Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
Urtheilen sey. Sie müssen sich selbst dieser Be-
schuldigung unterwerfen: denn wenn Sie, ich sa-
ge, selbst Sie in der That Jhren Fehler so un-
gern bekenneten, als Sie es vorgeben; so würde
ich Sie nur halb so lieb haben, als jetzt. Sie
würden sich selbst auch den Vorwurf, dessen ich
Erwähnung that, nicht auf eine so freymüthige
Art gemacht haben, wenn Sie nicht ein so edles
und grosses Hertz hätten, als sich jemahls ein
Frauenzimmer hat rühmen können.

Herr Lovelace hat sonst Fehler genug, mich
misvergnügt zu machen, wenn er auch hierin
unschuldig ist. Wenn ich so gut mit ihm stün-
de, als er es wünscht, so wollte ich ihm zu ver-
stehen geben, daß der betrügrische Jacob Leh-
man
nicht so gegen ihn gesinnet ist, als er den-
cket: sonst würde er nicht so fertig gewesen seyn,
die unschuldige Geschichte von dem Mauermäd-
chen mit so übeln Umständen zu verbessern, und
noch dazu der Elisabeth Barnes zu erzählen.
Er befahl ihr, es heimlich zu halten, und ver-
sprach ihr, daß er ihr und threm Herren mehr sa-
gen wollte, wenn er alles ausgekundschafftet ha-
ben würde. Und dieses allein hat sie zurück ge-
halten, meinem Bruder und meiner Schwester
nicht davon zu sagen, dazu sie sonst grosse Lust
hatte. Sie will es auch mit dem Joseph nicht
gern verderben: denn ob sie gleich in ihrem Her-
tzen vielmehr ist, als er, so scheint es doch, daß
sie ihn gern von Liebe reden hört. Es kommt
mir vor, als wenn manches Frauenzimmer die

Ohren
zweyter Theil. R

der Clariſſa.
Urtheilen ſey. Sie muͤſſen ſich ſelbſt dieſer Be-
ſchuldigung unterwerfen: denn wenn Sie, ich ſa-
ge, ſelbſt Sie in der That Jhren Fehler ſo un-
gern bekenneten, als Sie es vorgeben; ſo wuͤrde
ich Sie nur halb ſo lieb haben, als jetzt. Sie
wuͤrden ſich ſelbſt auch den Vorwurf, deſſen ich
Erwaͤhnung that, nicht auf eine ſo freymuͤthige
Art gemacht haben, wenn Sie nicht ein ſo edles
und groſſes Hertz haͤtten, als ſich jemahls ein
Frauenzimmer hat ruͤhmen koͤnnen.

Herr Lovelace hat ſonſt Fehler genug, mich
misvergnuͤgt zu machen, wenn er auch hierin
unſchuldig iſt. Wenn ich ſo gut mit ihm ſtuͤn-
de, als er es wuͤnſcht, ſo wollte ich ihm zu ver-
ſtehen geben, daß der betruͤgriſche Jacob Leh-
man
nicht ſo gegen ihn geſinnet iſt, als er den-
cket: ſonſt wuͤrde er nicht ſo fertig geweſen ſeyn,
die unſchuldige Geſchichte von dem Mauermaͤd-
chen mit ſo uͤbeln Umſtaͤnden zu verbeſſern, und
noch dazu der Eliſabeth Barnes zu erzaͤhlen.
Er befahl ihr, es heimlich zu halten, und ver-
ſprach ihr, daß er ihr und threm Herren mehr ſa-
gen wollte, wenn er alles ausgekundſchafftet ha-
ben wuͤrde. Und dieſes allein hat ſie zuruͤck ge-
halten, meinem Bruder und meiner Schweſter
nicht davon zu ſagen, dazu ſie ſonſt groſſe Luſt
hatte. Sie will es auch mit dem Joſeph nicht
gern verderben: denn ob ſie gleich in ihrem Her-
tzen vielmehr iſt, als er, ſo ſcheint es doch, daß
ſie ihn gern von Liebe reden hoͤrt. Es kommt
mir vor, als wenn manches Frauenzimmer die

