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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

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nicht glauben, daß ein Vater in der Welt ist,
der die Unschuld seiner Tochter vor Geld ver-
kauffen wollte. Allein keine Mutter ist da! o
des armen Kindes!

Jch bin begierig das Ende von Jhren Nach-
richten zu hören. Sie sollen, wie Sie melden,
das einfältige Mädchen zu sehen bekommen.
Schreiben Sie mir, was es für ein Mädchen
ist. Sie haben es als ein artiges angeneh-
mes
Mädchen beschrieben. Artig und ange-
nehm/
das sind artige und angenehme Worte
aus Jhrer Feder. Allein sind es Jhre eigene
oder Lovelaces Worte? Wenn eine natürliche
Artigkeit in ihrer Aufführung und Reden ist,
wenn ihre wilde Musick (die Sie mit einem
Worte so rührend vorstellen können) noch so
ziemlich reitzend ist: ach warum muß sie sich
denn mit einem solchen liederlichen Menschen
einlassen, wie mir dieser gewiß zu seyn scheint, der
sich bisher mit den Stadt-Nymphen beholfen,
und ihre zuversichtliche Art zu lieben gelernt hat!
Sie mag ihn ja wohl fesseln, und lange Zeit in
ihren Seilen behalten! denn, wenn die Annehm-
lichkeit ihrer Unschuld geraubet ist, so wird sie
diesen Mangel durch künstlich angenommene An-
nehmlichkeiten ersetzen müssen.

Jch kan grosse Hoffnung zu der Besserung
eines solchen Bösewichts haben! Um aller Welt
Güter mag ich nicht - - doch ich brauche nicht
erst meinen Entschluß zu fassen. Jch habe sei-
nen Brief noch nicht erbrochen, und will ihn auch

nicht

der Clariſſa.
nicht glauben, daß ein Vater in der Welt iſt,
der die Unſchuld ſeiner Tochter vor Geld ver-
kauffen wollte. Allein keine Mutter iſt da! o
des armen Kindes!

Jch bin begierig das Ende von Jhren Nach-
richten zu hoͤren. Sie ſollen, wie Sie melden,
das einfaͤltige Maͤdchen zu ſehen bekommen.
Schreiben Sie mir, was es fuͤr ein Maͤdchen
iſt. Sie haben es als ein artiges angeneh-
mes
Maͤdchen beſchrieben. Artig und ange-
nehm/
das ſind artige und angenehme Worte
aus Jhrer Feder. Allein ſind es Jhre eigene
oder Lovelaces Worte? Wenn eine natuͤrliche
Artigkeit in ihrer Auffuͤhrung und Reden iſt,
wenn ihre wilde Muſick (die Sie mit einem
Worte ſo ruͤhrend vorſtellen koͤnnen) noch ſo
ziemlich reitzend iſt: ach warum muß ſie ſich
denn mit einem ſolchen liederlichen Menſchen
einlaſſen, wie mir dieſer gewiß zu ſeyn ſcheint, der
ſich bisher mit den Stadt-Nymphen beholfen,
und ihre zuverſichtliche Art zu lieben gelernt hat!
Sie mag ihn ja wohl feſſeln, und lange Zeit in
ihren Seilen behalten! denn, wenn die Annehm-
lichkeit ihrer Unſchuld geraubet iſt, ſo wird ſie
dieſen Mangel durch kuͤnſtlich angenommene An-
nehmlichkeiten erſetzen muͤſſen.

Jch kan groſſe Hoffnung zu der Beſſerung
eines ſolchen Boͤſewichts haben! Um aller Welt
Guͤter mag ich nicht ‒ ‒ doch ich brauche nicht
erſt meinen Entſchluß zu faſſen. Jch habe ſei-
nen Brief noch nicht erbrochen, und will ihn auch

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[251/0257] der Clariſſa. nicht glauben, daß ein Vater in der Welt iſt, der die Unſchuld ſeiner Tochter vor Geld ver- kauffen wollte. Allein keine Mutter iſt da! o des armen Kindes! Jch bin begierig das Ende von Jhren Nach- richten zu hoͤren. Sie ſollen, wie Sie melden, das einfaͤltige Maͤdchen zu ſehen bekommen. Schreiben Sie mir, was es fuͤr ein Maͤdchen iſt. Sie haben es als ein artiges angeneh- mes Maͤdchen beſchrieben. Artig und ange- nehm/ das ſind artige und angenehme Worte aus Jhrer Feder. Allein ſind es Jhre eigene oder Lovelaces Worte? Wenn eine natuͤrliche Artigkeit in ihrer Auffuͤhrung und Reden iſt, wenn ihre wilde Muſick (die Sie mit einem Worte ſo ruͤhrend vorſtellen koͤnnen) noch ſo ziemlich reitzend iſt: ach warum muß ſie ſich denn mit einem ſolchen liederlichen Menſchen einlaſſen, wie mir dieſer gewiß zu ſeyn ſcheint, der ſich bisher mit den Stadt-Nymphen beholfen, und ihre zuverſichtliche Art zu lieben gelernt hat! Sie mag ihn ja wohl feſſeln, und lange Zeit in ihren Seilen behalten! denn, wenn die Annehm- lichkeit ihrer Unſchuld geraubet iſt, ſo wird ſie dieſen Mangel durch kuͤnſtlich angenommene An- nehmlichkeiten erſetzen muͤſſen. Jch kan groſſe Hoffnung zu der Beſſerung eines ſolchen Boͤſewichts haben! Um aller Welt Guͤter mag ich nicht ‒ ‒ doch ich brauche nicht erſt meinen Entſchluß zu faſſen. Jch habe ſei- nen Brief noch nicht erbrochen, und will ihn auch nicht

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/257>, abgerufen am 24.04.2024.