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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Die Mysterien von Eleusis.

Durch den Seelencult in seinem ungestörten Betrieb wurden
Vorstellungen von Lebendigkeit, Bewusstsein, Macht der, von
ihren alten irdischen Wohnplätzen nicht für immer abgeschie-
denen Seelen unterhalten und genährt, die den Griechen,
mindestens den ionischen Griechen homerischer Zeit fremd
geworden waren.

Aber deutliche Glaubensbilder von der Art des Lebens
der Verstorbenen konnten aus diesem Cult nicht hergeleitet
werden und sind daraus nicht hergeleitet worden. Alles bezog
sich hier auf das Verhältniss der Todten zu den Lebenden.
Durch Opfer und religiöse Begehungen sorgte die Familie für
die Seelen ihrer Todten; aber wie schon dieser Cult vorwiegend
ein abwehrender (apotropäischer) war, so hielt man auch die
Gedanken von forschender Ergründung der Art und des Zu-
standes der Todten, ausserhalb ihrer Berührung mit den
Lebenden, eher absichtlich fern.

Auf diesem Standpuncte ist bei vielen der geschichtslosen,
sogen. Naturvölkern der Seelencult und der Seelenglaube stehen
geblieben. Es kann kaum bezweifelt werden, dass er auch in
Griechenland bis zu diesem Puncte bereits vor Homer aus-
gebildet war. Trotz vorübergehender Trübung erhielt er sich
in Kraft: er hatte zähe Wurzeln in dem Zusammenhalte der
Familien und ihren altherkömmlichen Gebräuchen.

Es ist aber auch wohl verständlich, wie solche, so be-
gründete Vorstellungen, die dem Dasein der Seelen keinerlei
deutlichen Inhalt geben, sie fast nur vom Ufer der Lebenden
aus, und soweit sie diesem zugekehrt sind, betrachten, sich
leicht und ohne vielen Widerstand völlig verflüchtigen und

Die Mysterien von Eleusis.

Durch den Seelencult in seinem ungestörten Betrieb wurden
Vorstellungen von Lebendigkeit, Bewusstsein, Macht der, von
ihren alten irdischen Wohnplätzen nicht für immer abgeschie-
denen Seelen unterhalten und genährt, die den Griechen,
mindestens den ionischen Griechen homerischer Zeit fremd
geworden waren.

Aber deutliche Glaubensbilder von der Art des Lebens
der Verstorbenen konnten aus diesem Cult nicht hergeleitet
werden und sind daraus nicht hergeleitet worden. Alles bezog
sich hier auf das Verhältniss der Todten zu den Lebenden.
Durch Opfer und religiöse Begehungen sorgte die Familie für
die Seelen ihrer Todten; aber wie schon dieser Cult vorwiegend
ein abwehrender (apotropäischer) war, so hielt man auch die
Gedanken von forschender Ergründung der Art und des Zu-
standes der Todten, ausserhalb ihrer Berührung mit den
Lebenden, eher absichtlich fern.

Auf diesem Standpuncte ist bei vielen der geschichtslosen,
sogen. Naturvölkern der Seelencult und der Seelenglaube stehen
geblieben. Es kann kaum bezweifelt werden, dass er auch in
Griechenland bis zu diesem Puncte bereits vor Homer aus-
gebildet war. Trotz vorübergehender Trübung erhielt er sich
in Kraft: er hatte zähe Wurzeln in dem Zusammenhalte der
Familien und ihren altherkömmlichen Gebräuchen.

Es ist aber auch wohl verständlich, wie solche, so be-
gründete Vorstellungen, die dem Dasein der Seelen keinerlei
deutlichen Inhalt geben, sie fast nur vom Ufer der Lebenden
aus, und soweit sie diesem zugekehrt sind, betrachten, sich
leicht und ohne vielen Widerstand völlig verflüchtigen und

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[[256]/0272] Die Mysterien von Eleusis. Durch den Seelencult in seinem ungestörten Betrieb wurden Vorstellungen von Lebendigkeit, Bewusstsein, Macht der, von ihren alten irdischen Wohnplätzen nicht für immer abgeschie- denen Seelen unterhalten und genährt, die den Griechen, mindestens den ionischen Griechen homerischer Zeit fremd geworden waren. Aber deutliche Glaubensbilder von der Art des Lebens der Verstorbenen konnten aus diesem Cult nicht hergeleitet werden und sind daraus nicht hergeleitet worden. Alles bezog sich hier auf das Verhältniss der Todten zu den Lebenden. Durch Opfer und religiöse Begehungen sorgte die Familie für die Seelen ihrer Todten; aber wie schon dieser Cult vorwiegend ein abwehrender (apotropäischer) war, so hielt man auch die Gedanken von forschender Ergründung der Art und des Zu- standes der Todten, ausserhalb ihrer Berührung mit den Lebenden, eher absichtlich fern. Auf diesem Standpuncte ist bei vielen der geschichtslosen, sogen. Naturvölkern der Seelencult und der Seelenglaube stehen geblieben. Es kann kaum bezweifelt werden, dass er auch in Griechenland bis zu diesem Puncte bereits vor Homer aus- gebildet war. Trotz vorübergehender Trübung erhielt er sich in Kraft: er hatte zähe Wurzeln in dem Zusammenhalte der Familien und ihren altherkömmlichen Gebräuchen. Es ist aber auch wohl verständlich, wie solche, so be- gründete Vorstellungen, die dem Dasein der Seelen keinerlei deutlichen Inhalt geben, sie fast nur vom Ufer der Lebenden aus, und soweit sie diesem zugekehrt sind, betrachten, sich leicht und ohne vielen Widerstand völlig verflüchtigen und

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. [256]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/272>, abgerufen am 18.04.2024.