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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

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nung nach ist doch keine Hülfe, und ich werde noch
mehr aufopfern müssen. Es scheint, daß nun alle
Blödigkeit am Ende seyn soll. Wenn dieses ist,
so weiß der Mensch das gewiß noch nicht, was ein
jeder verständiger Mann weiß, nehmlich: daß eine
tugendhafte und kluge Frau, die sich nicht selbst
ausbietet, dem Manne mehr Ehre vor der Welt
bringet, als ihm diese Eigensch aften bringen,
wenn er sie selbst besitzet: und daß ihn der Mangel
dieser Eigenschaften an seiner Frau am meisten ent-
ehret; weil doch die Welt (es mag nun recht oder
unrecht seyn) dem Manne gemeiniglich die Fehler
seiner Frau verdencket.

Jch will dieses Blat in Erwägung ziehen, und
schriftlich darauf antworten, weil doch das Ue-
brige alles auf mich allein ankommt.



Der vierzehnte Brief
von
Fräulein Clarissa Harlowe an Fräulein
Howe.

Herr Lovelace hatte gestern Abend große Lust
mit mir zu sprechen. Weil ich mich aber
noch nicht geschickt dazu befand, indem ich seine
Vorschläge vorher reiflicher überlegen wollte, und
ich mich durch den Schluß seines Briefes nur schlecht
erbauet fand; so bat ich, daß unsere Unterredung
bis auf den Morgen ausgesetzt bleiben möchte. Jch

kann



nung nach iſt doch keine Huͤlfe, und ich werde noch
mehr aufopfern muͤſſen. Es ſcheint, daß nun alle
Bloͤdigkeit am Ende ſeyn ſoll. Wenn dieſes iſt,
ſo weiß der Menſch das gewiß noch nicht, was ein
jeder verſtaͤndiger Mann weiß, nehmlich: daß eine
tugendhafte und kluge Frau, die ſich nicht ſelbſt
ausbietet, dem Manne mehr Ehre vor der Welt
bringet, als ihm dieſe Eigenſch aften bringen,
wenn er ſie ſelbſt beſitzet: und daß ihn der Mangel
dieſer Eigenſchaften an ſeiner Frau am meiſten ent-
ehret; weil doch die Welt (es mag nun recht oder
unrecht ſeyn) dem Manne gemeiniglich die Fehler
ſeiner Frau verdencket.

Jch will dieſes Blat in Erwaͤgung ziehen, und
ſchriftlich darauf antworten, weil doch das Ue-
brige alles auf mich allein ankommt.



Der vierzehnte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.

Herr Lovelace hatte geſtern Abend große Luſt
mit mir zu ſprechen. Weil ich mich aber
noch nicht geſchickt dazu befand, indem ich ſeine
Vorſchlaͤge vorher reiflicher uͤberlegen wollte, und
ich mich durch den Schluß ſeines Briefes nur ſchlecht
erbauet fand; ſo bat ich, daß unſere Unterredung
bis auf den Morgen ausgeſetzt bleiben moͤchte. Jch

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[92/0098] nung nach iſt doch keine Huͤlfe, und ich werde noch mehr aufopfern muͤſſen. Es ſcheint, daß nun alle Bloͤdigkeit am Ende ſeyn ſoll. Wenn dieſes iſt, ſo weiß der Menſch das gewiß noch nicht, was ein jeder verſtaͤndiger Mann weiß, nehmlich: daß eine tugendhafte und kluge Frau, die ſich nicht ſelbſt ausbietet, dem Manne mehr Ehre vor der Welt bringet, als ihm dieſe Eigenſch aften bringen, wenn er ſie ſelbſt beſitzet: und daß ihn der Mangel dieſer Eigenſchaften an ſeiner Frau am meiſten ent- ehret; weil doch die Welt (es mag nun recht oder unrecht ſeyn) dem Manne gemeiniglich die Fehler ſeiner Frau verdencket. Jch will dieſes Blat in Erwaͤgung ziehen, und ſchriftlich darauf antworten, weil doch das Ue- brige alles auf mich allein ankommt. Der vierzehnte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe. Mittewochens fruͤh den 17ten May. Herr Lovelace hatte geſtern Abend große Luſt mit mir zu ſprechen. Weil ich mich aber noch nicht geſchickt dazu befand, indem ich ſeine Vorſchlaͤge vorher reiflicher uͤberlegen wollte, und ich mich durch den Schluß ſeines Briefes nur ſchlecht erbauet fand; ſo bat ich, daß unſere Unterredung bis auf den Morgen ausgeſetzt bleiben moͤchte. Jch kann

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/98>, abgerufen am 24.04.2024.