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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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2. Mesopotamisches.
werkstelligt erscheint; die Spiralornamentik fehlt bei den Assyrern so gut
wie gänzlich. Zwar das Barthaar sowie das Wellengekräusel erscheint
an ihren Kunstwerken durch Spiralen wiedergegeben, aber als orna-
mentales Motiv, insbesondere als Verbindungsmotiv zwischen pflanzlichen
Ornamenten suchen wir die Spirale in der ganzen mesopotamischen
Kunst vergebens, was mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der Spiral-
verbindung für die Geschichte des Pflanzenornaments -- bei den Egyptern
sowohl, wie wir gesehen haben, als auch bei den Griechen, wie wir noch
sehen werden -- nachdrücklich betont werden muss. Als vereinzelte
Ausnahme liesse sich allenfalls das obere Randornament an dem Gefässe,
das der Fischgott bei Layard II. Taf. 6 in der Hand hält, anführen; es
ist dies aber nicht so sehr eine laufende Spiralenreihe als ein ausge-
prägter laufender Hund, -- ein allerdings mit der Spirale anscheinend
nächst verwandtes Ornamentmotiv, das aber in die Klasse der sogen.
reciproken Ornamente gehört und seine besondere Ausbildung bekannt-
lich in der griechischen Kunst gefunden hat 67).

Wo keine Spiralornamentik, dort kann auch kein öfter wieder-
kehrendes Bedürfniss nach dekorativer Zwickelfüllung vorhanden ge-
wesen sein. Es ist daher gewiss nicht zufällig, dass die assyrische
Kunst das Postulat der Zwickelfüllung, das in der altegyptischen Kunst
des Neuen Reiches eine so elementare Bedeutung gehabt hat, nicht
kennt. Dieser Umstand spricht ganz besonders eindringlich gegen
Sybel's Theorie von der Entlehnung der charakteristischen Ornament-
formen des Neuen egyptischen Reiches aus Mesopotamien. Es muss
aber auch darum schon in diesem Zusammenhange nachdrücklich betont
werden, dass das von den Mesopotamiern vernachlässigte Postulat der
Zwickelfüllung, ebenso wie die von den Mesopotamiern nicht minder
unbeachtet gebliebene Spiralornamentik bei den Phönikern und Griechen
zu grösster Bedeutung gelangt ist.


67) Ebenso vereinzelt wie dieses assyrische Beispiel des laufenden
Hundes aus verhältnissmässig später Zeit, ist dasjenige, das ich aus der alt-
egyptischen Ornamentik beizubringen weiss, nämlich die Bordüre an einer
von Adoranten getragenen Tafel bei Lepsius VII. 187, aus der Zeit des grossen
Ramses. Die für wissenschaftliche Zwecke nach heutigen Anforderungen viel-
fach ungenügenden Abbildungen bei Layard und Lepsius lassen namentlich
bei so vereinzelten Beispielen Zweifel übrig. -- Vgl. auch Owen Jones VII. 16.

2. Mesopotamisches.
werkstelligt erscheint; die Spiralornamentik fehlt bei den Assyrern so gut
wie gänzlich. Zwar das Barthaar sowie das Wellengekräusel erscheint
an ihren Kunstwerken durch Spiralen wiedergegeben, aber als orna-
mentales Motiv, insbesondere als Verbindungsmotiv zwischen pflanzlichen
Ornamenten suchen wir die Spirale in der ganzen mesopotamischen
Kunst vergebens, was mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der Spiral-
verbindung für die Geschichte des Pflanzenornaments — bei den Egyptern
sowohl, wie wir gesehen haben, als auch bei den Griechen, wie wir noch
sehen werden — nachdrücklich betont werden muss. Als vereinzelte
Ausnahme liesse sich allenfalls das obere Randornament an dem Gefässe,
das der Fischgott bei Layard II. Taf. 6 in der Hand hält, anführen; es
ist dies aber nicht so sehr eine laufende Spiralenreihe als ein ausge-
prägter laufender Hund, — ein allerdings mit der Spirale anscheinend
nächst verwandtes Ornamentmotiv, das aber in die Klasse der sogen.
reciproken Ornamente gehört und seine besondere Ausbildung bekannt-
lich in der griechischen Kunst gefunden hat 67).

