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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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So lange das alterthümliche Erdorakel in Kraft stand, wird
auch dessen Hüter nicht todt und begraben unter dem Om-
phalos der Erdgöttin gelegen, sondern lebendig dort gehaust
haben, in der Erdtiefe, wie Amphiaraos, wie Trophonios, wie
Zeus im Ida.

3.

Das "Grab" unter dem Omphalos bedeutet in dem Falle
des Python die Ueberwindung des in der Erdtiefe hausenden,
chthonischen Dämons durch den Apollinischen Cult. Das "Grab"
des Zeus, welches sich der älteren Sage vom Aufenthalt des
Zeus in der Berghöhle untergeschoben hatte, drückt dieselbe
Vorstellung wie diese Sage aus, in einer Form, welche der
späteren Zeit, die von vielen "Heroen" wusste, die nach
ihrem Tode und aus ihrem Grabe hervor höheres Leben und
mächtige Wirksamkeit spüren lassen, geläufig war. Der ge-
storbene und begrabene Zeus ist ein zum Heros herabgesetzter
Gott 1); wunderlich und paradox ist einzig, dass dieser heroi-

Apollodor. 1, 4, 1, 3: os de o phrouron to manteion Puthon ophis ekoluen
auton (Apollona) parelthein epi to khasma (den Orakelschlund), touton ane-
lon to manteion paralambanei. Die Schlangengestalt ist den Erdgeistern
eigen, und weil Erdgeister durchweg mantische Kraft haben, den Orakel-
geistern. Trophonios erschien als Schlange, auch Asklepios. Der del-
phische drakon ist wohl ohne Zweifel eigentlich eine Verkörperung des
vorapollinischen Orakeldämons. So sagt Hesych. geradezu: Puthon daimonion
mantikon (ausgeschmückt Hygin. fab. 140). Vgl. Act. Ap. 16, 16. -- Anhänger
der Lehre von der griechischen "Naturreligion" finden auch in der Sage
von Apolls Kampf mit der Schlange eine allegorische Einkleidung eines
physikalischen, in's Ethische hinüberschillernden Satzes wieder. Für das
Ursprüngliche kann ich solche Allegorie nicht halten.
1) Hierzu eine lehrreiche Parallele. In den Clementin. Homilien 5, 22
p. 70, 32 Lag. wird erwähnt ein Grab des Pluton en te Akherousia
limne. Dies wird sich so verstehen lassen. Zu Hermione wurde Hades
unter dem Namen Klymenos neben Demeter khthonia und Kore verehrt
(C. I. Gr. 1197. 1199). Pausanias weiss wohl, dass Klymenos ein Bei-
name (epiklesis) des Hades ist (2, 35, 9), aber seine Abweisung der Be-
hauptung, dass Klymenos ein Mann aus Argos sei, der nach Hermione
(wohl als Stifter des chthonischen Cultus) gekommen sei, beweist, dass
eben das die geläufige Ansicht gewesen sein muss. Hinter dem Tempel

So lange das alterthümliche Erdorakel in Kraft stand, wird
auch dessen Hüter nicht todt und begraben unter dem Om-
phalos der Erdgöttin gelegen, sondern lebendig dort gehaust
haben, in der Erdtiefe, wie Amphiaraos, wie Trophonios, wie
Zeus im Ida.

3.

Das „Grab“ unter dem Omphalos bedeutet in dem Falle
des Python die Ueberwindung des in der Erdtiefe hausenden,
chthonischen Dämons durch den Apollinischen Cult. Das „Grab“
des Zeus, welches sich der älteren Sage vom Aufenthalt des
Zeus in der Berghöhle untergeschoben hatte, drückt dieselbe
Vorstellung wie diese Sage aus, in einer Form, welche der
späteren Zeit, die von vielen „Heroen“ wusste, die nach
ihrem Tode und aus ihrem Grabe hervor höheres Leben und
mächtige Wirksamkeit spüren lassen, geläufig war. Der ge-
storbene und begrabene Zeus ist ein zum Heros herabgesetzter
Gott 1); wunderlich und paradox ist einzig, dass dieser heroi-

