Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

dieser mehr dem Subject selbst. -- Alle Dilettanten sind
Plagiarii. Sie entnerven und vernichten jedes Original
schon in der Sprache und im Gedanken, indem sie es nach¬
sprechen, nachäffen und ihre Leerheit damit ausflicken. So
wird die Sprache nach und nach mit zusammengeplünderten
Phrasen und Formeln angefüllt, die nichts mehr sagen, und
man kann ganze Bücher lesen, die schön stylisirt sind und
gar nichts enthalten. Kurz alles wahrhaft Schöne und Gute
der ächten Poesie wird durch den überhandnehmenden Dilet¬
tantismus profanirt, herumgeschleppt und entwürdigt."


C.
Die Incorrectheit in den einzelnen Künsten.

Im Allgemeinen besteht also, wie wir gesehen haben,
die Incorrectheit in der Unrichtigkeit, in dem Abweichen von
der Gesetzlichkeit, welche der Natur und dem Geist einwohnt.
Im Besondern besteht sie in dem Ungehorsam und Wider¬
spruch gegen die ideale Bestimmtheit eines Styls, gegen den
Styl einer Nation, gegen den Styl einer Schule. Wenn
man Kant's Unterscheidung von Ideal und Normalexistenz (31)
auf den Begriff des Incorrecten anwendet, so kann man
sagen, daß das ästhetische Ideal innerhalb des Geschmacks
einer Nation, einer Schule, zu einer particulären Normal¬
existenz fortgebildet und fixirt werde. Eine Schule oder
Nation identificirt dann die empirisch durch den geschichtlichen
Proceß entstandene Normalexistenz mit dem absoluten Ideal.
Die Correctheit kann insofern, wie wir uns überzeugten, zu
einer negativen Schranke der ästhetischen Production werden.

dieſer mehr dem Subject ſelbſt. — Alle Dilettanten ſind
Plagiarii. Sie entnerven und vernichten jedes Original
ſchon in der Sprache und im Gedanken, indem ſie es nach¬
ſprechen, nachäffen und ihre Leerheit damit ausflicken. So
wird die Sprache nach und nach mit zuſammengeplünderten
Phraſen und Formeln angefüllt, die nichts mehr ſagen, und
man kann ganze Bücher leſen, die ſchön ſtyliſirt ſind und
gar nichts enthalten. Kurz alles wahrhaft Schöne und Gute
der ächten Poeſie wird durch den überhandnehmenden Dilet¬
tantismus profanirt, herumgeſchleppt und entwürdigt.“


