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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Die Heroen.

Als um das Jahr 620 Drakon zu Athen das Gewohnheits-
recht seiner Vaterstadt zum ersten Mal in schriftlicher Auf-
zeichnung zusammenfasste, gab er auch die Weisung, die
Götter und die vaterländischen Heroen gemeinsam zu verehren
nach dem Brauch der Väter 1).

Hier zum ersten Mal begegnen uns als Wesen höherer
Art, neben den Göttern genannt, und gleich diesen durch regel-
mässige Opfer zu verehren, die Heroen. Ihr Cult, ebenso
wie der Göttercult, wird als längst bestehend vorausgesetzt; er
soll nicht neu eingerichtet werden, sondern nur erhalten bleiben,
wie ihn väterliche Satzungen gestaltet haben. Wir sehen hier,
an einem wichtigen Wendepunkte griechischer Religionsent-
wicklung, wie mangelhaft unsere Kenntniss der Geschichte
religiöser Ideen in Griechenlands älterer Zeit ist. Dieses
früheste, uns zufällig erhaltene Zeugniss von griechischem
Heroencult weist über sich selbst hinaus und zurück auf eine
lange Vorzeit der Verehrung solcher Landesschutzgeister; aber
wir haben kaum irgend eine Kunde hiervon aus älterer Zeit 2).

1) Porphyr. de abstin. 4, 22.
2) Nicht ganz deutlich ist, ob man in dem, was Pausanias 2, 2. 2
nach Eumelus über die Gräber des Neleus und Sisyphos berichtet, eine
erste Spur eines Heroenreliquiencultus erkennen dürfe, mit Lobeck, Agl. 284.
-- Die Orakelverse aus Oenomaos bei Euseb. pr. ev. 5, 28 p. 223 B,
in denen Lykurg ermahnt wird, zu ehren Menelan te kai allous athana-
tous eroas, oi en Lakedaimoni die, sind wohl recht jung, jünger als die
schon dem Herodot bekannten: ekeis, o Lukoorge -- wiewohl älter als
das 2. Jahrhundert (vgl. Isyllos [Collitz 3342] v. 26). Oenomaos ent-
lehnt sie (wie alle Orakel, die er in seiner Goeton phora verarbeitet)
einer Sammlung von Orakelsprüchen, gewiss nicht dem Ephorus, wie
E. Meyer, Rhein. Mus. 41, 570 ff. annimmt (um von dem König Pau-
Die Heroen.

Als um das Jahr 620 Drakon zu Athen das Gewohnheits-
recht seiner Vaterstadt zum ersten Mal in schriftlicher Auf-
zeichnung zusammenfasste, gab er auch die Weisung, die
Götter und die vaterländischen Heroen gemeinsam zu verehren
nach dem Brauch der Väter 1).

Hier zum ersten Mal begegnen uns als Wesen höherer
Art, neben den Göttern genannt, und gleich diesen durch regel-
mässige Opfer zu verehren, die Heroen. Ihr Cult, ebenso
wie der Göttercult, wird als längst bestehend vorausgesetzt; er
soll nicht neu eingerichtet werden, sondern nur erhalten bleiben,
wie ihn väterliche Satzungen gestaltet haben. Wir sehen hier,
an einem wichtigen Wendepunkte griechischer Religionsent-
wicklung, wie mangelhaft unsere Kenntniss der Geschichte
religiöser Ideen in Griechenlands älterer Zeit ist. Dieses
früheste, uns zufällig erhaltene Zeugniss von griechischem
Heroencult weist über sich selbst hinaus und zurück auf eine
lange Vorzeit der Verehrung solcher Landesschutzgeister; aber
wir haben kaum irgend eine Kunde hiervon aus älterer Zeit 2).

1) Porphyr. de abstin. 4, 22.
2) Nicht ganz deutlich ist, ob man in dem, was Pausanias 2, 2. 2
nach Eumelus über die Gräber des Neleus und Sisyphos berichtet, eine
erste Spur eines Heroenreliquiencultus erkennen dürfe, mit Lobeck, Agl. 284.
— Die Orakelverse aus Oenomaos bei Euseb. pr. ev. 5, 28 p. 223 B,
in denen Lykurg ermahnt wird, zu ehren Μενέλαν τε καὶ ἄλλους ἀϑανά-
τους ἥρωας, οἳ ἐν Λακεδαίμονι δίῃ, sind wohl recht jung, jünger als die
schon dem Herodot bekannten: ἥκεις, ὦ Λυκόοργε — wiewohl älter als
das 2. Jahrhundert (vgl. Isyllos [Collitz 3342] v. 26). Oenomaos ent-
lehnt sie (wie alle Orakel, die er in seiner Γοήτων φώρα verarbeitet)
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[[137]/0153] Die Heroen. Als um das Jahr 620 Drakon zu Athen das Gewohnheits- recht seiner Vaterstadt zum ersten Mal in schriftlicher Auf- zeichnung zusammenfasste, gab er auch die Weisung, die Götter und die vaterländischen Heroen gemeinsam zu verehren nach dem Brauch der Väter 1). Hier zum ersten Mal begegnen uns als Wesen höherer Art, neben den Göttern genannt, und gleich diesen durch regel- mässige Opfer zu verehren, die Heroen. Ihr Cult, ebenso wie der Göttercult, wird als längst bestehend vorausgesetzt; er soll nicht neu eingerichtet werden, sondern nur erhalten bleiben, wie ihn väterliche Satzungen gestaltet haben. Wir sehen hier, an einem wichtigen Wendepunkte griechischer Religionsent- wicklung, wie mangelhaft unsere Kenntniss der Geschichte religiöser Ideen in Griechenlands älterer Zeit ist. Dieses früheste, uns zufällig erhaltene Zeugniss von griechischem Heroencult weist über sich selbst hinaus und zurück auf eine lange Vorzeit der Verehrung solcher Landesschutzgeister; aber wir haben kaum irgend eine Kunde hiervon aus älterer Zeit 2). 1) Porphyr. de abstin. 4, 22. 2) Nicht ganz deutlich ist, ob man in dem, was Pausanias 2, 2. 2 nach Eumelus über die Gräber des Neleus und Sisyphos berichtet, eine erste Spur eines Heroenreliquiencultus erkennen dürfe, mit Lobeck, Agl. 284. — Die Orakelverse aus Oenomaos bei Euseb. pr. ev. 5, 28 p. 223 B, in denen Lykurg ermahnt wird, zu ehren Μενέλαν τε καὶ ἄλλους ἀϑανά- τους ἥρωας, οἳ ἐν Λακεδαίμονι δίῃ, sind wohl recht jung, jünger als die schon dem Herodot bekannten: ἥκεις, ὦ Λυκόοργε — wiewohl älter als das 2. Jahrhundert (vgl. Isyllos [Collitz 3342] v. 26). Oenomaos ent- lehnt sie (wie alle Orakel, die er in seiner Γοήτων φώρα verarbeitet) einer Sammlung von Orakelsprüchen, gewiss nicht dem Ephorus, wie E. Meyer, Rhein. Mus. 41, 570 ff. annimmt (um von dem König Pau-

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. [137]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/153>, abgerufen am 20.04.2024.