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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Hin und Wieder, die beiden Göttinnen in nächste Verbindung,
und es ist als tauschten sie gegenseitig etwas von ihren früher
gesonderten Eigenschaften aus: beide sind nun chthonische Gott-
heiten, des Ackersegens und der Obhut der Seelen gemeinsam
waltend. Wie sich im Einzelnen die Wandlung vollzogen hat,
können wir nicht mehr erkennen. Von einzelnen Mittelpuncten
des Cultus der zwei Göttinnen, der namentlich im Peloponnes
seit uralter Zeit bestand1), mag sich in dem Jahrhundert der
grossen Völkerverschiebungen ein von dem homerisch-ionischen
wesentlich verschiedener Glaube verbreitet haben, wie denn in
späterer Zeit die besondere Gestaltung des in Eleusis gepflegten
Cultus der eng verbundenen Göttinnen sich durch förmliche
Missionen weithin ausgebreitet hat. Es scheint auch, dass
Demeter, in deren Namen schon man eine zweite "Mutter
Erde" wiedererkennen wollte, sich hier und da im Cultus an die
Stelle der Gaia setzte und damit in innigere Beziehung zu
dem Reiche der Seelen in der Erdtiefe trat.

2.

Wie sich die Zahl der Unterirdischen vermehrte, ihr Cult
sich hob und ausdehnte, gewannen diese Gottheiten eine ganz

und des Zeus ist, lässt sich nicht leugnen. Mit Verweisung auf Il. Ks 326,
Od. l 217 hatte Prellers Zweifel schon K. O. Müller, Kl. Schr. 2, 91
kurz und treffend abgewiesen; gleichwohl hält H. D. Müller in seiner
Reconstruction des Demetermythus daran fest, dass die vom Hades ent-
führte Göttin erst nachträglich zur Tochter der Demeter gemacht worden
sei. -- Die homerischen Gedichte scheinen die Sage vom Raube der
Persephone durch Aidoneus zu kennen, aber noch nicht (was in dem
eleusinischen Glaubenskreise das Wichtigste wurde) die Geschichte von
der periodischen Wiederkehr der Geraubten auf die Oberwelt Voll-
kommen überzeugend redet über die vielverhandelte Frage Lehrs, Popul.
Aufs.
2, p. 277 f.
1) Alt ist der Demetercult auch in Phthiotis (-- Purason, Demetros
temenos, Il. B 695 f. -- ekhousai Antrona petreenta hymn. Cer. 490), auf
Paros, auf Kreta. Dass sich der Gang der Ausbreitung des Demetercultes
im Einzelnen nachweisen lasse (wie mehrfach versucht worden ist), ist
eine der auf diesen Gebieten gewöhnlichen Illusionen, die ich nicht
theilen kann.

Hin und Wieder, die beiden Göttinnen in nächste Verbindung,
und es ist als tauschten sie gegenseitig etwas von ihren früher
gesonderten Eigenschaften aus: beide sind nun chthonische Gott-
heiten, des Ackersegens und der Obhut der Seelen gemeinsam
waltend. Wie sich im Einzelnen die Wandlung vollzogen hat,
können wir nicht mehr erkennen. Von einzelnen Mittelpuncten
des Cultus der zwei Göttinnen, der namentlich im Peloponnes
seit uralter Zeit bestand1), mag sich in dem Jahrhundert der
grossen Völkerverschiebungen ein von dem homerisch-ionischen
wesentlich verschiedener Glaube verbreitet haben, wie denn in
späterer Zeit die besondere Gestaltung des in Eleusis gepflegten
Cultus der eng verbundenen Göttinnen sich durch förmliche
Missionen weithin ausgebreitet hat. Es scheint auch, dass
Demeter, in deren Namen schon man eine zweite „Mutter
Erde“ wiedererkennen wollte, sich hier und da im Cultus an die
Stelle der Gaia setzte und damit in innigere Beziehung zu
dem Reiche der Seelen in der Erdtiefe trat.

2.

