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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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der altgriechischen Gottheiten der Unterwelt (unter denen
hier Dionysos nicht erscheint) der kühnste Gedanke der or-
phischen Dionysosmysterien, die Zuversicht auf die, durch alle
irdische Trübung zuletzt rein und siegreich durchbrechende
Gottesnatur der Seele, verschmolzen. Pindar hat in andrer,
aber nicht unähnlicher Weise die gleichen Elemente verbunden.
Man möchte wohl die Wirkung ermessen können, die seine,
ihm selbst innig am Herzen liegenden Lehren unter Hörern
und Lesern seiner Gedichte gehabt haben mögen. Er war
zugleich mehr und weniger als ein theologischer Lehrer. Nie-
mals wieder ist unter Griechen von dem Wonnedasein der ge-
heiligten Seele mit solcher Majestät und in solcher Fülle des
Wohllauts gerecht werden, wie sie sich aus diesem reichen
Dichterherzen ergiesst. Aber, rührt der Dichter auch das Ge-
müth des Hörers, zwingt er auch dessen Phantasie, sich Bil-
der zu gestalten nach seinen Eingebungen, dennoch wird nicht
leicht, und fast je mehr ihm sein Zauberwerk gelingt um so
weniger, der goldene Schein seiner Dichtung mit dem Sonnen-
licht der Wirklichkeit verwechselt werden. Man könnte wohl
zweifeln, ob die Gedichte in denen Pindar seine Seligkeits-
träume erzählt, viele Hörer gefunden haben, denen sie nicht nur
ein ästhetisches Wohlgefallen, sondern den Glauben an den
thatsächlichen Grund solcher Lehren, an die Wirklichkeit der
mit so schimmerndem Lichte umkleideten Gesichte erweckten.

3.

Aber vielleicht wird mit dem Ausdruck solcher Bedenken
die Wirkung unterschätzt, die ein griechischer Dichter auf
Ansichten und Gesinnung seiner Hörer ausüben konnte. Grie-
chische Volksmeinung war sehr geneigt, dem Dichter eine
Stellung einzuräumen, die in unsrer Zeit der Dichter kaum
wünschen möchte einzunehmen, jedenfalls nicht erreichen kann.
Der rein künstlerischen Würde und Bedeutung eines Gedich-
tes schien nichts abgebrochen zu werden, wenn man zugleich

der altgriechischen Gottheiten der Unterwelt (unter denen
hier Dionysos nicht erscheint) der kühnste Gedanke der or-
phischen Dionysosmysterien, die Zuversicht auf die, durch alle
irdische Trübung zuletzt rein und siegreich durchbrechende
Gottesnatur der Seele, verschmolzen. Pindar hat in andrer,
aber nicht unähnlicher Weise die gleichen Elemente verbunden.
Man möchte wohl die Wirkung ermessen können, die seine,
ihm selbst innig am Herzen liegenden Lehren unter Hörern
und Lesern seiner Gedichte gehabt haben mögen. Er war
zugleich mehr und weniger als ein theologischer Lehrer. Nie-
mals wieder ist unter Griechen von dem Wonnedasein der ge-
heiligten Seele mit solcher Majestät und in solcher Fülle des
Wohllauts gerecht werden, wie sie sich aus diesem reichen
Dichterherzen ergiesst. Aber, rührt der Dichter auch das Ge-
müth des Hörers, zwingt er auch dessen Phantasie, sich Bil-
der zu gestalten nach seinen Eingebungen, dennoch wird nicht
leicht, und fast je mehr ihm sein Zauberwerk gelingt um so
weniger, der goldene Schein seiner Dichtung mit dem Sonnen-
licht der Wirklichkeit verwechselt werden. Man könnte wohl
zweifeln, ob die Gedichte in denen Pindar seine Seligkeits-
träume erzählt, viele Hörer gefunden haben, denen sie nicht nur
ein ästhetisches Wohlgefallen, sondern den Glauben an den
thatsächlichen Grund solcher Lehren, an die Wirklichkeit der
mit so schimmerndem Lichte umkleideten Gesichte erweckten.

3.

Aber vielleicht wird mit dem Ausdruck solcher Bedenken
die Wirkung unterschätzt, die ein griechischer Dichter auf
Ansichten und Gesinnung seiner Hörer ausüben konnte. Grie-
chische Volksmeinung war sehr geneigt, dem Dichter eine
Stellung einzuräumen, die in unsrer Zeit der Dichter kaum
wünschen möchte einzunehmen, jedenfalls nicht erreichen kann.
Der rein künstlerischen Würde und Bedeutung eines Gedich-
tes schien nichts abgebrochen zu werden, wenn man zugleich

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[514/0530] der altgriechischen Gottheiten der Unterwelt (unter denen hier Dionysos nicht erscheint) der kühnste Gedanke der or- phischen Dionysosmysterien, die Zuversicht auf die, durch alle irdische Trübung zuletzt rein und siegreich durchbrechende Gottesnatur der Seele, verschmolzen. Pindar hat in andrer, aber nicht unähnlicher Weise die gleichen Elemente verbunden. Man möchte wohl die Wirkung ermessen können, die seine, ihm selbst innig am Herzen liegenden Lehren unter Hörern und Lesern seiner Gedichte gehabt haben mögen. Er war zugleich mehr und weniger als ein theologischer Lehrer. Nie- mals wieder ist unter Griechen von dem Wonnedasein der ge- heiligten Seele mit solcher Majestät und in solcher Fülle des Wohllauts gerecht werden, wie sie sich aus diesem reichen Dichterherzen ergiesst. Aber, rührt der Dichter auch das Ge- müth des Hörers, zwingt er auch dessen Phantasie, sich Bil- der zu gestalten nach seinen Eingebungen, dennoch wird nicht leicht, und fast je mehr ihm sein Zauberwerk gelingt um so weniger, der goldene Schein seiner Dichtung mit dem Sonnen- licht der Wirklichkeit verwechselt werden. Man könnte wohl zweifeln, ob die Gedichte in denen Pindar seine Seligkeits- träume erzählt, viele Hörer gefunden haben, denen sie nicht nur ein ästhetisches Wohlgefallen, sondern den Glauben an den thatsächlichen Grund solcher Lehren, an die Wirklichkeit der mit so schimmerndem Lichte umkleideten Gesichte erweckten. 3. Aber vielleicht wird mit dem Ausdruck solcher Bedenken die Wirkung unterschätzt, die ein griechischer Dichter auf Ansichten und Gesinnung seiner Hörer ausüben konnte. Grie- chische Volksmeinung war sehr geneigt, dem Dichter eine Stellung einzuräumen, die in unsrer Zeit der Dichter kaum wünschen möchte einzunehmen, jedenfalls nicht erreichen kann. Der rein künstlerischen Würde und Bedeutung eines Gedich- tes schien nichts abgebrochen zu werden, wenn man zugleich

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/530>, abgerufen am 28.03.2024.