und kräftig der Vorliebe des Volkes für bizarre, unregel- mässige Formen am meisten entspricht, an dem anderseits, wenn er einzeln im Garten oder Tempelhof erscheint, die Neigungen gärtne- rischer Launen am häufigsten zum Ausdruck kommen. In alle mög- lichen Krüppelgestalten und abnorme Formen hat man ihn hier gezwängt und wir wundern uns bei deren Anblick nicht wenig wieder über eine uns unverständliche Geschmacksrichtung, die auch hieran Gefallen findet.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/350>, abgerufen am 23.04.2024.