Wie sich die Zahl der Unterirdischen vermehrte, ihr Cult
sich hob und ausdehnte, gewannen diese Gottheiten eine ganz

und des Zeus ist, lässt sich nicht leugnen. Mit Verweisung auf Il. Ξ 326,
Od. λ 217 hatte Prellers Zweifel schon K. O. Müller, Kl. Schr. 2, 91
kurz und treffend abgewiesen; gleichwohl hält H. D. Müller in seiner
Reconstruction des Demetermythus daran fest, dass die vom Hades ent-
führte Göttin erst nachträglich zur Tochter der Demeter gemacht worden
sei. — Die homerischen Gedichte scheinen die Sage vom Raube der
Persephone durch Aïdoneus zu kennen, aber noch nicht (was in dem
eleusinischen Glaubenskreise das Wichtigste wurde) die Geschichte von
der periodischen Wiederkehr der Geraubten auf die Oberwelt Voll-
kommen überzeugend redet über die vielverhandelte Frage Lehrs, Popul.
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2, p. 277 f.
1) Alt ist der Demetercult auch in Phthiotis (— Πύρασον, Δήμητρος
τέμενος, Il. B 695 f. — ἔχουσαι Ἀντρῶνα πετρήεντα hymn. Cer. 490), auf
Paros, auf Kreta. Dass sich der Gang der Ausbreitung des Demetercultes
im Einzelnen nachweisen lasse (wie mehrfach versucht worden ist), ist
eine der auf diesen Gebieten gewöhnlichen Illusionen, die ich nicht
theilen kann.
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[197/0213] Hin und Wieder, die beiden Göttinnen in nächste Verbindung, und es ist als tauschten sie gegenseitig etwas von ihren früher gesonderten Eigenschaften aus: beide sind nun chthonische Gott- heiten, des Ackersegens und der Obhut der Seelen gemeinsam waltend. Wie sich im Einzelnen die Wandlung vollzogen hat, können wir nicht mehr erkennen. Von einzelnen Mittelpuncten des Cultus der zwei Göttinnen, der namentlich im Peloponnes seit uralter Zeit bestand 1), mag sich in dem Jahrhundert der grossen Völkerverschiebungen ein von dem homerisch-ionischen wesentlich verschiedener Glaube verbreitet haben, wie denn in späterer Zeit die besondere Gestaltung des in Eleusis gepflegten Cultus der eng verbundenen Göttinnen sich durch förmliche Missionen weithin ausgebreitet hat. Es scheint auch, dass Demeter, in deren Namen schon man eine zweite „Mutter Erde“ wiedererkennen wollte, sich hier und da im Cultus an die Stelle der Gaia setzte und damit in innigere Beziehung zu dem Reiche der Seelen in der Erdtiefe trat. 2. Wie sich die Zahl der Unterirdischen vermehrte, ihr Cult sich hob und ausdehnte, gewannen diese Gottheiten eine ganz 2) 1) Alt ist der Demetercult auch in Phthiotis (— Πύρασον, Δήμητρος τέμενος, Il. B 695 f. — ἔχουσαι Ἀντρῶνα πετρήεντα hymn. Cer. 490), auf Paros, auf Kreta. Dass sich der Gang der Ausbreitung des Demetercultes im Einzelnen nachweisen lasse (wie mehrfach versucht worden ist), ist eine der auf diesen Gebieten gewöhnlichen Illusionen, die ich nicht theilen kann. 2) und des Zeus ist, lässt sich nicht leugnen. Mit Verweisung auf Il. Ξ 326, Od. λ 217 hatte Prellers Zweifel schon K. O. Müller, Kl. Schr. 2, 91 kurz und treffend abgewiesen; gleichwohl hält H. D. Müller in seiner Reconstruction des Demetermythus daran fest, dass die vom Hades ent- führte Göttin erst nachträglich zur Tochter der Demeter gemacht worden sei. — Die homerischen Gedichte scheinen die Sage vom Raube der Persephone durch Aïdoneus zu kennen, aber noch nicht (was in dem eleusinischen Glaubenskreise das Wichtigste wurde) die Geschichte von der periodischen Wiederkehr der Geraubten auf die Oberwelt Voll- kommen überzeugend redet über die vielverhandelte Frage Lehrs, Popul. Aufs.2, p. 277 f.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/213>, abgerufen am 18.04.2024.