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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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haben. Aber auf eine Ewigkeit solches Schattenlebens dachten
die Griechen nicht hinaus. Aengstliche Veranstaltungen zur
dauernden Erhaltung der Leichen, durch Einbalsamirung und
ähnliche Mittel, wie sie an einzelnen Leichen der mykenäischen
Schachtgräber angewendet worden sind 1), waren in diesen
späteren Zeiten nur noch, als eine Alterthümlichkeit, bei der
Beerdigung der spartanischen Könige üblich.

2.

Ist der Leib bestattet, so ist die Psyche des Verstorbenen
in die Schaar der unsichtbaren Wesen, der "besseren und
höheren" 2) eingetreten. Dieser Glaube, der dem Aristoteles
seit undenklicher Vorzeit unter den Griechen lebendig zu sein
schien, tritt in dem Cult dieser nachhomerischen Jahrhunderte
aus der Trübung, die ihn in homerischer Zeit verhüllt hatte,
völlig deutlich hervor. Die Seele des Verstorbenen hat ihre
besondere Cultgemeinde, die sich naturgemäss aus dessen
Nachkommen und Familie zusammensetzt und auf diese sich
beschränkt. Es hatte sich die Erinnerung an eine älteste Zeit
erhalten, in welcher der Todte im Inneren seines Hauses, der
nächsten Stätte seines Cultes, beigesetzt wurde 3). Das muss

1) Helbig, D. Hom. Epos 41.
2) beltiones kai kreittones. Aristoteles im Dial. Eudemus, bei Plut.
cons. ad Apoll. 27.
3) [Plato] Minos 315 D. Hieran zu zweifeln ist leere Willkür, man
kann nicht einmal vorbringen, was gegen die gleiche auf Rom bezügliche
Nachricht (bei Servius ad Aen. 5, 64; 6, 162) eingewendet zu werden pflegt:
dass mit dieser Erzählung nur das Entstehen des häuslichen Larendienstes
erklärt werden solle. Denn eben dieser Dienst fehlte den Griechen, oder
war doch so verdunkelt, dass um seinetwillen sicherlich keine hypothetische
Begründung erfunden wurde. -- Neben dem Heerde und Altar der Hestia
wird die älteste Ruhestätte des Familienhauptes gewesen sein. Als die
Gattin des Phokion dessen Leib in der Fremde hatte verbrennen lassen,
enthemene to kolpo ta osta kai komisasa nuktor eis ten oikian katoruxe
para ten estian. Plut. Phoc. 37. -- Irrig glaubte man in den merk-
würdigen Felsgräbern im Gebiet der Pnyx zu Athen solche, im Inneren
der Häuser liegende Gräber aufgefunden zu haben. S. Milchhöfer, in
Baumeisters Denkm. 153 b.

haben. Aber auf eine Ewigkeit solches Schattenlebens dachten
die Griechen nicht hinaus. Aengstliche Veranstaltungen zur
dauernden Erhaltung der Leichen, durch Einbalsamirung und
ähnliche Mittel, wie sie an einzelnen Leichen der mykenäischen
Schachtgräber angewendet worden sind 1), waren in diesen
späteren Zeiten nur noch, als eine Alterthümlichkeit, bei der
Beerdigung der spartanischen Könige üblich.

2.

Ist der Leib bestattet, so ist die Psyche des Verstorbenen
in die Schaar der unsichtbaren Wesen, der „besseren und
höheren“ 2) eingetreten. Dieser Glaube, der dem Aristoteles
seit undenklicher Vorzeit unter den Griechen lebendig zu sein
schien, tritt in dem Cult dieser nachhomerischen Jahrhunderte
aus der Trübung, die ihn in homerischer Zeit verhüllt hatte,
völlig deutlich hervor. Die Seele des Verstorbenen hat ihre
besondere Cultgemeinde, die sich naturgemäss aus dessen
Nachkommen und Familie zusammensetzt und auf diese sich
beschränkt. Es hatte sich die Erinnerung an eine älteste Zeit
erhalten, in welcher der Todte im Inneren seines Hauses, der
nächsten Stätte seines Cultes, beigesetzt wurde 3). Das muss