Wo keine Spiralornamentik, dort kann auch kein öfter wieder-
kehrendes Bedürfniss nach dekorativer Zwickelfüllung vorhanden ge-
wesen sein. Es ist daher gewiss nicht zufällig, dass die assyrische
Kunst das Postulat der Zwickelfüllung, das in der altegyptischen Kunst
des Neuen Reiches eine so elementare Bedeutung gehabt hat, nicht
kennt. Dieser Umstand spricht ganz besonders eindringlich gegen
Sybel’s Theorie von der Entlehnung der charakteristischen Ornament-
formen des Neuen egyptischen Reiches aus Mesopotamien. Es muss
aber auch darum schon in diesem Zusammenhange nachdrücklich betont
werden, dass das von den Mesopotamiern vernachlässigte Postulat der
Zwickelfüllung, ebenso wie die von den Mesopotamiern nicht minder
unbeachtet gebliebene Spiralornamentik bei den Phönikern und Griechen
zu grösster Bedeutung gelangt ist.


67) Ebenso vereinzelt wie dieses assyrische Beispiel des laufenden
Hundes aus verhältnissmässig später Zeit, ist dasjenige, das ich aus der alt-
egyptischen Ornamentik beizubringen weiss, nämlich die Bordüre an einer
von Adoranten getragenen Tafel bei Lepsius VII. 187, aus der Zeit des grossen
Ramses. Die für wissenschaftliche Zwecke nach heutigen Anforderungen viel-
fach ungenügenden Abbildungen bei Layard und Lepsius lassen namentlich
bei so vereinzelten Beispielen Zweifel übrig. — Vgl. auch Owen Jones VII. 16.
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[101/0127] 2. Mesopotamisches. werkstelligt erscheint; die Spiralornamentik fehlt bei den Assyrern so gut wie gänzlich. Zwar das Barthaar sowie das Wellengekräusel erscheint an ihren Kunstwerken durch Spiralen wiedergegeben, aber als orna- mentales Motiv, insbesondere als Verbindungsmotiv zwischen pflanzlichen Ornamenten suchen wir die Spirale in der ganzen mesopotamischen Kunst vergebens, was mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der Spiral- verbindung für die Geschichte des Pflanzenornaments — bei den Egyptern sowohl, wie wir gesehen haben, als auch bei den Griechen, wie wir noch sehen werden — nachdrücklich betont werden muss. Als vereinzelte Ausnahme liesse sich allenfalls das obere Randornament an dem Gefässe, das der Fischgott bei Layard II. Taf. 6 in der Hand hält, anführen; es ist dies aber nicht so sehr eine laufende Spiralenreihe als ein ausge- prägter laufender Hund, — ein allerdings mit der Spirale anscheinend nächst verwandtes Ornamentmotiv, das aber in die Klasse der sogen. reciproken Ornamente gehört und seine besondere Ausbildung bekannt- lich in der griechischen Kunst gefunden hat 67). Wo keine Spiralornamentik, dort kann auch kein öfter wieder- kehrendes Bedürfniss nach dekorativer Zwickelfüllung vorhanden ge- wesen sein. Es ist daher gewiss nicht zufällig, dass die assyrische Kunst das Postulat der Zwickelfüllung, das in der altegyptischen Kunst des Neuen Reiches eine so elementare Bedeutung gehabt hat, nicht kennt. Dieser Umstand spricht ganz besonders eindringlich gegen Sybel’s Theorie von der Entlehnung der charakteristischen Ornament- formen des Neuen egyptischen Reiches aus Mesopotamien. Es muss aber auch darum schon in diesem Zusammenhange nachdrücklich betont werden, dass das von den Mesopotamiern vernachlässigte Postulat der Zwickelfüllung, ebenso wie die von den Mesopotamiern nicht minder unbeachtet gebliebene Spiralornamentik bei den Phönikern und Griechen zu grösster Bedeutung gelangt ist. 67) Ebenso vereinzelt wie dieses assyrische Beispiel des laufenden Hundes aus verhältnissmässig später Zeit, ist dasjenige, das ich aus der alt- egyptischen Ornamentik beizubringen weiss, nämlich die Bordüre an einer von Adoranten getragenen Tafel bei Lepsius VII. 187, aus der Zeit des grossen Ramses. Die für wissenschaftliche Zwecke nach heutigen Anforderungen viel- fach ungenügenden Abbildungen bei Layard und Lepsius lassen namentlich bei so vereinzelten Beispielen Zweifel übrig. — Vgl. auch Owen Jones VII. 16.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/127>, abgerufen am 20.04.2024.