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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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gegeben war, der gerade von ihm mantische Thätigkeit erwarten
liess, so wird man glauben müssen, dass Kenntniss der Zukunft
und Vermittlung solcher Kenntniss an die noch Lebenden den
zum Geisterdasein erhobenen Seelen der Heroen überhaupt zu-
kam. Die uns zufällig erhaltenen Nachrichten lehren uns einige
völlig und dauernd eingerichtete Heroenorakel kennen; es mag
deren noch manche gegeben haben, von denen wir nichts hören,
und vereinzelte und gelegentlich ausgeübte mantische Thätig-
keit mag auch anderen Heroen nicht verwehrt gewesen sein1).

11.

Sind die Orakelheroen durchaus an die Stätte ihres Grabes
gebunden, so zeigt auch, was uns an Legenden, die von Er-
scheinungen einzelner Heroen oder ihrem unsichtbaren Thun
erzählen, erhalten ist, diese Heroen, wie in unsern Volkssagen
die Geister alter Burgen und Höhlen, in die Grenzen ihrer
Heimath, in die Nähe ihrer Grab- und ihrer Cultstätten ge-
bannt. Es sind meist schmucklose Geschichten von dem Groll
eines Heros, wenn dessen Rechte gekränkt oder sein Cult ver-
nachlässigt war. In Tanagra2) war ein Heros Eunostos, der,
durch trügerische List eines Weibes um's Leben gekommen,

1) Etwas derartiges scheint angedeutet zu werden bei Pindar Pyth. 8,
57: ich preise den Alkmaeon, geiton oti moi kai kteanon phulax emon upan-
tase t ionti gas omphalon par aoidimon manteumaton t ephapsato suggonoisi
tekhnais. Die vielbesprochenen Worte kann ich nur so verstehen. Alk-
mäon hatte ein eroon neben Pindars Hause ("Hüter seines Besitzes" kann
er genannt werden entweder nur als Schutzgeist seiner Nachbarn, oder weil
Pindar Gelder in seinem Heiligthum deponirt hatte, nach bekannter Sitte
[s. Büchsenschütz, Besitz u. Erwerb im cl. Alt. p. 508 ff.]); als einst P.
nach Delphi zu gehen im Begriff stand, "machte sich Alkmäon an die in
seinem Geschlechte üblichen Wahrsagekünste" (tekhnais zu verb. mit ephaps.
nach Pindarischer Constructionsweise), d. h. er gab ihm im Traum eine
Weissagung (worauf bezüglich, deutet P. nicht an), wie das im Geschlecht
der Amythaoniden üblich war, nur gerade sonst nicht Sache des Alkmäon,
der, anders als sein Bruder Amphilochos, nirgends ein eigentliches Traum-
orakel gehabt zu haben scheint (nur ein Flüchtigkeitsversehen wird es
sein, wenn Clemens Al. Strom. I p. 334 D dem Alkmäon, statt des Amphi-
lochos, das Orakel in Akarnanien zuertheilt).
2) Plutarch. Q. Gr. 40:
Rohde, Seelencult. 12

gegeben war, der gerade von ihm mantische Thätigkeit erwarten
liess, so wird man glauben müssen, dass Kenntniss der Zukunft
und Vermittlung solcher Kenntniss an die noch Lebenden den
zum Geisterdasein erhobenen Seelen der Heroen überhaupt zu-
kam. Die uns zufällig erhaltenen Nachrichten lehren uns einige
völlig und dauernd eingerichtete Heroenorakel kennen; es mag
deren noch manche gegeben haben, von denen wir nichts hören,
und vereinzelte und gelegentlich ausgeübte mantische Thätig-
keit mag auch anderen Heroen nicht verwehrt gewesen sein1).

11.

Sind die Orakelheroen durchaus an die Stätte ihres Grabes
gebunden, so zeigt auch, was uns an Legenden, die von Er-
scheinungen einzelner Heroen oder ihrem unsichtbaren Thun
erzählen, erhalten ist, diese Heroen, wie in unsern Volkssagen
die Geister alter Burgen und Höhlen, in die Grenzen ihrer
Heimath, in die Nähe ihrer Grab- und ihrer Cultstätten ge-
bannt. Es sind meist schmucklose Geschichten von dem Groll
eines Heros, wenn dessen Rechte gekränkt oder sein Cult ver-
nachlässigt war. In Tanagra2) war ein Heros Eunostos, der,
durch trügerische List eines Weibes um’s Leben gekommen,