C.
Die Incorrectheit in den einzelnen Künſten.

Im Allgemeinen beſteht alſo, wie wir geſehen haben,
die Incorrectheit in der Unrichtigkeit, in dem Abweichen von
der Geſetzlichkeit, welche der Natur und dem Geiſt einwohnt.
Im Beſondern beſteht ſie in dem Ungehorſam und Wider¬
ſpruch gegen die ideale Beſtimmtheit eines Styls, gegen den
Styl einer Nation, gegen den Styl einer Schule. Wenn
man Kant's Unterſcheidung von Ideal und Normalexiſtenz (31)
auf den Begriff des Incorrecten anwendet, ſo kann man
ſagen, daß das äſthetiſche Ideal innerhalb des Geſchmacks
einer Nation, einer Schule, zu einer particulären Normal¬
exiſtenz fortgebildet und fixirt werde. Eine Schule oder
Nation identificirt dann die empiriſch durch den geſchichtlichen
Proceß entſtandene Normalexiſtenz mit dem abſoluten Ideal.
Die Correctheit kann inſofern, wie wir uns überzeugten, zu
einer negativen Schranke der äſthetiſchen Production werden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0171" n="149"/>
die&#x017F;er mehr dem Subject &#x017F;elb&#x017F;t. &#x2014; Alle Dilettanten &#x017F;ind<lb/><hi rendition="#g">Plagiarii</hi>. Sie entnerven und vernichten jedes Original<lb/>
&#x017F;chon in der Sprache und im Gedanken, indem &#x017F;ie es nach¬<lb/>
&#x017F;prechen, nachäffen und ihre Leerheit damit ausflicken. So<lb/>
wird die Sprache nach und nach mit zu&#x017F;ammengeplünderten<lb/>
Phra&#x017F;en und Formeln angefüllt, die nichts mehr &#x017F;agen, und<lb/>
man kann ganze Bücher le&#x017F;en, die &#x017F;chön &#x017F;tyli&#x017F;irt &#x017F;ind und<lb/>
gar nichts enthalten. Kurz alles wahrhaft Schöne und Gute<lb/>
der ächten Poe&#x017F;ie wird durch den überhandnehmenden Dilet¬<lb/>
tantismus profanirt, herumge&#x017F;chleppt und entwürdigt.&#x201C;</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          </div>
          <div n="3">
            <head><hi rendition="#aq">C</hi>.<lb/><hi rendition="#b">Die Incorrectheit in den einzelnen Kün&#x017F;ten.</hi><lb/></head>
            <p>Im Allgemeinen be&#x017F;teht al&#x017F;o, wie wir ge&#x017F;ehen haben,<lb/>
die Incorrectheit in der Unrichtigkeit, in dem Abweichen von<lb/>
der Ge&#x017F;etzlichkeit, welche der Natur und dem Gei&#x017F;t einwohnt.<lb/>
Im Be&#x017F;ondern be&#x017F;teht &#x017F;ie in dem Ungehor&#x017F;am und Wider¬<lb/>
&#x017F;pruch gegen die ideale Be&#x017F;timmtheit eines Styls, gegen den<lb/>
Styl einer Nation, gegen den Styl einer Schule. Wenn<lb/>
man <hi rendition="#g">Kant's</hi> Unter&#x017F;cheidung von Ideal und Normalexi&#x017F;tenz (31)<lb/>
auf den Begriff des Incorrecten anwendet, &#x017F;o kann man<lb/>
&#x017F;agen, daß das ä&#x017F;theti&#x017F;che Ideal innerhalb des Ge&#x017F;chmacks<lb/>
einer Nation, einer Schule, zu einer particulären Normal¬<lb/>
exi&#x017F;tenz fortgebildet und fixirt werde. Eine Schule oder<lb/>
Nation identificirt dann die empiri&#x017F;ch durch den ge&#x017F;chichtlichen<lb/>
Proceß ent&#x017F;tandene Normalexi&#x017F;tenz mit dem ab&#x017F;oluten Ideal.<lb/>
Die Correctheit kann in&#x017F;ofern, wie wir uns überzeugten, zu<lb/>
einer negativen Schranke der ä&#x017F;theti&#x017F;chen Production werden.<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[149/0171] dieſer mehr dem Subject ſelbſt. — Alle Dilettanten ſind Plagiarii. Sie entnerven und vernichten jedes Original ſchon in der Sprache und im Gedanken, indem ſie es nach¬ ſprechen, nachäffen und ihre Leerheit damit ausflicken. So wird die Sprache nach und nach mit zuſammengeplünderten Phraſen und Formeln angefüllt, die nichts mehr ſagen, und man kann ganze Bücher leſen, die ſchön ſtyliſirt ſind und gar nichts enthalten. Kurz alles wahrhaft Schöne und Gute der ächten Poeſie wird durch den überhandnehmenden Dilet¬ tantismus profanirt, herumgeſchleppt und entwürdigt.“ C. Die Incorrectheit in den einzelnen Künſten. Im Allgemeinen beſteht alſo, wie wir geſehen haben, die Incorrectheit in der Unrichtigkeit, in dem Abweichen von der Geſetzlichkeit, welche der Natur und dem Geiſt einwohnt. Im Beſondern beſteht ſie in dem Ungehorſam und Wider¬ ſpruch gegen die ideale Beſtimmtheit eines Styls, gegen den Styl einer Nation, gegen den Styl einer Schule. Wenn man Kant's Unterſcheidung von Ideal und Normalexiſtenz (31) auf den Begriff des Incorrecten anwendet, ſo kann man ſagen, daß das äſthetiſche Ideal innerhalb des Geſchmacks einer Nation, einer Schule, zu einer particulären Normal¬ exiſtenz fortgebildet und fixirt werde. Eine Schule oder Nation identificirt dann die empiriſch durch den geſchichtlichen Proceß entſtandene Normalexiſtenz mit dem abſoluten Ideal. Die Correctheit kann inſofern, wie wir uns überzeugten, zu einer negativen Schranke der äſthetiſchen Production werden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/171
Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/171>, abgerufen am 28.03.2024.