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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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würde sehr irren, wenn man meinte, aus diesen von Dichtern
und der von den Dichtern geleiteten Phantasie des Volkes
depotenzirten Göttern sei die Heroenwelt erwachsen. Die
meisten der also ihrer Göttlichkeit entkleideten Götter waren
zu Menschen gemacht, denen auch nach dem Tode bewusstes
Geisterleben und Wirksamkeit nicht zukam, aus deren Art
also gerade das, was das Wesen der "Heroen" ausmacht, sich
nicht erzeugen konnte. Jene zu ewig fortlebenden Helden um-
gewandelten alten Erdgötter aber, deren Hauptvertreter Am-
phiaraos ist, sind doch nur unächte "Heroen"; Vorbilder für
die wahren Heroen können auch sie nicht geworden sein. Sie
sind ja lebendig entrückt, und leben weiter, eben weil sie den
Tod nicht geschmeckt haben. Sie, mit den Inselentrückten zu-
sammen, zeigen die Unsterblichkeit in der Form, die homerische
Dichtung allein kennt. Die Heroen des neuen Glaubens da-
gegen sind völlig gestorben; des Leibes ledig, leben sie dennoch
fort. Von den Entrückten der epischen Sage sind sie von
Grund aus verschieden. Aus undeutlich dämmernder Erinne-
rung treten sie als etwas, der vom Epos beeinflussten Vor-
stellung Fremdes, ja ihr Entgegengesetztes hervor.

Nicht aus dichterischen Bildern und Geschichten hat sich
das Heroenwesen entwickelt, sondern aus den Resten eines
alten, vorhomerischen Glaubens, die der locale Cultus lebendig
erhalten hatte.

5.

Ueberall knüpft sich die Verehrung eines Heros an die
Stätte seines Grabes. Das ist die allgemeine Regel, die sich
in ungezählten einzelnen Fällen bestätigt. Darum ist, wo ein
Heros besonders hoher Verehrung geniesst, sein Grab, als der
Mittelpunct dieser Verehrung, an ausgezeichneter und auszeich-
nender Stelle errichtet, auf dem Marktplatz der Stadt, im
Prytaneum 1), oder, wie das Grab des Pelops in der Altis zu

1) Grab auf dem Markte: Battos in Kyrene (Pind. P. 5, 87 ff.)
und öfter. Im Prytaneum zu Megara Heroengräber: Paus. 1, 43, 2. 3.

würde sehr irren, wenn man meinte, aus diesen von Dichtern
und der von den Dichtern geleiteten Phantasie des Volkes
depotenzirten Göttern sei die Heroenwelt erwachsen. Die
meisten der also ihrer Göttlichkeit entkleideten Götter waren
zu Menschen gemacht, denen auch nach dem Tode bewusstes
Geisterleben und Wirksamkeit nicht zukam, aus deren Art
also gerade das, was das Wesen der „Heroen“ ausmacht, sich
nicht erzeugen konnte. Jene zu ewig fortlebenden Helden um-
gewandelten alten Erdgötter aber, deren Hauptvertreter Am-
phiaraos ist, sind doch nur unächte „Heroen“; Vorbilder für
die wahren Heroen können auch sie nicht geworden sein. Sie
sind ja lebendig entrückt, und leben weiter, eben weil sie den
Tod nicht geschmeckt haben. Sie, mit den Inselentrückten zu-
sammen, zeigen die Unsterblichkeit in der Form, die homerische
Dichtung allein kennt. Die Heroen des neuen Glaubens da-
gegen sind völlig gestorben; des Leibes ledig, leben sie dennoch
fort. Von den Entrückten der epischen Sage sind sie von
Grund aus verschieden. Aus undeutlich dämmernder Erinne-
rung treten sie als etwas, der vom Epos beeinflussten Vor-
stellung Fremdes, ja ihr Entgegengesetztes hervor.

Nicht aus dichterischen Bildern und Geschichten hat sich
das Heroenwesen entwickelt, sondern aus den Resten eines
alten, vorhomerischen Glaubens, die der locale Cultus lebendig
erhalten hatte.

5.

Ueberall knüpft sich die Verehrung eines Heros an die
Stätte seines Grabes. Das ist die allgemeine Regel, die sich
in ungezählten einzelnen Fällen bestätigt. Darum ist, wo ein
Heros besonders hoher Verehrung geniesst, sein Grab, als der
Mittelpunct dieser Verehrung, an ausgezeichneter und auszeich-
nender Stelle errichtet, auf dem Marktplatz der Stadt, im
Prytaneum 1), oder, wie das Grab des Pelops in der Altis zu

1) Grab auf dem Markte: Battos in Kyrene (Pind. P. 5, 87 ff.)
und öfter. Im Prytaneum zu Megara Heroengräber: Paus. 1, 43, 2. 3.
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[149/0165] würde sehr irren, wenn man meinte, aus diesen von Dichtern und der von den Dichtern geleiteten Phantasie des Volkes depotenzirten Göttern sei die Heroenwelt erwachsen. Die meisten der also ihrer Göttlichkeit entkleideten Götter waren zu Menschen gemacht, denen auch nach dem Tode bewusstes Geisterleben und Wirksamkeit nicht zukam, aus deren Art also gerade das, was das Wesen der „Heroen“ ausmacht, sich nicht erzeugen konnte. Jene zu ewig fortlebenden Helden um- gewandelten alten Erdgötter aber, deren Hauptvertreter Am- phiaraos ist, sind doch nur unächte „Heroen“; Vorbilder für die wahren Heroen können auch sie nicht geworden sein. Sie sind ja lebendig entrückt, und leben weiter, eben weil sie den Tod nicht geschmeckt haben. Sie, mit den Inselentrückten zu- sammen, zeigen die Unsterblichkeit in der Form, die homerische Dichtung allein kennt. Die Heroen des neuen Glaubens da- gegen sind völlig gestorben; des Leibes ledig, leben sie dennoch fort. Von den Entrückten der epischen Sage sind sie von Grund aus verschieden. Aus undeutlich dämmernder Erinne- rung treten sie als etwas, der vom Epos beeinflussten Vor- stellung Fremdes, ja ihr Entgegengesetztes hervor. Nicht aus dichterischen Bildern und Geschichten hat sich das Heroenwesen entwickelt, sondern aus den Resten eines alten, vorhomerischen Glaubens, die der locale Cultus lebendig erhalten hatte. 5. Ueberall knüpft sich die Verehrung eines Heros an die Stätte seines Grabes. Das ist die allgemeine Regel, die sich in ungezählten einzelnen Fällen bestätigt. Darum ist, wo ein Heros besonders hoher Verehrung geniesst, sein Grab, als der Mittelpunct dieser Verehrung, an ausgezeichneter und auszeich- nender Stelle errichtet, auf dem Marktplatz der Stadt, im Prytaneum 1), oder, wie das Grab des Pelops in der Altis zu 1) Grab auf dem Markte: Battos in Kyrene (Pind. P. 5, 87 ff.) und öfter. Im Prytaneum zu Megara Heroengräber: Paus. 1, 43, 2. 3.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/165>, abgerufen am 28.03.2024.