Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Wasser- und Baumrevier. Du hörst kein Geräusch von Pferden und Wagen, nur ab und zu einen Ruderschlag oder den Ruf eines einsamen Vogels. Es giebt hier keinen Acker für Pflug und Egge, es giebt nur Gartenland und Waldwiesen, und jede Ernte führt der Kahn in die Scheuern.

Mir ward leichter ums Herz, als ich nach dem heißen Tage unter den kühlen Wölbungen der Erlen dahin fuhr. War dies doch einst das Paradies meiner Jugend gewesen, wo ich zum erstenmal die goldene Lust der Jünglingsfreiheit gefühlt. Unser Gepäck hatten wir fürs Erste im Gasthofe zu Lübbenau gelassen und sogleich einen Kahn bestiegen. Ich glaubte von früherer Zeit her die Wege genau zu kennen, und so lehnte ich den Führer ab und ruderte meinen Gefährten allein in den Wald hinein. Doch vermied ich den großen Spreearm, welcher direkt nach Leipe, dem Wohnort Franzens, führte. Ich wollte dem Maler zuerst die reizenden Bilder des Dorfes Leede zeigen.

Bald war es erreicht. Victor gerieth außer sich vor Entzücken. Die umrankten, von Blumen umblühten Häuschen und Gehöfte, still, behaglich und lauschig im Grünen, die hoch empor strebenden Bäume, die bunten Gewänder, der Verkehr auf den leichten Kähnen, Alles war ihm neu und unerwartet. Bei jeder Wendung ein anderes Bild, ein neuer Blick in einen Kanal, auf hölzerne Gebäude, wie von Künstlerhand malerisch zusammengestellt, auf Kindergruppen und blonde Mäd-

Wasser- und Baumrevier. Du hörst kein Geräusch von Pferden und Wagen, nur ab und zu einen Ruderschlag oder den Ruf eines einsamen Vogels. Es giebt hier keinen Acker für Pflug und Egge, es giebt nur Gartenland und Waldwiesen, und jede Ernte führt der Kahn in die Scheuern.

Mir ward leichter ums Herz, als ich nach dem heißen Tage unter den kühlen Wölbungen der Erlen dahin fuhr. War dies doch einst das Paradies meiner Jugend gewesen, wo ich zum erstenmal die goldene Lust der Jünglingsfreiheit gefühlt. Unser Gepäck hatten wir fürs Erste im Gasthofe zu Lübbenau gelassen und sogleich einen Kahn bestiegen. Ich glaubte von früherer Zeit her die Wege genau zu kennen, und so lehnte ich den Führer ab und ruderte meinen Gefährten allein in den Wald hinein. Doch vermied ich den großen Spreearm, welcher direkt nach Leipe, dem Wohnort Franzens, führte. Ich wollte dem Maler zuerst die reizenden Bilder des Dorfes Leede zeigen.

Bald war es erreicht. Victor gerieth außer sich vor Entzücken. Die umrankten, von Blumen umblühten Häuschen und Gehöfte, still, behaglich und lauschig im Grünen, die hoch empor strebenden Bäume, die bunten Gewänder, der Verkehr auf den leichten Kähnen, Alles war ihm neu und unerwartet. Bei jeder Wendung ein anderes Bild, ein neuer Blick in einen Kanal, auf hölzerne Gebäude, wie von Künstlerhand malerisch zusammengestellt, auf Kindergruppen und blonde Mäd-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0018"/>
Wasser- und Baumrevier. Du hörst kein Geräusch                von Pferden und Wagen, nur ab und zu einen Ruderschlag oder den Ruf eines einsamen                Vogels. Es giebt hier keinen Acker für Pflug und Egge, es giebt nur Gartenland und                Waldwiesen, und jede Ernte führt der Kahn in die Scheuern.</p><lb/>
        <p>Mir ward leichter ums Herz, als ich nach dem heißen Tage unter den kühlen Wölbungen                der Erlen dahin fuhr. War dies doch einst das Paradies meiner Jugend gewesen, wo ich                zum erstenmal die goldene Lust der Jünglingsfreiheit gefühlt. Unser Gepäck hatten wir                fürs Erste im Gasthofe zu Lübbenau gelassen und sogleich einen Kahn bestiegen. Ich                glaubte von früherer Zeit her die Wege genau zu kennen, und so lehnte ich den Führer                ab und ruderte meinen Gefährten allein in den Wald hinein. Doch vermied ich den                großen Spreearm, welcher direkt nach Leipe, dem Wohnort Franzens, führte. Ich wollte                dem Maler zuerst die reizenden Bilder des Dorfes Leede zeigen.</p><lb/>
        <p>Bald war es erreicht. Victor gerieth außer sich vor Entzücken. Die umrankten, von                Blumen umblühten Häuschen und Gehöfte, still, behaglich und lauschig im Grünen, die                hoch empor strebenden Bäume, die bunten Gewänder, der Verkehr auf den leichten                Kähnen, Alles war ihm neu und unerwartet. Bei jeder Wendung ein anderes Bild, ein                neuer Blick in einen Kanal, auf hölzerne Gebäude, wie von Künstlerhand malerisch                zusammengestellt, auf Kindergruppen und blonde Mäd-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0018] Wasser- und Baumrevier. Du hörst kein Geräusch von Pferden und Wagen, nur ab und zu einen Ruderschlag oder den Ruf eines einsamen Vogels. Es giebt hier keinen Acker für Pflug und Egge, es giebt nur Gartenland und Waldwiesen, und jede Ernte führt der Kahn in die Scheuern. Mir ward leichter ums Herz, als ich nach dem heißen Tage unter den kühlen Wölbungen der Erlen dahin fuhr. War dies doch einst das Paradies meiner Jugend gewesen, wo ich zum erstenmal die goldene Lust der Jünglingsfreiheit gefühlt. Unser Gepäck hatten wir fürs Erste im Gasthofe zu Lübbenau gelassen und sogleich einen Kahn bestiegen. Ich glaubte von früherer Zeit her die Wege genau zu kennen, und so lehnte ich den Führer ab und ruderte meinen Gefährten allein in den Wald hinein. Doch vermied ich den großen Spreearm, welcher direkt nach Leipe, dem Wohnort Franzens, führte. Ich wollte dem Maler zuerst die reizenden Bilder des Dorfes Leede zeigen. Bald war es erreicht. Victor gerieth außer sich vor Entzücken. Die umrankten, von Blumen umblühten Häuschen und Gehöfte, still, behaglich und lauschig im Grünen, die hoch empor strebenden Bäume, die bunten Gewänder, der Verkehr auf den leichten Kähnen, Alles war ihm neu und unerwartet. Bei jeder Wendung ein anderes Bild, ein neuer Blick in einen Kanal, auf hölzerne Gebäude, wie von Künstlerhand malerisch zusammengestellt, auf Kindergruppen und blonde Mäd-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:15:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T10:15:33Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/18
Zitationshilfe: Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/18>, abgerufen am 29.03.2024.