Der ein und dreißigste Brief von Herrn Lovelacen an Herrn Johann Belford.
Den 24sten May.
Der Teufel soll meinen Onckel hohlen. Da hat er mir endlich einen Brief geschrieben, den ich nicht vorzeigen kann, wenn ich nicht den Vornehmsten in unserer Familie zum Narren ma- chen will. Er fällt mich mit einer Menge abge- schmackter Ermahnungen und Bestrafungen an. Jch dachte, er hätte seinen ganzen Vorrath schon in dem an dich geschriebenen Briefe erschöpfet. So lange mußte er den Brief zurück halten, bis er den gantzen Schatz von Thorheiten gesammlet hatte. Der Hencker hohle seine Weisheit der Völcker, wenn er sich solche Mühe geben muß, aus hundert Sententzen-Büchern einen dummen Brief zu machen, durch den er selbst lächerlich wird. Jndessen finde ich mich doch durch seine Narrheit aller Narrheiten sehr gestärcket und er- quicket: denn Klugheit und Thorheit, Gutes und Böses sind doch einmahl in dem menschlichen Le- ben so gemischet, daß man eines ohne das andere nicht haben kann.
Den eingeschlossenen Banck-Zettel habe ich der Fräulein schon überreichet, und ihr einen Theil des Briefes vorgelesen. Allein sie will den Banck-Zettel nicht annehmen: und weil ich auch
bey
Der ein und dreißigſte Brief von Herrn Lovelacen an Herrn Johann Belford.
Den 24ſten May.
Der Teufel ſoll meinen Onckel hohlen. Da hat er mir endlich einen Brief geſchrieben, den ich nicht vorzeigen kann, wenn ich nicht den Vornehmſten in unſerer Familie zum Narren ma- chen will. Er faͤllt mich mit einer Menge abge- ſchmackter Ermahnungen und Beſtrafungen an. Jch dachte, er haͤtte ſeinen ganzen Vorrath ſchon in dem an dich geſchriebenen Briefe erſchoͤpfet. So lange mußte er den Brief zuruͤck halten, bis er den gantzen Schatz von Thorheiten geſammlet hatte. Der Hencker hohle ſeine Weisheit der Voͤlcker, wenn er ſich ſolche Muͤhe geben muß, aus hundert Sententzen-Buͤchern einen dummen Brief zu machen, durch den er ſelbſt laͤcherlich wird. Jndeſſen finde ich mich doch durch ſeine Narrheit aller Narrheiten ſehr geſtaͤrcket und er- quicket: denn Klugheit und Thorheit, Gutes und Boͤſes ſind doch einmahl in dem menſchlichen Le- ben ſo gemiſchet, daß man eines ohne das andere nicht haben kann.
Den eingeſchloſſenen Banck-Zettel habe ich der Fraͤulein ſchon uͤberreichet, und ihr einen Theil des Briefes vorgeleſen. Allein ſie will den Banck-Zettel nicht annehmen: und weil ich auch
bey
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Der ein und dreißigſte Brief
von
Herrn Lovelacen an Herrn Johann Belford.
Den 24ſten May.
Der Teufel ſoll meinen Onckel hohlen. Da
hat er mir endlich einen Brief geſchrieben,
den ich nicht vorzeigen kann, wenn ich nicht den
Vornehmſten in unſerer Familie zum Narren ma-
chen will. Er faͤllt mich mit einer Menge abge-
ſchmackter Ermahnungen und Beſtrafungen an.
Jch dachte, er haͤtte ſeinen ganzen Vorrath ſchon
in dem an dich geſchriebenen Briefe erſchoͤpfet.
So lange mußte er den Brief zuruͤck halten, bis
er den gantzen Schatz von Thorheiten geſammlet
hatte. Der Hencker hohle ſeine Weisheit der
Voͤlcker, wenn er ſich ſolche Muͤhe geben muß,
aus hundert Sententzen-Buͤchern einen dummen
Brief zu machen, durch den er ſelbſt laͤcherlich
wird. Jndeſſen finde ich mich doch durch ſeine
Narrheit aller Narrheiten ſehr geſtaͤrcket und er-
quicket: denn Klugheit und Thorheit, Gutes und
Boͤſes ſind doch einmahl in dem menſchlichen Le-
ben ſo gemiſchet, daß man eines ohne das andere
nicht haben kann.
Den eingeſchloſſenen Banck-Zettel habe ich
der Fraͤulein ſchon uͤberreichet, und ihr einen
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/290>, abgerufen am 24.04.2024.
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