Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

menhanglosigkeit beleidigt. Das Abgeschmackte, Absurde,
Ungereimte, Widersinnige, Alberne, Insipide, Verrückte,
Tolle, oder wie wir es sonst noch benamsen mögen, ist die
ideelle Seite des Scheußlichen, die theoretische, abstracte
Grundlage der in ihm vorhandenen ästhetischen Entzweiung.
Nicht der Widerspruch überhaupt ist absurd, denn er kann
ein vernünftig berechtigter sein, wie wir schon bei der Be¬
leuchtung des Begriffs des Contrastes gesehen haben. Das
Gute widerspricht dem Bösen, das Wahre der Lüge, das
Schöne dem Häßlichen mit Recht. Wohl aber ist die soge¬
nannte Contradictio in adjecto ein sich selbst vernichtender
Widerspruch und ein solcher macht den Inhalt des Abge¬
schmackten aus. Die Logik unterscheidet zwischen Widerspruch
und Widerstreit so, daß Widerspruch nur die einfache, un¬
bestimmte Negation eines Prädicates von Seiten des Urthei¬
lenden (antiphatikos antikeimenon), Widerstreit dagegen
die positive Negation eines Prädicates durch das ihm imma¬
nenter Weise entgegengesetzte (enantios antikeimenon) sein
soll. Weder jener Widerspruch, noch dieser Widerstreit sind
absurd, wohl aber derjenige Widerspruch, der durch das
Prädicat das Subject selbst negirt, wie z. B. wenn ich
sagen wollte: das Weiße ist schwarz, oder das Gute ist
böse u. s. w. Allerdings ist nun diese an sich ganz richtige
Bestimmung des Verstandes kein Letztes, denn die Extreme
können in einander übergehen, wie jede Hausfrau unbefangen
von der weißen Wäsche sagt, daß sie schwarz geworden sei;
wie das Recht, an sich ein Gutes, durch abstracte Hart¬
näckigkeit grausam, damit böse wird; wie das Häßliche durch
richtige Behandlung innerhalb einer ästhetischen Totalität die
Bedeutung des Schönen, nicht eines häßlichen Schönen,
wohl aber eines schönen Häßlichen gewinnen kann u. s. w.

menhangloſigkeit beleidigt. Das Abgeſchmackte, Abſurde,
Ungereimte, Widerſinnige, Alberne, Inſipide, Verrückte,
Tolle, oder wie wir es ſonſt noch benamſen mögen, iſt die
ideelle Seite des Scheußlichen, die theoretiſche, abſtracte
Grundlage der in ihm vorhandenen äſthetiſchen Entzweiung.
Nicht der Widerſpruch überhaupt iſt abſurd, denn er kann
ein vernünftig berechtigter ſein, wie wir ſchon bei der Be¬
leuchtung des Begriffs des Contraſtes geſehen haben. Das
Gute widerſpricht dem Böſen, das Wahre der Lüge, das
Schöne dem Häßlichen mit Recht. Wohl aber iſt die ſoge¬
nannte Contradictio in adjecto ein ſich ſelbſt vernichtender
Widerſpruch und ein ſolcher macht den Inhalt des Abge¬
ſchmackten aus. Die Logik unterſcheidet zwiſchen Widerſpruch
und Widerſtreit ſo, daß Widerſpruch nur die einfache, un¬
beſtimmte Negation eines Prädicates von Seiten des Urthei¬
lenden (ἀντιφατιϰως ἀντιϰειμενον), Widerſtreit dagegen
die poſitive Negation eines Prädicates durch das ihm imma¬
nenter Weiſe entgegengeſetzte (ἐναντιως ἀντιϰειμενον) ſein
ſoll. Weder jener Widerſpruch, noch dieſer Widerſtreit ſind
abſurd, wohl aber derjenige Widerſpruch, der durch das
Prädicat das Subject ſelbſt negirt, wie z. B. wenn ich
ſagen wollte: das Weiße iſt ſchwarz, oder das Gute iſt
böſe u. ſ. w. Allerdings iſt nun dieſe an ſich ganz richtige
Beſtimmung des Verſtandes kein Letztes, denn die Extreme
können in einander übergehen, wie jede Hausfrau unbefangen
von der weißen Wäſche ſagt, daß ſie ſchwarz geworden ſei;
wie das Recht, an ſich ein Gutes, durch abſtracte Hart¬
näckigkeit grauſam, damit böſe wird; wie das Häßliche durch
richtige Behandlung innerhalb einer äſthetiſchen Totalität die
Bedeutung des Schönen, nicht eines häßlichen Schönen,
wohl aber eines ſchönen Häßlichen gewinnen kann u. ſ. w.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0323" n="301"/>
menhanglo&#x017F;igkeit beleidigt. Das Abge&#x017F;chmackte, Ab&#x017F;urde,<lb/>
Ungereimte, Wider&#x017F;innige, Alberne, In&#x017F;ipide, Verrückte,<lb/>
Tolle, oder wie wir es &#x017F;on&#x017F;t noch benam&#x017F;en mögen, i&#x017F;t die<lb/>
ideelle Seite des Scheußlichen, die theoreti&#x017F;che, ab&#x017F;tracte<lb/>
Grundlage der in ihm vorhandenen ä&#x017F;theti&#x017F;chen Entzweiung.<lb/>
Nicht der Wider&#x017F;pruch überhaupt i&#x017F;t ab&#x017F;urd, denn er kann<lb/>
ein vernünftig berechtigter &#x017F;ein, wie wir &#x017F;chon bei der Be¬<lb/>
leuchtung des Begriffs des Contra&#x017F;tes ge&#x017F;ehen haben. Das<lb/>
