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Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Spreewaldes, auch das Deutsche geläufig, aber meine Kenntniß der wendischen Sprache machte ihn um so vertraulicher und gesprächiger gegen mich.

Uns gegenüber saß seine Schwägerin Marie, die Schlangenkönigin, und zwar zwischen Franz und Victor. Sie war in der That ein schönes Mädchen, von eher blasser als frischer Farbe, wie alle Töchter dieser Gegend, die Wangen nur leise geröthet; die blauen Augen groß und eben so ausdrucksvoll als lebhaft; zuweilen ruhig ernst, bald aber wieder muthwillig und schalkhaft. Sie wußte sich überraschend gut auszudrücken. Von ihrem Schwager erfuhr ich, daß sie elternlos sei und für gewöhnlich bei ihrem Bruder lebe. Dieser Bruder hatte, als Sohn des wohlhabenden Dorfschulzen, studirt und war jetzt Pfarrer in seinem Heimathorte Burg, dem größten Dorfe des Spreewaldes. Durch das Leben in seinem Hause und mit ihm hatte Mariens Bildung die eines gewöhnlichen Landmädchens weit überschritten. Sie kleidete sich zwar in die Nationaltracht ihrer Gegend, sie zeigte sich, so weit ich ihre Unterhaltung hören konnte, durchaus natürlich und naiv, aber in ihrem Wesen lag eine angeborene Vornehmheit, die sie von allen übrigen unterschied. Der Schwager schien sehr eingenommen von ihr zu sein, er rühmte ihre guten Eigenschaften, schloß aber doch: Die ist nicht wie meine Frau! Einen gemeinen Bauer nimmt sie nicht, sie will höher hinaus!

Während er sprach, beobachtete ich Marien. Se,

Spreewaldes, auch das Deutsche geläufig, aber meine Kenntniß der wendischen Sprache machte ihn um so vertraulicher und gesprächiger gegen mich.

Uns gegenüber saß seine Schwägerin Marie, die Schlangenkönigin, und zwar zwischen Franz und Victor. Sie war in der That ein schönes Mädchen, von eher blasser als frischer Farbe, wie alle Töchter dieser Gegend, die Wangen nur leise geröthet; die blauen Augen groß und eben so ausdrucksvoll als lebhaft; zuweilen ruhig ernst, bald aber wieder muthwillig und schalkhaft. Sie wußte sich überraschend gut auszudrücken. Von ihrem Schwager erfuhr ich, daß sie elternlos sei und für gewöhnlich bei ihrem Bruder lebe. Dieser Bruder hatte, als Sohn des wohlhabenden Dorfschulzen, studirt und war jetzt Pfarrer in seinem Heimathorte Burg, dem größten Dorfe des Spreewaldes. Durch das Leben in seinem Hause und mit ihm hatte Mariens Bildung die eines gewöhnlichen Landmädchens weit überschritten. Sie kleidete sich zwar in die Nationaltracht ihrer Gegend, sie zeigte sich, so weit ich ihre Unterhaltung hören konnte, durchaus natürlich und naiv, aber in ihrem Wesen lag eine angeborene Vornehmheit, die sie von allen übrigen unterschied. Der Schwager schien sehr eingenommen von ihr zu sein, er rühmte ihre guten Eigenschaften, schloß aber doch: Die ist nicht wie meine Frau! Einen gemeinen Bauer nimmt sie nicht, sie will höher hinaus!

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[0044] Spreewaldes, auch das Deutsche geläufig, aber meine Kenntniß der wendischen Sprache machte ihn um so vertraulicher und gesprächiger gegen mich. Uns gegenüber saß seine Schwägerin Marie, die Schlangenkönigin, und zwar zwischen Franz und Victor. Sie war in der That ein schönes Mädchen, von eher blasser als frischer Farbe, wie alle Töchter dieser Gegend, die Wangen nur leise geröthet; die blauen Augen groß und eben so ausdrucksvoll als lebhaft; zuweilen ruhig ernst, bald aber wieder muthwillig und schalkhaft. Sie wußte sich überraschend gut auszudrücken. Von ihrem Schwager erfuhr ich, daß sie elternlos sei und für gewöhnlich bei ihrem Bruder lebe. Dieser Bruder hatte, als Sohn des wohlhabenden Dorfschulzen, studirt und war jetzt Pfarrer in seinem Heimathorte Burg, dem größten Dorfe des Spreewaldes. Durch das Leben in seinem Hause und mit ihm hatte Mariens Bildung die eines gewöhnlichen Landmädchens weit überschritten. Sie kleidete sich zwar in die Nationaltracht ihrer Gegend, sie zeigte sich, so weit ich ihre Unterhaltung hören konnte, durchaus natürlich und naiv, aber in ihrem Wesen lag eine angeborene Vornehmheit, die sie von allen übrigen unterschied. Der Schwager schien sehr eingenommen von ihr zu sein, er rühmte ihre guten Eigenschaften, schloß aber doch: Die ist nicht wie meine Frau! Einen gemeinen Bauer nimmt sie nicht, sie will höher hinaus! Während er sprach, beobachtete ich Marien. Se,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:15:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/44>, abgerufen am 19.04.2024.