Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite




Der fünf und siebzigste Brief
von
Fräulein Clarissa Harlowe an Fräulein
Howe.

Meine liebste Fräulein Howe.

Jch erkenne mit schuldigem Dank ihre Gewo-
genheit, daß Sie Herrn Hickmann zu mir
gesandt, mich zu besuchen, ehe Sie Jhre beschlosse-
ne Reise antreten. Hiernächst aber muß ich mit
Jhnen keifen, nach der Aufrichtigkeit derjenigen
Liebe, welche nicht die Liebe seyn könnte, die sie
ist, wenn sie diese bindende Freyheit nicht leiden
wollte, daß Sie es aufgeschoben haben, die ab-
schlägige Antwort zu geben, welche ich Sie mit
so reifer Ueberlegung inständigst gebeten hatte,
den Anverwandten des Herrn Lovelacens zu ver-
melden.

Es ist mir leid, daß ich genöthigt bin, Jh-
nen, meine Wertheste, die mich so wohl kennen,
noch einmal zu sagen, daß, wenn ich auch noch
viele Jahre leben sollte; ich Herrn Lovelacen
nicht haben wollte: viel weniger kann ich an ihn
gedenken, da es wahrscheinlich ist, daß ich nicht
eines mehr erleben werde.

Was die Welt und ihre Urtheile betrifft:
so wissen Sie, liebste Freundinn, daß ich zwar

allezeit




Der fuͤnf und ſiebzigſte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.

Meine liebſte Fraͤulein Howe.

Jch erkenne mit ſchuldigem Dank ihre Gewo-
genheit, daß Sie Herrn Hickmann zu mir
geſandt, mich zu beſuchen, ehe Sie Jhre beſchloſſe-
ne Reiſe antreten. Hiernaͤchſt aber muß ich mit
Jhnen keifen, nach der Aufrichtigkeit derjenigen
Liebe, welche nicht die Liebe ſeyn koͤnnte, die ſie
iſt, wenn ſie dieſe bindende Freyheit nicht leiden
wollte, daß Sie es aufgeſchoben haben, die ab-
ſchlaͤgige Antwort zu geben, welche ich Sie mit
ſo reifer Ueberlegung inſtaͤndigſt gebeten hatte,
den Anverwandten des Herrn Lovelacens zu ver-
melden.

Es iſt mir leid, daß ich genoͤthigt bin, Jh-
nen, meine Wertheſte, die mich ſo wohl kennen,
noch einmal zu ſagen, daß, wenn ich auch noch
viele Jahre leben ſollte; ich Herrn Lovelacen
nicht haben wollte: viel weniger kann ich an ihn
gedenken, da es wahrſcheinlich iſt, daß ich nicht
eines mehr erleben werde.

Was die Welt und ihre Urtheile betrifft:
ſo wiſſen Sie, liebſte Freundinn, daß ich zwar

allezeit
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0568" n="562"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#fr">Der fu&#x0364;nf und &#x017F;iebzig&#x017F;te Brief</hi><lb/>
von<lb/><hi rendition="#fr">Fra&#x0364;ulein Clari&#x017F;&#x017F;a Harlowe an Fra&#x0364;ulein<lb/>
Howe.</hi></head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Donner&#x017F;tags, den 27ten Jul.</hi> </dateline><lb/>
          <salute> <hi rendition="#b">Meine lieb&#x017F;te Fra&#x0364;ulein Howe.</hi> </salute><lb/>
          <p><hi rendition="#in">J</hi>ch erkenne mit &#x017F;chuldigem Dank ihre Gewo-<lb/>
genheit, daß Sie Herrn Hickmann zu mir<lb/>
ge&#x017F;andt, mich zu be&#x017F;uchen, ehe Sie Jhre be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;e-<lb/>
ne Rei&#x017F;e antreten. Hierna&#x0364;ch&#x017F;t aber muß ich mit<lb/>
Jhnen keifen, nach der Aufrichtigkeit derjenigen<lb/>
Liebe, welche nicht die Liebe &#x017F;eyn ko&#x0364;nnte, die &#x017F;ie<lb/>
i&#x017F;t, wenn &#x017F;ie die&#x017F;e <hi rendition="#fr">bindende</hi> Freyheit nicht leiden<lb/>
wollte, daß Sie es aufge&#x017F;choben haben, die ab-<lb/>
&#x017F;chla&#x0364;gige Antwort zu geben, welche ich Sie mit<lb/>
&#x017F;o reifer Ueberlegung in&#x017F;ta&#x0364;ndig&#x017F;t gebeten hatte,<lb/>
den Anverwandten des Herrn Lovelacens zu ver-<lb/>
melden.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t mir leid, daß ich geno&#x0364;thigt bin, Jh-<lb/>
nen, meine Werthe&#x017F;te, die mich &#x017F;o wohl kennen,<lb/><hi rendition="#fr">noch einmal zu &#x017F;agen,</hi> daß, wenn ich auch noch<lb/><hi rendition="#fr">viele Jahre</hi> leben &#x017F;ollte; ich Herrn Lovelacen<lb/>
nicht haben wollte: viel weniger kann ich an ihn<lb/>
gedenken, da es wahr&#x017F;cheinlich i&#x017F;t, daß ich nicht<lb/><hi rendition="#fr">eines</hi> mehr erleben werde.</p><lb/>
          <p>Was die <hi rendition="#fr">Welt</hi> und ihre <hi rendition="#fr">Urtheile</hi> betrifft:<lb/>
&#x017F;o wi&#x017F;&#x017F;en Sie, lieb&#x017F;te Freundinn, daß ich zwar<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">allezeit</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[562/0568] Der fuͤnf und ſiebzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe. Donnerſtags, den 27ten Jul. Meine liebſte Fraͤulein Howe. Jch erkenne mit ſchuldigem Dank ihre Gewo- genheit, daß Sie Herrn Hickmann zu mir geſandt, mich zu beſuchen, ehe Sie Jhre beſchloſſe- ne Reiſe antreten. Hiernaͤchſt aber muß ich mit Jhnen keifen, nach der Aufrichtigkeit derjenigen Liebe, welche nicht die Liebe ſeyn koͤnnte, die ſie iſt, wenn ſie dieſe bindende Freyheit nicht leiden wollte, daß Sie es aufgeſchoben haben, die ab- ſchlaͤgige Antwort zu geben, welche ich Sie mit ſo reifer Ueberlegung inſtaͤndigſt gebeten hatte, den Anverwandten des Herrn Lovelacens zu ver- melden. Es iſt mir leid, daß ich genoͤthigt bin, Jh- nen, meine Wertheſte, die mich ſo wohl kennen, noch einmal zu ſagen, daß, wenn ich auch noch viele Jahre leben ſollte; ich Herrn Lovelacen nicht haben wollte: viel weniger kann ich an ihn gedenken, da es wahrſcheinlich iſt, daß ich nicht eines mehr erleben werde. Was die Welt und ihre Urtheile betrifft: ſo wiſſen Sie, liebſte Freundinn, daß ich zwar allezeit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/568
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 562. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/568>, abgerufen am 28.03.2024.