1) Etwas derartiges scheint angedeutet zu werden bei Pindar Pyth. 8,
57: ich preise den Alkmaeon, γείτων ὅτι μοι καὶ κτεάνων φύλαξ ἐμῶν ὑπάν-
τασέ τ̕ ἰόντι γᾶς ὀμφαλὸν παρ̕ ἀοίδιμον μαντευμάτων τ̕ ἐφάψατο συγγόνοισι
τέχναις. Die vielbesprochenen Worte kann ich nur so verstehen. Alk-
mäon hatte ein ἡρῷον neben Pindars Hause („Hüter seines Besitzes“ kann
er genannt werden entweder nur als Schutzgeist seiner Nachbarn, oder weil
Pindar Gelder in seinem Heiligthum deponirt hatte, nach bekannter Sitte
[s. Büchsenschütz, Besitz u. Erwerb im cl. Alt. p. 508 ff.]); als einst P.
nach Delphi zu gehen im Begriff stand, „machte sich Alkmäon an die in
seinem Geschlechte üblichen Wahrsagekünste“ (τέχναις zu verb. mit ἐφάψ.
nach Pindarischer Constructionsweise), d. h. er gab ihm im Traum eine
Weissagung (worauf bezüglich, deutet P. nicht an), wie das im Geschlecht
der Amythaoniden üblich war, nur gerade sonst nicht Sache des Alkmäon,
der, anders als sein Bruder Amphilochos, nirgends ein eigentliches Traum-
orakel gehabt zu haben scheint (nur ein Flüchtigkeitsversehen wird es
sein, wenn Clemens Al. Strom. I p. 334 D dem Alkmäon, statt des Amphi-
lochos, das Orakel in Akarnanien zuertheilt).
2) Plutarch. Q. Gr. 40:
Rohde, Seelencult. 12
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[177/0193] gegeben war, der gerade von ihm mantische Thätigkeit erwarten liess, so wird man glauben müssen, dass Kenntniss der Zukunft und Vermittlung solcher Kenntniss an die noch Lebenden den zum Geisterdasein erhobenen Seelen der Heroen überhaupt zu- kam. Die uns zufällig erhaltenen Nachrichten lehren uns einige völlig und dauernd eingerichtete Heroenorakel kennen; es mag deren noch manche gegeben haben, von denen wir nichts hören, und vereinzelte und gelegentlich ausgeübte mantische Thätig- keit mag auch anderen Heroen nicht verwehrt gewesen sein 1). 11. Sind die Orakelheroen durchaus an die Stätte ihres Grabes gebunden, so zeigt auch, was uns an Legenden, die von Er- scheinungen einzelner Heroen oder ihrem unsichtbaren Thun erzählen, erhalten ist, diese Heroen, wie in unsern Volkssagen die Geister alter Burgen und Höhlen, in die Grenzen ihrer Heimath, in die Nähe ihrer Grab- und ihrer Cultstätten ge- bannt. Es sind meist schmucklose Geschichten von dem Groll eines Heros, wenn dessen Rechte gekränkt oder sein Cult ver- nachlässigt war. In Tanagra 2) war ein Heros Eunostos, der, durch trügerische List eines Weibes um’s Leben gekommen, 1) Etwas derartiges scheint angedeutet zu werden bei Pindar Pyth. 8, 57: ich preise den Alkmaeon, γείτων ὅτι μοι καὶ κτεάνων φύλαξ ἐμῶν ὑπάν- τασέ τ̕ ἰόντι γᾶς ὀμφαλὸν παρ̕ ἀοίδιμον μαντευμάτων τ̕ ἐφάψατο συγγόνοισι τέχναις. Die vielbesprochenen Worte kann ich nur so verstehen. Alk- mäon hatte ein ἡρῷον neben Pindars Hause („Hüter seines Besitzes“ kann er genannt werden entweder nur als Schutzgeist seiner Nachbarn, oder weil Pindar Gelder in seinem Heiligthum deponirt hatte, nach bekannter Sitte [s. Büchsenschütz, Besitz u. Erwerb im cl. Alt. p. 508 ff.]); als einst P. nach Delphi zu gehen im Begriff stand, „machte sich Alkmäon an die in seinem Geschlechte üblichen Wahrsagekünste“ (τέχναις zu verb. mit ἐφάψ. nach Pindarischer Constructionsweise), d. h. er gab ihm im Traum eine Weissagung (worauf bezüglich, deutet P. nicht an), wie das im Geschlecht der Amythaoniden üblich war, nur gerade sonst nicht Sache des Alkmäon, der, anders als sein Bruder Amphilochos, nirgends ein eigentliches Traum- orakel gehabt zu haben scheint (nur ein Flüchtigkeitsversehen wird es sein, wenn Clemens Al. Strom. I p. 334 D dem Alkmäon, statt des Amphi- lochos, das Orakel in Akarnanien zuertheilt). 2) Plutarch. Q. Gr. 40: Rohde, Seelencult. 12

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/193>, abgerufen am 28.03.2024.