Apollodor. 1, 4, 1, 3: ὡς δὲ ὁ φρουρῶν τὸ μαντεῖον Πύϑων ὄφις ἐκώλυεν
αὐτὸν (Ἀπόλλωνα) παρελϑεῖν ἐπὶ τὸ χάσμα (den Orakelschlund), τοῦτον ἀνε-
λὼν τὸ μαντεῖον παραλαμβάνει. Die Schlangengestalt ist den Erdgeistern
eigen, und weil Erdgeister durchweg mantische Kraft haben, den Orakel-
geistern. Trophonios erschien als Schlange, auch Asklepios. Der del-
phische δράκων ist wohl ohne Zweifel eigentlich eine Verkörperung des
vorapollinischen Orakeldämons. So sagt Hesych. geradezu: Πύϑων δαιμόνιον
μαντικόν (ausgeschmückt Hygin. fab. 140). Vgl. Act. Ap. 16, 16. — Anhänger
der Lehre von der griechischen „Naturreligion“ finden auch in der Sage
von Apolls Kampf mit der Schlange eine allegorische Einkleidung eines
physikalischen, in’s Ethische hinüberschillernden Satzes wieder. Für das
Ursprüngliche kann ich solche Allegorie nicht halten.
1) Hierzu eine lehrreiche Parallele. In den Clementin. Homilien 5, 22
p. 70, 32 Lag. wird erwähnt ein Grab des Pluton ἐν τῇ Ἀχερουσίᾳ
λίμνῃ. Dies wird sich so verstehen lassen. Zu Hermione wurde Hades
unter dem Namen Klymenos neben Demeter χϑονία und Kore verehrt
(C. I. Gr. 1197. 1199). Pausanias weiss wohl, dass Klymenos ein Bei-
name (ἐπίκλησις) des Hades ist (2, 35, 9), aber seine Abweisung der Be-
hauptung, dass Klymenos ein Mann aus Argos sei, der nach Hermione
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[125/0141] So lange das alterthümliche Erdorakel in Kraft stand, wird auch dessen Hüter nicht todt und begraben unter dem Om- phalos der Erdgöttin gelegen, sondern lebendig dort gehaust haben, in der Erdtiefe, wie Amphiaraos, wie Trophonios, wie Zeus im Ida. 3. Das „Grab“ unter dem Omphalos bedeutet in dem Falle des Python die Ueberwindung des in der Erdtiefe hausenden, chthonischen Dämons durch den Apollinischen Cult. Das „Grab“ des Zeus, welches sich der älteren Sage vom Aufenthalt des Zeus in der Berghöhle untergeschoben hatte, drückt dieselbe Vorstellung wie diese Sage aus, in einer Form, welche der späteren Zeit, die von vielen „Heroen“ wusste, die nach ihrem Tode und aus ihrem Grabe hervor höheres Leben und mächtige Wirksamkeit spüren lassen, geläufig war. Der ge- storbene und begrabene Zeus ist ein zum Heros herabgesetzter Gott 1); wunderlich und paradox ist einzig, dass dieser heroi- 1) 1) Hierzu eine lehrreiche Parallele. In den Clementin. Homilien 5, 22 p. 70, 32 Lag. wird erwähnt ein Grab des Pluton ἐν τῇ Ἀχερουσίᾳ λίμνῃ. Dies wird sich so verstehen lassen. Zu Hermione wurde Hades unter dem Namen Klymenos neben Demeter χϑονία und Kore verehrt (C. I. Gr. 1197. 1199). Pausanias weiss wohl, dass Klymenos ein Bei- name (ἐπίκλησις) des Hades ist (2, 35, 9), aber seine Abweisung der Be- hauptung, dass Klymenos ein Mann aus Argos sei, der nach Hermione (wohl als Stifter des chthonischen Cultus) gekommen sei, beweist, dass eben das die geläufige Ansicht gewesen sein muss. Hinter dem Tempel 1) Apollodor. 1, 4, 1, 3: ὡς δὲ ὁ φρουρῶν τὸ μαντεῖον Πύϑων ὄφις ἐκώλυεν αὐτὸν (Ἀπόλλωνα) παρελϑεῖν ἐπὶ τὸ χάσμα (den Orakelschlund), τοῦτον ἀνε- λὼν τὸ μαντεῖον παραλαμβάνει. Die Schlangengestalt ist den Erdgeistern eigen, und weil Erdgeister durchweg mantische Kraft haben, den Orakel- geistern. Trophonios erschien als Schlange, auch Asklepios. Der del- phische δράκων ist wohl ohne Zweifel eigentlich eine Verkörperung des vorapollinischen Orakeldämons. So sagt Hesych. geradezu: Πύϑων δαιμόνιον μαντικόν (ausgeschmückt Hygin. fab. 140). Vgl. Act. Ap. 16, 16. — Anhänger der Lehre von der griechischen „Naturreligion“ finden auch in der Sage von Apolls Kampf mit der Schlange eine allegorische Einkleidung eines physikalischen, in’s Ethische hinüberschillernden Satzes wieder. Für das Ursprüngliche kann ich solche Allegorie nicht halten.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/141>, abgerufen am 25.04.2024.