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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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eukhairos, rechtfertigt sich selbst. Denken wir uns aber
einen großen Inhalt nicht blos nach einzelnen Seiten der
Ausführung verkleinlicht, sondern denken wir ihn uns von
vorn herein zu klein gefaßt, so wird er nothwendig ebenfalls
zu einer häßlichen Erscheinung. Die Kleinheit der Formen,
in denen er sich darstellt, widerspricht alsdann der Größe
seines Wesens. Soll z. B. eine Kirche gebauet werden, so
sollte ein solcher Bau den großen Zweck, dem er gewidmet
ist, unzweideutig aussprechen. Er sollte die Einheit einer
Volksgemeinde ausdrücken und daher in seinen Mauern,
Thüren, Fenstern uns sofort die Anschauung geben, daß er
schlechthin über das Privatleben hinausgehe. Erblicken wir
statt dessen ein charakterloses Gebäude, das ein Pferdestall,
ein Gartenhaus, eine Ressource sein könnte, so ist das, der
im Begriff eines Tempels liegenden Erhabenheit gegenüber,
kleinlich und deshalb gemein. Eine Kirche kann natürlich
auch klein sein; eine Capelle ist ja nur eine kleine Kirche;
allein ihr Styl muß edel sein und die Größe ihrer Bestim¬
mung in seiner Totalität ausdrücken. Unsere Zeit nennt solche
Kirchen, die auch Fabrikgebäude, Bahnhofgebäude u. s. w.
sein könnten, Polkakirchen.

Daß das Kleinliche als Parodie der Größe, namentlich
auch der falschen Größe, komisch gewendet werden könne,
liegt auf der Hand, weil es durch seine Uebertreibung sich
dann selbst vernichtet. So hat Gutzkow in seinem Blase¬
dow
den Alten vortrefflich geschildert, wie die Vorstellung
von zehn Thalern, die ihm fehlen, sein ganzes Bewußtsein
erfüllt und Alles ihn an die zehn Thaler erinnert, bis sie
von seiner Phantasie zu einem Ungeheuer aufgeschwellt sind.
Das Flöhchen in Rückerts Gedicht mußte uns als ein
kleinlicher Gegenstand erscheinen; dasselbe Thierchen als Gegen¬

ἑυχαιρῶς, rechtfertigt ſich ſelbſt. Denken wir uns aber
einen großen Inhalt nicht blos nach einzelnen Seiten der
Ausführung verkleinlicht, ſondern denken wir ihn uns von
vorn herein zu klein gefaßt, ſo wird er nothwendig ebenfalls
zu einer häßlichen Erſcheinung. Die Kleinheit der Formen,
in denen er ſich darſtellt, widerſpricht alsdann der Größe
ſeines Weſens. Soll z. B. eine Kirche gebauet werden, ſo
ſollte ein ſolcher Bau den großen Zweck, dem er gewidmet
iſt, unzweideutig ausſprechen. Er ſollte die Einheit einer
Volksgemeinde ausdrücken und daher in ſeinen Mauern,
Thüren, Fenſtern uns ſofort die Anſchauung geben, daß er
ſchlechthin über das Privatleben hinausgehe. Erblicken wir
ſtatt deſſen ein charakterloſes Gebäude, das ein Pferdeſtall,
ein Gartenhaus, eine Reſſourçe ſein könnte, ſo iſt das, der
im Begriff eines Tempels liegenden Erhabenheit gegenüber,
kleinlich und deshalb gemein. Eine Kirche kann natürlich
auch klein ſein; eine Capelle iſt ja nur eine kleine Kirche;
allein ihr Styl muß edel ſein und die Größe ihrer Beſtim¬
mung in ſeiner Totalität ausdrücken. Unſere Zeit nennt ſolche
Kirchen, die auch Fabrikgebäude, Bahnhofgebäude u. ſ. w.
ſein könnten, Polkakirchen.

Daß das Kleinliche als Parodie der Größe, namentlich
auch der falſchen Größe, komiſch gewendet werden könne,
liegt auf der Hand, weil es durch ſeine Uebertreibung ſich
dann ſelbſt vernichtet. So hat Gutzkow in ſeinem Blaſe¬
dow
den Alten vortrefflich geſchildert, wie die Vorſtellung
von zehn Thalern, die ihm fehlen, ſein ganzes Bewußtſein
erfüllt und Alles ihn an die zehn Thaler erinnert, bis ſie
von ſeiner Phantaſie zu einem Ungeheuer aufgeſchwellt ſind.
Das Flöhchen in Rückerts Gedicht mußte uns als ein
kleinlicher Gegenſtand erſcheinen; daſſelbe Thierchen als Gegen¬

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[185/0207] ἑυχαιρῶς, rechtfertigt ſich ſelbſt. Denken wir uns aber einen großen Inhalt nicht blos nach einzelnen Seiten der Ausführung verkleinlicht, ſondern denken wir ihn uns von vorn herein zu klein gefaßt, ſo wird er nothwendig ebenfalls zu einer häßlichen Erſcheinung. Die Kleinheit der Formen, in denen er ſich darſtellt, widerſpricht alsdann der Größe ſeines Weſens. Soll z. B. eine Kirche gebauet werden, ſo ſollte ein ſolcher Bau den großen Zweck, dem er gewidmet iſt, unzweideutig ausſprechen. Er ſollte die Einheit einer Volksgemeinde ausdrücken und daher in ſeinen Mauern, Thüren, Fenſtern uns ſofort die Anſchauung geben, daß er ſchlechthin über das Privatleben hinausgehe. Erblicken wir ſtatt deſſen ein charakterloſes Gebäude, das ein Pferdeſtall, ein Gartenhaus, eine Reſſourçe ſein könnte, ſo iſt das, der im Begriff eines Tempels liegenden Erhabenheit gegenüber, kleinlich und deshalb gemein. Eine Kirche kann natürlich auch klein ſein; eine Capelle iſt ja nur eine kleine Kirche; allein ihr Styl muß edel ſein und die Größe ihrer Beſtim¬ mung in ſeiner Totalität ausdrücken. Unſere Zeit nennt ſolche Kirchen, die auch Fabrikgebäude, Bahnhofgebäude u. ſ. w. ſein könnten, Polkakirchen. Daß das Kleinliche als Parodie der Größe, namentlich auch der falſchen Größe, komiſch gewendet werden könne, liegt auf der Hand, weil es durch ſeine Uebertreibung ſich dann ſelbſt vernichtet. So hat Gutzkow in ſeinem Blaſe¬ dow den Alten vortrefflich geſchildert, wie die Vorſtellung von zehn Thalern, die ihm fehlen, ſein ganzes Bewußtſein erfüllt und Alles ihn an die zehn Thaler erinnert, bis ſie von ſeiner Phantaſie zu einem Ungeheuer aufgeſchwellt ſind. Das Flöhchen in Rückerts Gedicht mußte uns als ein kleinlicher Gegenſtand erſcheinen; daſſelbe Thierchen als Gegen¬

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/207>, abgerufen am 24.04.2024.