Ohren
zweyter Theil. R
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0263" n="257"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a</hi>.</hi></fw><lb/>
Urtheilen &#x017F;ey. Sie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t die&#x017F;er Be-<lb/>
&#x017F;chuldigung unterwerfen: denn wenn Sie, ich &#x017F;a-<lb/>
ge, &#x017F;elb&#x017F;t Sie in der That Jhren Fehler &#x017F;o un-<lb/>
gern bekenneten, als Sie es vorgeben; &#x017F;o wu&#x0364;rde<lb/>
ich Sie nur halb &#x017F;o lieb haben, als jetzt. Sie<lb/>
wu&#x0364;rden &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t auch den Vorwurf, de&#x017F;&#x017F;en ich<lb/>
Erwa&#x0364;hnung that, nicht auf eine &#x017F;o freymu&#x0364;thige<lb/>
Art gemacht haben, wenn Sie nicht ein &#x017F;o edles<lb/>
und gro&#x017F;&#x017F;es Hertz ha&#x0364;tten, als &#x017F;ich jemahls ein<lb/>
Frauenzimmer hat ru&#x0364;hmen ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <p>Herr <hi rendition="#fr">Lovelace</hi> hat &#x017F;on&#x017F;t Fehler genug, mich<lb/>
misvergnu&#x0364;gt zu machen, wenn er auch hierin<lb/>
un&#x017F;chuldig i&#x017F;t. Wenn ich &#x017F;o gut mit ihm &#x017F;tu&#x0364;n-<lb/>
de, als er es wu&#x0364;n&#x017F;cht, &#x017F;o wollte ich ihm zu ver-<lb/>
&#x017F;tehen geben, daß der betru&#x0364;gri&#x017F;che <hi rendition="#fr">Jacob Leh-<lb/>
man</hi> nicht &#x017F;o gegen ihn ge&#x017F;innet i&#x017F;t, als er den-<lb/>
cket: &#x017F;on&#x017F;t wu&#x0364;rde er nicht &#x017F;o fertig gewe&#x017F;en &#x017F;eyn,<lb/>
die un&#x017F;chuldige Ge&#x017F;chichte von dem Mauerma&#x0364;d-<lb/>
chen mit &#x017F;o u&#x0364;beln Um&#x017F;ta&#x0364;nden zu verbe&#x017F;&#x017F;ern, und<lb/>
noch dazu der <hi rendition="#fr">Eli&#x017F;abeth Barnes</hi> zu erza&#x0364;hlen.<lb/>
Er befahl ihr, es heimlich zu halten, und ver-<lb/>
&#x017F;prach ihr, daß er ihr und threm Herren mehr &#x017F;a-<lb/>
gen wollte, wenn er alles ausgekund&#x017F;chafftet ha-<lb/>
ben wu&#x0364;rde. Und die&#x017F;es allein hat &#x017F;ie zuru&#x0364;ck ge-<lb/>
halten, meinem Bruder und meiner Schwe&#x017F;ter<lb/>
nicht davon zu &#x017F;agen, dazu &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t gro&#x017F;&#x017F;e Lu&#x017F;t<lb/>
hatte. Sie will es auch mit dem Jo&#x017F;eph nicht<lb/>
gern verderben: denn ob &#x017F;ie gleich in ihrem Her-<lb/>
tzen vielmehr i&#x017F;t, als er, &#x017F;o &#x017F;cheint es doch, daß<lb/>
&#x017F;ie ihn gern von Liebe reden ho&#x0364;rt. Es kommt<lb/>
mir vor, als wenn manches Frauenzimmer die<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">zweyter Theil.</hi> R</fw><fw place="bottom" type="catch">Ohren</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[257/0263] der Clariſſa. Urtheilen ſey. Sie muͤſſen ſich ſelbſt dieſer Be- ſchuldigung unterwerfen: denn wenn Sie, ich ſa- ge, ſelbſt Sie in der That Jhren Fehler ſo un- gern bekenneten, als Sie es vorgeben; ſo wuͤrde ich Sie nur halb ſo lieb haben, als jetzt. Sie wuͤrden ſich ſelbſt auch den Vorwurf, deſſen ich Erwaͤhnung that, nicht auf eine ſo freymuͤthige Art gemacht haben, wenn Sie nicht ein ſo edles und groſſes Hertz haͤtten, als ſich jemahls ein Frauenzimmer hat ruͤhmen koͤnnen. Herr Lovelace hat ſonſt Fehler genug, mich misvergnuͤgt zu machen, wenn er auch hierin unſchuldig iſt. Wenn ich ſo gut mit ihm ſtuͤn- de, als er es wuͤnſcht, ſo wollte ich ihm zu ver- ſtehen geben, daß der betruͤgriſche Jacob Leh- man nicht ſo gegen ihn geſinnet iſt, als er den- cket: ſonſt wuͤrde er nicht ſo fertig geweſen ſeyn, die unſchuldige Geſchichte von dem Mauermaͤd- chen mit ſo uͤbeln Umſtaͤnden zu verbeſſern, und noch dazu der Eliſabeth Barnes zu erzaͤhlen. Er befahl ihr, es heimlich zu halten, und ver- ſprach ihr, daß er ihr und threm Herren mehr ſa- gen wollte, wenn er alles ausgekundſchafftet ha- ben wuͤrde. Und dieſes allein hat ſie zuruͤck ge- halten, meinem Bruder und meiner Schweſter nicht davon zu ſagen, dazu ſie ſonſt groſſe Luſt hatte. Sie will es auch mit dem Joſeph nicht gern verderben: denn ob ſie gleich in ihrem Her- tzen vielmehr iſt, als er, ſo ſcheint es doch, daß ſie ihn gern von Liebe reden hoͤrt. Es kommt mir vor, als wenn manches Frauenzimmer die Ohren zweyter Theil. R

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/263
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/263>, abgerufen am 29.03.2024.