1) Helbig, D. Hom. Epos 41.
2) βελτίονες καὶ κρείττονες. Aristoteles im Dial. Eudemus, bei Plut.
cons. ad Apoll. 27.
3) [Plato] Minos 315 D. Hieran zu zweifeln ist leere Willkür, man
kann nicht einmal vorbringen, was gegen die gleiche auf Rom bezügliche
Nachricht (bei Servius ad Aen. 5, 64; 6, 162) eingewendet zu werden pflegt:
dass mit dieser Erzählung nur das Entstehen des häuslichen Larendienstes
erklärt werden solle. Denn eben dieser Dienst fehlte den Griechen, oder
war doch so verdunkelt, dass um seinetwillen sicherlich keine hypothetische
Begründung erfunden wurde. — Neben dem Heerde und Altar der Hestia
wird die älteste Ruhestätte des Familienhauptes gewesen sein. Als die
Gattin des Phokion dessen Leib in der Fremde hatte verbrennen lassen,
ἐνϑεμένη τῷ κόλπῳ τὰ ὀστᾶ καὶ κομίσασα νύκτωρ εἰς τὴν οἰκίαν κατώρυξε
παρὰ τὴν ἑστίαν. Plut. Phoc. 37. — Irrig glaubte man in den merk-
würdigen Felsgräbern im Gebiet der Pnyx zu Athen solche, im Inneren
der Häuser liegende Gräber aufgefunden zu haben. S. Milchhöfer, in
Baumeisters Denkm. 153 b.
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[210/0226] haben. Aber auf eine Ewigkeit solches Schattenlebens dachten die Griechen nicht hinaus. Aengstliche Veranstaltungen zur dauernden Erhaltung der Leichen, durch Einbalsamirung und ähnliche Mittel, wie sie an einzelnen Leichen der mykenäischen Schachtgräber angewendet worden sind 1), waren in diesen späteren Zeiten nur noch, als eine Alterthümlichkeit, bei der Beerdigung der spartanischen Könige üblich. 2. Ist der Leib bestattet, so ist die Psyche des Verstorbenen in die Schaar der unsichtbaren Wesen, der „besseren und höheren“ 2) eingetreten. Dieser Glaube, der dem Aristoteles seit undenklicher Vorzeit unter den Griechen lebendig zu sein schien, tritt in dem Cult dieser nachhomerischen Jahrhunderte aus der Trübung, die ihn in homerischer Zeit verhüllt hatte, völlig deutlich hervor. Die Seele des Verstorbenen hat ihre besondere Cultgemeinde, die sich naturgemäss aus dessen Nachkommen und Familie zusammensetzt und auf diese sich beschränkt. Es hatte sich die Erinnerung an eine älteste Zeit erhalten, in welcher der Todte im Inneren seines Hauses, der nächsten Stätte seines Cultes, beigesetzt wurde 3). Das muss 1) Helbig, D. Hom. Epos 41. 2) βελτίονες καὶ κρείττονες. Aristoteles im Dial. Eudemus, bei Plut. cons. ad Apoll. 27. 3) [Plato] Minos 315 D. Hieran zu zweifeln ist leere Willkür, man kann nicht einmal vorbringen, was gegen die gleiche auf Rom bezügliche Nachricht (bei Servius ad Aen. 5, 64; 6, 162) eingewendet zu werden pflegt: dass mit dieser Erzählung nur das Entstehen des häuslichen Larendienstes erklärt werden solle. Denn eben dieser Dienst fehlte den Griechen, oder war doch so verdunkelt, dass um seinetwillen sicherlich keine hypothetische Begründung erfunden wurde. — Neben dem Heerde und Altar der Hestia wird die älteste Ruhestätte des Familienhauptes gewesen sein. Als die Gattin des Phokion dessen Leib in der Fremde hatte verbrennen lassen, ἐνϑεμένη τῷ κόλπῳ τὰ ὀστᾶ καὶ κομίσασα νύκτωρ εἰς τὴν οἰκίαν κατώρυξε παρὰ τὴν ἑστίαν. Plut. Phoc. 37. — Irrig glaubte man in den merk- würdigen Felsgräbern im Gebiet der Pnyx zu Athen solche, im Inneren der Häuser liegende Gräber aufgefunden zu haben. S. Milchhöfer, in Baumeisters Denkm. 153 b.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/226>, abgerufen am 20.04.2024.