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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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und Leere der Gegensatz als Ausdruck für den Mangel an
Leben und freier Bewegung.

Das Todte als solches ist noch keineswegs ohne Wei¬
teres häßlich; ja der Tod kann bei dem Menschen sogar
eine Verschönung der Züge zur Folge haben. Aus den
Furchen des Leidens, aus den Narben des Kampfes lächeln
uns die kindlichen Züge des Urgesichts des Gestorbenen noch
einmal an. Auch das Sterben ist, obzwar der Uebergang
zum Tode, an sich nicht nothwendig häßlich. Lessing in
der Abhandlung: wie die Alten den Tod gebildet; sagt ganz
richtig: "Todt sein hat nichts Schreckliches; und insofern
Sterben nichts als der Schritt zum Todtsein ist, kann auch
das Sterben nichts Schreckliches haben. Nur so und so
sterben, eben jetzt, in dieser Verfassung, nach dieses oder
jenes Willen, mit Schimpf und Marter sterben, kann
schrecklich werden und wird schrecklich. Aber ist es sodann
das Sterben, ist es der Tod, welcher das Schrecken ver¬
ursachte? Nichts weniger; der Tod ist von allen diesen
Schrecken das erwünschte Ende, und es ist nur der Armuth
der Sprache zuzurechnen, wenn sie beide diese Zustände, den
Zustand, welcher unvermeidlich in den Tod führt, und den
Zustand des Todes selbst, mit einem und eben demselben
Wort benennt." Die Griechen, wie Lessing weiter aus¬
einandersetzt, unterschieden die traurige Nothwendigkeit,
sterben zu müssen, als Kere, vom Tode selber. Jene bildeten
sie als ein grauenvolles Weib mit gefräßigen Zähnen und
krallenbewehrten Händen, diesen als einen anmuthigen Ge¬
nius, der die gesenkte Fackel verlöscht, als den Bruder des
Schlafes. Sie haben aber auch in dem abgehauenen Haupt
der Medusa, der sinnenden, den entseelenden Blick des Todes
dargestellt. Aus dem Haupt der sterbenden entsprang noch

und Leere der Gegenſatz als Ausdruck für den Mangel an
Leben und freier Bewegung.

Das Todte als ſolches iſt noch keineswegs ohne Wei¬
teres häßlich; ja der Tod kann bei dem Menſchen ſogar
eine Verſchönung der Züge zur Folge haben. Aus den
Furchen des Leidens, aus den Narben des Kampfes lächeln
uns die kindlichen Züge des Urgeſichts des Geſtorbenen noch
einmal an. Auch das Sterben iſt, obzwar der Uebergang
zum Tode, an ſich nicht nothwendig häßlich. Leſſing in
der Abhandlung: wie die Alten den Tod gebildet; ſagt ganz
richtig: „Todt ſein hat nichts Schreckliches; und inſofern
Sterben nichts als der Schritt zum Todtſein iſt, kann auch
das Sterben nichts Schreckliches haben. Nur ſo und ſo
ſterben, eben jetzt, in dieſer Verfaſſung, nach dieſes oder
jenes Willen, mit Schimpf und Marter ſterben, kann
ſchrecklich werden und wird ſchrecklich. Aber iſt es ſodann
das Sterben, iſt es der Tod, welcher das Schrecken ver¬
urſachte? Nichts weniger; der Tod iſt von allen dieſen
Schrecken das erwünſchte Ende, und es iſt nur der Armuth
der Sprache zuzurechnen, wenn ſie beide dieſe Zuſtände, den
Zuſtand, welcher unvermeidlich in den Tod führt, und den
Zuſtand des Todes ſelbſt, mit einem und eben demſelben
Wort benennt.“ Die Griechen, wie Leſſing weiter aus¬
einanderſetzt, unterſchieden die traurige Nothwendigkeit,
ſterben zu müſſen, als Kere, vom Tode ſelber. Jene bildeten
ſie als ein grauenvolles Weib mit gefräßigen Zähnen und
krallenbewehrten Händen, dieſen als einen anmuthigen Ge¬
nius, der die geſenkte Fackel verlöſcht, als den Bruder des
Schlafes. Sie haben aber auch in dem abgehauenen Haupt
der Meduſa, der ſinnenden, den entſeelenden Blick des Todes
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[290/0312] und Leere der Gegenſatz als Ausdruck für den Mangel an Leben und freier Bewegung. Das Todte als ſolches iſt noch keineswegs ohne Wei¬ teres häßlich; ja der Tod kann bei dem Menſchen ſogar eine Verſchönung der Züge zur Folge haben. Aus den Furchen des Leidens, aus den Narben des Kampfes lächeln uns die kindlichen Züge des Urgeſichts des Geſtorbenen noch einmal an. Auch das Sterben iſt, obzwar der Uebergang zum Tode, an ſich nicht nothwendig häßlich. Leſſing in der Abhandlung: wie die Alten den Tod gebildet; ſagt ganz richtig: „Todt ſein hat nichts Schreckliches; und inſofern Sterben nichts als der Schritt zum Todtſein iſt, kann auch das Sterben nichts Schreckliches haben. Nur ſo und ſo ſterben, eben jetzt, in dieſer Verfaſſung, nach dieſes oder jenes Willen, mit Schimpf und Marter ſterben, kann ſchrecklich werden und wird ſchrecklich. Aber iſt es ſodann das Sterben, iſt es der Tod, welcher das Schrecken ver¬ urſachte? Nichts weniger; der Tod iſt von allen dieſen Schrecken das erwünſchte Ende, und es iſt nur der Armuth der Sprache zuzurechnen, wenn ſie beide dieſe Zuſtände, den Zuſtand, welcher unvermeidlich in den Tod führt, und den Zuſtand des Todes ſelbſt, mit einem und eben demſelben Wort benennt.“ Die Griechen, wie Leſſing weiter aus¬ einanderſetzt, unterſchieden die traurige Nothwendigkeit, ſterben zu müſſen, als Kere, vom Tode ſelber. Jene bildeten ſie als ein grauenvolles Weib mit gefräßigen Zähnen und krallenbewehrten Händen, dieſen als einen anmuthigen Ge¬ nius, der die geſenkte Fackel verlöſcht, als den Bruder des Schlafes. Sie haben aber auch in dem abgehauenen Haupt der Meduſa, der ſinnenden, den entſeelenden Blick des Todes dargeſtellt. Aus dem Haupt der ſterbenden entſprang noch

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/312>, abgerufen am 29.03.2024.