Gute wider&#x017F;pricht dem Bö&#x017F;en, das Wahre der Lüge, das<lb/>
Schöne dem Häßlichen mit Recht. Wohl aber i&#x017F;t die &#x017F;oge¬<lb/>
nannte <hi rendition="#aq">Contradictio in adjecto</hi> ein &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t vernichtender<lb/>
Wider&#x017F;pruch und ein &#x017F;olcher macht den Inhalt des Abge¬<lb/>
&#x017F;chmackten aus. Die Logik unter&#x017F;cheidet zwi&#x017F;chen Wider&#x017F;pruch<lb/>
und Wider&#x017F;treit &#x017F;o, daß Wider&#x017F;pruch nur die einfache, un¬<lb/>
be&#x017F;timmte Negation eines Prädicates von Seiten des Urthei¬<lb/>
lenden (&#x1F00;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B9;&#x03C6;&#x03B1;&#x03C4;&#x03B9;&#x03F0;&#x03C9;&#x03C2; &#x1F00;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B9;&#x03F0;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BC;&#x03B5;&#x03BD;&#x03BF;&#x03BD;), Wider&#x017F;treit dagegen<lb/>
die po&#x017F;itive Negation eines Prädicates durch das ihm imma¬<lb/>
nenter Wei&#x017F;e entgegenge&#x017F;etzte (&#x1F10;&#x03BD;&#x03B1;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B9;&#x03C9;&#x03C2; &#x1F00;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B9;&#x03F0;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BC;&#x03B5;&#x03BD;&#x03BF;&#x03BD;) &#x017F;ein<lb/>
&#x017F;oll. Weder jener Wider&#x017F;pruch, noch die&#x017F;er Wider&#x017F;treit &#x017F;ind<lb/>
ab&#x017F;urd, wohl aber derjenige Wider&#x017F;pruch, der durch das<lb/>
Prädicat das Subject &#x017F;elb&#x017F;t negirt, wie z. B. wenn ich<lb/>
&#x017F;agen wollte: das Weiße i&#x017F;t &#x017F;chwarz, oder das Gute i&#x017F;t<lb/>&#x017F;e u. &#x017F;. w. Allerdings i&#x017F;t nun die&#x017F;e an &#x017F;ich ganz richtige<lb/>
Be&#x017F;timmung des Ver&#x017F;tandes kein Letztes, denn die Extreme<lb/>
können in einander übergehen, wie jede Hausfrau unbefangen<lb/>
von der weißen Wä&#x017F;che &#x017F;agt, daß &#x017F;ie &#x017F;chwarz geworden &#x017F;ei;<lb/>
wie das Recht, an &#x017F;ich ein Gutes, durch ab&#x017F;tracte Hart¬<lb/>
näckigkeit grau&#x017F;am, damit bö&#x017F;e wird; wie das Häßliche durch<lb/>
richtige Behandlung innerhalb einer ä&#x017F;theti&#x017F;chen Totalität die<lb/>
Bedeutung des Schönen, nicht eines häßlichen Schönen,<lb/>
wohl aber eines &#x017F;chönen Häßlichen gewinnen kann u. &#x017F;. w.<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[301/0323] menhangloſigkeit beleidigt. Das Abgeſchmackte, Abſurde, Ungereimte, Widerſinnige, Alberne, Inſipide, Verrückte, Tolle, oder wie wir es ſonſt noch benamſen mögen, iſt die ideelle Seite des Scheußlichen, die theoretiſche, abſtracte Grundlage der in ihm vorhandenen äſthetiſchen Entzweiung. Nicht der Widerſpruch überhaupt iſt abſurd, denn er kann ein vernünftig berechtigter ſein, wie wir ſchon bei der Be¬ leuchtung des Begriffs des Contraſtes geſehen haben. Das Gute widerſpricht dem Böſen, das Wahre der Lüge, das Schöne dem Häßlichen mit Recht. Wohl aber iſt die ſoge¬ nannte Contradictio in adjecto ein ſich ſelbſt vernichtender Widerſpruch und ein ſolcher macht den Inhalt des Abge¬ ſchmackten aus. Die Logik unterſcheidet zwiſchen Widerſpruch und Widerſtreit ſo, daß Widerſpruch nur die einfache, un¬ beſtimmte Negation eines Prädicates von Seiten des Urthei¬ lenden (ἀντιφατιϰως ἀντιϰειμενον), Widerſtreit dagegen die poſitive Negation eines Prädicates durch das ihm imma¬ nenter Weiſe entgegengeſetzte (ἐναντιως ἀντιϰειμενον) ſein ſoll. Weder jener Widerſpruch, noch dieſer Widerſtreit ſind abſurd, wohl aber derjenige Widerſpruch, der durch das Prädicat das Subject ſelbſt negirt, wie z. B. wenn ich ſagen wollte: das Weiße iſt ſchwarz, oder das Gute iſt böſe u. ſ. w. Allerdings iſt nun dieſe an ſich ganz richtige Beſtimmung des Verſtandes kein Letztes, denn die Extreme können in einander übergehen, wie jede Hausfrau unbefangen von der weißen Wäſche ſagt, daß ſie ſchwarz geworden ſei; wie das Recht, an ſich ein Gutes, durch abſtracte Hart¬ näckigkeit grauſam, damit böſe wird; wie das Häßliche durch richtige Behandlung innerhalb einer äſthetiſchen Totalität die Bedeutung des Schönen, nicht eines häßlichen Schönen, wohl aber eines ſchönen Häßlichen gewinnen kann u. ſ. w.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/323
Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/323>, abgerufen am 19.04.2024.