Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte
Urtheil sprechen wollen, bis Sie meine gantze Ge-
schichte wissen. Jch habe deswegen so bald an
Sie geschrieben, damit Sie keinen Brief an mich
nach Harlowe-Burg schicken, oder die schon
hingeschickten wieder abholen lassen möchten.

Leben Sie wohl, liebste Freundin! und lieben
Sie mich noch ferner. Was wird aber Jhre
Frau Mutter sagen? Was meine Mutter?
Was meine übrigen Verwanten? Was meine
liebe Frau Norton? Wie wird mein Bruder
und meine Schwester frohlocken?

Jch kan Jhnen noch nicht melden, wohin Sie
Jhre Brieffe schicken sollen: denn ich werde die-
sen Ort bald verlassen, ob ich gleich bis auf den
Tod müde bin. Wenn ich nichts anders thun
kan, so macht doch die lange Gewohnheit, daß
ich noch im Stande bin zu schreiben. Dieses
ist lange Zeit mein Zeitvertreib und mein Ver-
gnügen gewesen: es würde aber nicht zu meinem
Vergnügen gereicht haben, wenn ich nicht an ei-
ne so liebe Freundin hätte schreiben können.
Nochmahls A dieu! Haben Sie Mitleiden,
und vereinigen Sie Jhr Gebet, mit

Jhrer
Cl. Harlowe.
Der

Die Geſchichte
Urtheil ſprechen wollen, bis Sie meine gantze Ge-
ſchichte wiſſen. Jch habe deswegen ſo bald an
Sie geſchrieben, damit Sie keinen Brief an mich
nach Harlowe-Burg ſchicken, oder die ſchon
hingeſchickten wieder abholen laſſen moͤchten.

Leben Sie wohl, liebſte Freundin! und lieben
Sie mich noch ferner. Was wird aber Jhre
Frau Mutter ſagen? Was meine Mutter?
Was meine uͤbrigen Verwanten? Was meine
liebe Frau Norton? Wie wird mein Bruder
und meine Schweſter frohlocken?

Jch kan Jhnen noch nicht melden, wohin Sie
Jhre Brieffe ſchicken ſollen: denn ich werde die-
ſen Ort bald verlaſſen, ob ich gleich bis auf den
Tod muͤde bin. Wenn ich nichts anders thun
kan, ſo macht doch die lange Gewohnheit, daß
ich noch im Stande bin zu ſchreiben. Dieſes
iſt lange Zeit mein Zeitvertreib und mein Ver-
gnuͤgen geweſen: es wuͤrde aber nicht zu meinem
Vergnuͤgen gereicht haben, wenn ich nicht an ei-
ne ſo liebe Freundin haͤtte ſchreiben koͤnnen.
Nochmahls A dieu! Haben Sie Mitleiden,
und vereinigen Sie Jhr Gebet, mit

Jhrer
Cl. Harlowe.
Der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0530" n="524"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi></hi></fw><lb/>
Urtheil &#x017F;prechen wollen, bis Sie meine gantze Ge-<lb/>
&#x017F;chichte wi&#x017F;&#x017F;en. Jch habe deswegen &#x017F;o bald an<lb/>
Sie ge&#x017F;chrieben, damit Sie keinen Brief an mich<lb/>
nach <hi rendition="#fr">Harlowe-Burg</hi> &#x017F;chicken, oder die &#x017F;chon<lb/>
hinge&#x017F;chickten wieder abholen la&#x017F;&#x017F;en mo&#x0364;chten.</p><lb/>
          <p>Leben Sie wohl, lieb&#x017F;te Freundin! und lieben<lb/>
Sie mich noch ferner. Was wird aber Jhre<lb/>
Frau Mutter &#x017F;agen? Was meine Mutter?<lb/>
Was meine u&#x0364;brigen Verwanten? Was meine<lb/>
liebe Frau <hi rendition="#fr">Norton?</hi> Wie wird mein Bruder<lb/>
und meine Schwe&#x017F;ter frohlocken?</p><lb/>
          <p>Jch kan Jhnen noch nicht melden, wohin Sie<lb/>
Jhre Brieffe &#x017F;chicken &#x017F;ollen: denn ich werde die-<lb/>
&#x017F;en Ort bald verla&#x017F;&#x017F;en, ob ich gleich bis auf den<lb/>
Tod mu&#x0364;de bin. Wenn ich nichts anders thun<lb/>
kan, &#x017F;o macht doch die lange Gewohnheit, daß<lb/>
ich noch im Stande bin zu &#x017F;chreiben. Die&#x017F;es<lb/>
i&#x017F;t lange Zeit mein Zeitvertreib und mein Ver-<lb/>
gnu&#x0364;gen gewe&#x017F;en: es wu&#x0364;rde aber nicht zu meinem<lb/>
Vergnu&#x0364;gen gereicht haben, wenn ich nicht an ei-<lb/>
ne &#x017F;o liebe Freundin ha&#x0364;tte &#x017F;chreiben ko&#x0364;nnen.<lb/>
Nochmahls <hi rendition="#aq">A dieu!</hi> Haben Sie Mitleiden,<lb/>
und vereinigen Sie Jhr Gebet, mit</p><lb/>
          <closer>
            <salute> <hi rendition="#et"> <hi rendition="#b">Jhrer</hi><lb/> <hi rendition="#fr">Cl. Harlowe.</hi> </hi> </salute>
          </closer>
        </div><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Der</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[524/0530] Die Geſchichte Urtheil ſprechen wollen, bis Sie meine gantze Ge- ſchichte wiſſen. Jch habe deswegen ſo bald an Sie geſchrieben, damit Sie keinen Brief an mich nach Harlowe-Burg ſchicken, oder die ſchon hingeſchickten wieder abholen laſſen moͤchten. Leben Sie wohl, liebſte Freundin! und lieben Sie mich noch ferner. Was wird aber Jhre Frau Mutter ſagen? Was meine Mutter? Was meine uͤbrigen Verwanten? Was meine liebe Frau Norton? Wie wird mein Bruder und meine Schweſter frohlocken? Jch kan Jhnen noch nicht melden, wohin Sie Jhre Brieffe ſchicken ſollen: denn ich werde die- ſen Ort bald verlaſſen, ob ich gleich bis auf den Tod muͤde bin. Wenn ich nichts anders thun kan, ſo macht doch die lange Gewohnheit, daß ich noch im Stande bin zu ſchreiben. Dieſes iſt lange Zeit mein Zeitvertreib und mein Ver- gnuͤgen geweſen: es wuͤrde aber nicht zu meinem Vergnuͤgen gereicht haben, wenn ich nicht an ei- ne ſo liebe Freundin haͤtte ſchreiben koͤnnen. Nochmahls A dieu! Haben Sie Mitleiden, und vereinigen Sie Jhr Gebet, mit Jhrer Cl. Harlowe. Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/530
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 524. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/530>, abgerufen am 28.03.2024.