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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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wicklung interesselos, langweilig. Das Langweilige ist häßlich
oder vielmehr die Häßlichkeit des Todten, Leeren, Tauto¬
logischen erzeugt in uns das Gefühl der Langenweile. Das
Schöne läßt uns die Zeit vergessen, weil es als ein Ewiges,
sich selbst Genügendes, uns auch in die Ewigkeit versetzt
und uns mit Seligkeit erfüllt. Wird nun die Leerheit einer
Anschauung so groß, daß wir auf die Zeit als Zeit merken,
so empfinden wir die Inhaltlosigkeit der reinen Zeit und dies
Gefühl ist die Langeweile. Diese an sich ist daher keines¬
wegs komisch, aber der Wendepunct ins Komische, wenn
nämlich das Tautologische und Langweilige als Selbstpa¬
rodie oder als Ironie producirt wird und eine ganze schreck¬
liche Ballade nur in diesen Versen besteht:

Eduard und Kunigunde,
Kunigunde, Eduard;
Eduard und Kunigunde,
Kunigunde, Eduard!

III. Das Scheußliche.

Vereint das Schöne die Lieblichkeit der zierlichen Ge¬
stalt mit dem graziösen Spiel der Bewegung, so wird es
reizend. Es ist nicht nothwendig, daß dies Spiel ein agi¬
tirtes sei; es kann die größte Ruhe darin herrschen; es muß
aber den seelenvollen Ausdruck der Freiheit des Lebens dar¬
stellen. Erinnern wir uns einer jener schlafenden Nymphen,
wie die Alten, wie Tizian, wie Netscher, Rubens, sie ge¬
malt haben, so ist der Schlaf kein Tod; auch in der schlafen¬
den spannt die Fülle des Lebens die weiche Haut, hebt und
senkt den Busen, ebbt und fluthet durch den leise geöffneten

wicklung intereſſelos, langweilig. Das Langweilige iſt häßlich
oder vielmehr die Häßlichkeit des Todten, Leeren, Tauto¬
logiſchen erzeugt in uns das Gefühl der Langenweile. Das
Schöne läßt uns die Zeit vergeſſen, weil es als ein Ewiges,
ſich ſelbſt Genügendes, uns auch in die Ewigkeit verſetzt
und uns mit Seligkeit erfüllt. Wird nun die Leerheit einer
Anſchauung ſo groß, daß wir auf die Zeit als Zeit merken,
ſo empfinden wir die Inhaltloſigkeit der reinen Zeit und dies
Gefühl iſt die Langeweile. Dieſe an ſich iſt daher keines¬
wegs komiſch, aber der Wendepunct ins Komiſche, wenn
nämlich das Tautologiſche und Langweilige als Selbſtpa¬
rodie oder als Ironie producirt wird und eine ganze ſchreck¬
liche Ballade nur in dieſen Verſen beſteht:

Eduard und Kunigunde,
Kunigunde, Eduard;
Eduard und Kunigunde,
Kunigunde, Eduard!

III. Das Scheußliche.

Vereint das Schöne die Lieblichkeit der zierlichen Ge¬
ſtalt mit dem graziöſen Spiel der Bewegung, ſo wird es
reizend. Es iſt nicht nothwendig, daß dies Spiel ein agi¬
tirtes ſei; es kann die größte Ruhe darin herrſchen; es muß
aber den ſeelenvollen Ausdruck der Freiheit des Lebens dar¬
ſtellen. Erinnern wir uns einer jener ſchlafenden Nymphen,
wie die Alten, wie Tizian, wie Netſcher, Rubens, ſie ge¬
malt haben, ſo iſt der Schlaf kein Tod; auch in der ſchlafen¬
den ſpannt die Fülle des Lebens die weiche Haut, hebt und
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[298/0320] wicklung intereſſelos, langweilig. Das Langweilige iſt häßlich oder vielmehr die Häßlichkeit des Todten, Leeren, Tauto¬ logiſchen erzeugt in uns das Gefühl der Langenweile. Das Schöne läßt uns die Zeit vergeſſen, weil es als ein Ewiges, ſich ſelbſt Genügendes, uns auch in die Ewigkeit verſetzt und uns mit Seligkeit erfüllt. Wird nun die Leerheit einer Anſchauung ſo groß, daß wir auf die Zeit als Zeit merken, ſo empfinden wir die Inhaltloſigkeit der reinen Zeit und dies Gefühl iſt die Langeweile. Dieſe an ſich iſt daher keines¬ wegs komiſch, aber der Wendepunct ins Komiſche, wenn nämlich das Tautologiſche und Langweilige als Selbſtpa¬ rodie oder als Ironie producirt wird und eine ganze ſchreck¬ liche Ballade nur in dieſen Verſen beſteht: Eduard und Kunigunde, Kunigunde, Eduard; Eduard und Kunigunde, Kunigunde, Eduard! III. Das Scheußliche. Vereint das Schöne die Lieblichkeit der zierlichen Ge¬ ſtalt mit dem graziöſen Spiel der Bewegung, ſo wird es reizend. Es iſt nicht nothwendig, daß dies Spiel ein agi¬ tirtes ſei; es kann die größte Ruhe darin herrſchen; es muß aber den ſeelenvollen Ausdruck der Freiheit des Lebens dar¬ ſtellen. Erinnern wir uns einer jener ſchlafenden Nymphen, wie die Alten, wie Tizian, wie Netſcher, Rubens, ſie ge¬ malt haben, ſo iſt der Schlaf kein Tod; auch in der ſchlafen¬ den ſpannt die Fülle des Lebens die weiche Haut, hebt und ſenkt den Buſen, ebbt und fluthet durch den leiſe geöffneten

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/320>, abgerufen am 24.04.2024.