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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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mit dem Scherze, weil im Spiel sich die Herrschaft über
etwas zeigt. Ein quecksilbern beweglicher, stolpernder und
polternder Fürst, der nicht Meister seiner Affecte bleibt, und
in seinem Benehmen verräth, daß er über alle den gemeinen
Menschen beunruhigende Störung nicht hinaus ist, steht auf
dem Sprunge, lächerlich zu werden.

Im Gegensatz zum reflexionslosen, sich selbst genügenden
Handeln der Majestät charakterisirt sich die Gemeinheit durch
Zufälligkeit und Willkür. Der Zufall an sich ist so wenig
gemein, als die Willkür. Sie als solche sind daher auch
noch nicht häßlich; sie werden es erst, wenn sie sich an die
Stelle der Nothwendigkeit und der Freiheit setzen. Die
Schönheit hat nicht den Zwang, wohl aber die Nothwendig¬
keit, nicht die Gesetzlosigkeit, aber die Freiheit, zum Inhalt.
Die Nothwendigkeit der Freiheit ist ihre Seele und Zufall
sowohl als Willkür kann sie daher nur tragisch oder komisch
wenden. Wird die Nothwendigkeit im Zusammenhang der
Erscheinung der Freiheit zu einer Grille, so wird das Schick¬
sal zufällig und willkürlich, während es als die sich objectiv
von selbst ergebende Grenze für die Ausschweifungen des Zu¬
falls und der Willkür majestätisch wirkt. Der sogenannte
Zufall ist für die tragische Entwicklung nur die Form, in
welche die absolute Nothwendigkeit sich selbst verhüllt. Das
Schicksal soll nicht blos eine Grenze überhaupt, sondern die¬
jenige ausdrücken, die wir als eine durch das Wesen der
Freiheit nothwendige anerkennen, in welcher Hinsicht die
Collisionen auch der antiken fatalistischen Tragödie sittlicher
Natur sind, wenn auch das Fehlen von ihr noch nicht als
ethischer Widerspruch genommen wird, sondern als ein moralisch
ungewolltes Thun, dessen Begründung sogar in den Schooß
der Götter hinabreicht. Die Schuld aber, die in unserm

mit dem Scherze, weil im Spiel ſich die Herrſchaft über
etwas zeigt. Ein queckſilbern beweglicher, ſtolpernder und
polternder Fürſt, der nicht Meiſter ſeiner Affecte bleibt, und
in ſeinem Benehmen verräth, daß er über alle den gemeinen
Menſchen beunruhigende Störung nicht hinaus iſt, ſteht auf
dem Sprunge, lächerlich zu werden.

Im Gegenſatz zum reflexionsloſen, ſich ſelbſt genügenden
Handeln der Majeſtät charakteriſirt ſich die Gemeinheit durch
Zufälligkeit und Willkür. Der Zufall an ſich iſt ſo wenig
gemein, als die Willkür. Sie als ſolche ſind daher auch
noch nicht häßlich; ſie werden es erſt, wenn ſie ſich an die
Stelle der Nothwendigkeit und der Freiheit ſetzen. Die
Schönheit hat nicht den Zwang, wohl aber die Nothwendig¬
keit, nicht die Geſetzloſigkeit, aber die Freiheit, zum Inhalt.
Die Nothwendigkeit der Freiheit iſt ihre Seele und Zufall
ſowohl als Willkür kann ſie daher nur tragiſch oder komiſch
wenden. Wird die Nothwendigkeit im Zuſammenhang der
Erſcheinung der Freiheit zu einer Grille, ſo wird das Schick¬
ſal zufällig und willkürlich, während es als die ſich objectiv
von ſelbſt ergebende Grenze für die Ausſchweifungen des Zu¬
falls und der Willkür majeſtätiſch wirkt. Der ſogenannte
Zufall iſt für die tragiſche Entwicklung nur die Form, in
welche die abſolute Nothwendigkeit ſich ſelbſt verhüllt. Das
Schickſal ſoll nicht blos eine Grenze überhaupt, ſondern die¬
jenige ausdrücken, die wir als eine durch das Weſen der
Freiheit nothwendige anerkennen, in welcher Hinſicht die
Colliſionen auch der antiken fataliſtiſchen Tragödie ſittlicher
Natur ſind, wenn auch das Fehlen von ihr noch nicht als
ethiſcher Widerſpruch genommen wird, ſondern als ein moraliſch
ungewolltes Thun, deſſen Begründung ſogar in den Schooß
der Götter hinabreicht. Die Schuld aber, die in unſerm

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[216/0238] mit dem Scherze, weil im Spiel ſich die Herrſchaft über etwas zeigt. Ein queckſilbern beweglicher, ſtolpernder und polternder Fürſt, der nicht Meiſter ſeiner Affecte bleibt, und in ſeinem Benehmen verräth, daß er über alle den gemeinen Menſchen beunruhigende Störung nicht hinaus iſt, ſteht auf dem Sprunge, lächerlich zu werden. Im Gegenſatz zum reflexionsloſen, ſich ſelbſt genügenden Handeln der Majeſtät charakteriſirt ſich die Gemeinheit durch Zufälligkeit und Willkür. Der Zufall an ſich iſt ſo wenig gemein, als die Willkür. Sie als ſolche ſind daher auch noch nicht häßlich; ſie werden es erſt, wenn ſie ſich an die Stelle der Nothwendigkeit und der Freiheit ſetzen. Die Schönheit hat nicht den Zwang, wohl aber die Nothwendig¬ keit, nicht die Geſetzloſigkeit, aber die Freiheit, zum Inhalt. Die Nothwendigkeit der Freiheit iſt ihre Seele und Zufall ſowohl als Willkür kann ſie daher nur tragiſch oder komiſch wenden. Wird die Nothwendigkeit im Zuſammenhang der Erſcheinung der Freiheit zu einer Grille, ſo wird das Schick¬ ſal zufällig und willkürlich, während es als die ſich objectiv von ſelbſt ergebende Grenze für die Ausſchweifungen des Zu¬ falls und der Willkür majeſtätiſch wirkt. Der ſogenannte Zufall iſt für die tragiſche Entwicklung nur die Form, in welche die abſolute Nothwendigkeit ſich ſelbſt verhüllt. Das Schickſal ſoll nicht blos eine Grenze überhaupt, ſondern die¬ jenige ausdrücken, die wir als eine durch das Weſen der Freiheit nothwendige anerkennen, in welcher Hinſicht die Colliſionen auch der antiken fataliſtiſchen Tragödie ſittlicher Natur ſind, wenn auch das Fehlen von ihr noch nicht als ethiſcher Widerſpruch genommen wird, ſondern als ein moraliſch ungewolltes Thun, deſſen Begründung ſogar in den Schooß der Götter hinabreicht. Die Schuld aber, die in unſerm

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/238>, abgerufen am 24.04.2024.