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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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hin verschlagen, und alsbald tragen die beseelten Schiffe der
Phäaken den Fremden durch Nacht und Nebel in seine Heimath
zurück. Zwar hat es keinen Grund, wenn man in den Phäaken
ein Volk von Todtenschiffern, dem elysischen Lande benach-
bart, gesehen hat; aber in der That steht wenigstens die dich-
terische Stimmung, die das Phäakenland geschaffen hat, der-
jenigen nahe genug, aus der die Vorstellung eines elysischen
Gefildes jenseits der bewohnten Erde entsprungen ist. Lässt
sich ein Leben ungestörten Glückes nur denken im entlegensten
Winkel der Erde, eifersüchtig behütet vor fremden Eindring-
lingen, so führt ein einziger Schritt weiter zu der Annahme,
dass solches Glück nur zu finden sei da, wohin keinen Menschen
weder Zufall noch eigener Entschluss tragen kann, ferner ab-
gelegen noch als die Phäaken, als das Land der gottgeliebten
Aethiopier oder die Abier im Norden, von denen schon die
Ilias weiss, -- jenseits aller Wirklichkeit des Lebens. Es ist
ein idyllischer Wunsch, der sich in der Phantasie des elysischen
Landes befriedigt. Das Glück der zu ewigem Leben Entrückten
schien nur dann völlig gesichert, wenn ihr Wohnplatz aller For-
schung, aller vordringenden Erfahrung auf ewig entrückt war.
Dieses Glück ist gedacht als ein Zustand des Genusses unter
mildestem Himmel; mühelos, leicht ist dort, sagt der Dichter,
das Leben der Menschen, hierin dem Götterleben ähnlich, aber
freilich ohne Streben, ohne That. Es ist zweifelhaft, ob dem
Dichter der Ilias solche Zukunft seiner Helden würdig, solches
Glück als ein Glück erschienen wäre.

5.

Wir mussten annehmen, dass der Dichter, der jene unbe-
schreiblich sanft fliessenden Verse in die Odyssee eingelegt hat,
nicht der erste Erfinder oder Entdecker des elysischen Wunsch-
landes jenseits der Sterblichkeit war. Aber folgte er auch anderen:
dadurch dass er in die homerischen Gedichte eine Hindeutung
auf den neuen Glauben einflocht, hat er erst dieser Vorstellung
in griechischer Phantasie eine dauernde Stelle gegeben. Andere

hin verschlagen, und alsbald tragen die beseelten Schiffe der
Phäaken den Fremden durch Nacht und Nebel in seine Heimath
zurück. Zwar hat es keinen Grund, wenn man in den Phäaken
ein Volk von Todtenschiffern, dem elysischen Lande benach-
bart, gesehen hat; aber in der That steht wenigstens die dich-
terische Stimmung, die das Phäakenland geschaffen hat, der-
jenigen nahe genug, aus der die Vorstellung eines elysischen
Gefildes jenseits der bewohnten Erde entsprungen ist. Lässt
sich ein Leben ungestörten Glückes nur denken im entlegensten
Winkel der Erde, eifersüchtig behütet vor fremden Eindring-
lingen, so führt ein einziger Schritt weiter zu der Annahme,
dass solches Glück nur zu finden sei da, wohin keinen Menschen
weder Zufall noch eigener Entschluss tragen kann, ferner ab-
gelegen noch als die Phäaken, als das Land der gottgeliebten
Aethiopier oder die Abier im Norden, von denen schon die
Ilias weiss, — jenseits aller Wirklichkeit des Lebens. Es ist
ein idyllischer Wunsch, der sich in der Phantasie des elysischen
Landes befriedigt. Das Glück der zu ewigem Leben Entrückten
schien nur dann völlig gesichert, wenn ihr Wohnplatz aller For-
schung, aller vordringenden Erfahrung auf ewig entrückt war.
Dieses Glück ist gedacht als ein Zustand des Genusses unter
mildestem Himmel; mühelos, leicht ist dort, sagt der Dichter,
das Leben der Menschen, hierin dem Götterleben ähnlich, aber
freilich ohne Streben, ohne That. Es ist zweifelhaft, ob dem
Dichter der Ilias solche Zukunft seiner Helden würdig, solches
Glück als ein Glück erschienen wäre.

5.

Wir mussten annehmen, dass der Dichter, der jene unbe-
schreiblich sanft fliessenden Verse in die Odyssee eingelegt hat,
nicht der erste Erfinder oder Entdecker des elysischen Wunsch-
landes jenseits der Sterblichkeit war. Aber folgte er auch anderen:
dadurch dass er in die homerischen Gedichte eine Hindeutung
auf den neuen Glauben einflocht, hat er erst dieser Vorstellung
in griechischer Phantasie eine dauernde Stelle gegeben. Andere

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[78/0094] hin verschlagen, und alsbald tragen die beseelten Schiffe der Phäaken den Fremden durch Nacht und Nebel in seine Heimath zurück. Zwar hat es keinen Grund, wenn man in den Phäaken ein Volk von Todtenschiffern, dem elysischen Lande benach- bart, gesehen hat; aber in der That steht wenigstens die dich- terische Stimmung, die das Phäakenland geschaffen hat, der- jenigen nahe genug, aus der die Vorstellung eines elysischen Gefildes jenseits der bewohnten Erde entsprungen ist. Lässt sich ein Leben ungestörten Glückes nur denken im entlegensten Winkel der Erde, eifersüchtig behütet vor fremden Eindring- lingen, so führt ein einziger Schritt weiter zu der Annahme, dass solches Glück nur zu finden sei da, wohin keinen Menschen weder Zufall noch eigener Entschluss tragen kann, ferner ab- gelegen noch als die Phäaken, als das Land der gottgeliebten Aethiopier oder die Abier im Norden, von denen schon die Ilias weiss, — jenseits aller Wirklichkeit des Lebens. Es ist ein idyllischer Wunsch, der sich in der Phantasie des elysischen Landes befriedigt. Das Glück der zu ewigem Leben Entrückten schien nur dann völlig gesichert, wenn ihr Wohnplatz aller For- schung, aller vordringenden Erfahrung auf ewig entrückt war. Dieses Glück ist gedacht als ein Zustand des Genusses unter mildestem Himmel; mühelos, leicht ist dort, sagt der Dichter, das Leben der Menschen, hierin dem Götterleben ähnlich, aber freilich ohne Streben, ohne That. Es ist zweifelhaft, ob dem Dichter der Ilias solche Zukunft seiner Helden würdig, solches Glück als ein Glück erschienen wäre. 5. Wir mussten annehmen, dass der Dichter, der jene unbe- schreiblich sanft fliessenden Verse in die Odyssee eingelegt hat, nicht der erste Erfinder oder Entdecker des elysischen Wunsch- landes jenseits der Sterblichkeit war. Aber folgte er auch anderen: dadurch dass er in die homerischen Gedichte eine Hindeutung auf den neuen Glauben einflocht, hat er erst dieser Vorstellung in griechischer Phantasie eine dauernde Stelle gegeben. Andere

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/94>, abgerufen am 29.03.2024.