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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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zeichen und Gedankenstrichen so armselig ist, daß man nicht
einmal darüber lachen kann, sondern die beklemmende Nähe
des Blödsinns wittert.

Wir könnten sagen, daß die Tragik es mit der Ent¬
zweiung der Vernunft, die Komik es mit den Widersprüchen
des Verstandes zu thun habe. Diese kann daher vom Ab¬
geschmackten einen positiven, sehr glücklichen Gebrauch machen.
Ihr kann das Alberne, Tolle, Verrückte, Widersinnige nicht
absurd genug sein, wie Calderon in solch lustiger Ueber¬
schwänglichkeit des Närrischen sein Drama: Zelos aun del
ayre matan
in seiner Burleske: Cefalo y Procris, selbst tra¬
vestirt hat. Das blos Absurde ist aber wahrlich noch nicht
lächerlich; dies wird es erst dadurch, daß es sich in bestimmten
Beziehungen als ein in sich unmögliches, das doch scheinbar
wirklich ist, selbst aufhebt. Der Wahnsinn kann an sich
oft erhaben sein, wie der eines Don Quixote, jedoch in
seiner Ausgestaltung komisch werden; die Narrheit aber kann
auch an sich als Faselei, Zerstreutheit, aberwitzige Einbildung
höchst komisch sein. Die Narren sind privilegirte Lieblinge
der Komik; der Uebermuth der Intelligenz kann auch mit
dem Absurden spielen. Hieher gehören auch jene Verkettungen
des Heterogenen, die im Altdeutschen Lugenmaerchen, Wun¬
dermaerchen, heut zu Tage: blühender Unsinn, im Franzö¬
sischen coq a l'ane genannt werden. Hierher gehören die
Krähwinkliaden, die Judenwitze, die Albernheiten des Hans¬
wurstes, namentlich die, welche er als Turlupin mit dem
Wunderdoctor producirte. Auf den Pariser Jahrmärkten
spielte dieser eine Hauptrolle (67). In einem alten coq a l'ane
wird diese Art des Abgeschmackten als der beständigen contra¬
dictio in adjecto
ein quasi radotiren genannt (O. L. B. Wolf,
Altfranzösische Volkslieder, Leipzig, 1831, p. 118):

zeichen und Gedankenſtrichen ſo armſelig iſt, daß man nicht
einmal darüber lachen kann, ſondern die beklemmende Nähe
des Blödſinns wittert.

Wir könnten ſagen, daß die Tragik es mit der Ent¬
zweiung der Vernunft, die Komik es mit den Widerſprüchen
des Verſtandes zu thun habe. Dieſe kann daher vom Ab¬
geſchmackten einen poſitiven, ſehr glücklichen Gebrauch machen.
Ihr kann das Alberne, Tolle, Verrückte, Widerſinnige nicht
abſurd genug ſein, wie Calderon in ſolch luſtiger Ueber¬
ſchwänglichkeit des Närriſchen ſein Drama: Zelos aun del
ayre matan
in ſeiner Burleske: Cefalo y Procris, ſelbſt tra¬
veſtirt hat. Das blos Abſurde iſt aber wahrlich noch nicht
lächerlich; dies wird es erſt dadurch, daß es ſich in beſtimmten
Beziehungen als ein in ſich unmögliches, das doch ſcheinbar
wirklich iſt, ſelbſt aufhebt. Der Wahnſinn kann an ſich
oft erhaben ſein, wie der eines Don Quixote, jedoch in
ſeiner Ausgeſtaltung komiſch werden; die Narrheit aber kann
auch an ſich als Faſelei, Zerſtreutheit, aberwitzige Einbildung
höchſt komiſch ſein. Die Narren ſind privilegirte Lieblinge
der Komik; der Uebermuth der Intelligenz kann auch mit
dem Abſurden ſpielen. Hieher gehören auch jene Verkettungen
des Heterogenen, die im Altdeutſchen Lugenmaerchen, Wun¬
dermaerchen, heut zu Tage: blühender Unſinn, im Franzö¬
ſiſchen coq à l'âne genannt werden. Hierher gehören die
Krähwinkliaden, die Judenwitze, die Albernheiten des Hans¬
wurſtes, namentlich die, welche er als Turlupin mit dem
Wunderdoctor producirte. Auf den Pariſer Jahrmärkten
ſpielte dieſer eine Hauptrolle (67). In einem alten coq â l'âne
wird dieſe Art des Abgeſchmackten als der beſtändigen contra¬
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Altfranzösische Volkslieder, Leipzig, 1831, p. 118):

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[310/0332] zeichen und Gedankenſtrichen ſo armſelig iſt, daß man nicht einmal darüber lachen kann, ſondern die beklemmende Nähe des Blödſinns wittert. Wir könnten ſagen, daß die Tragik es mit der Ent¬ zweiung der Vernunft, die Komik es mit den Widerſprüchen des Verſtandes zu thun habe. Dieſe kann daher vom Ab¬ geſchmackten einen poſitiven, ſehr glücklichen Gebrauch machen. Ihr kann das Alberne, Tolle, Verrückte, Widerſinnige nicht abſurd genug ſein, wie Calderon in ſolch luſtiger Ueber¬ ſchwänglichkeit des Närriſchen ſein Drama: Zelos aun del ayre matan in ſeiner Burleske: Cefalo y Procris, ſelbſt tra¬ veſtirt hat. Das blos Abſurde iſt aber wahrlich noch nicht lächerlich; dies wird es erſt dadurch, daß es ſich in beſtimmten Beziehungen als ein in ſich unmögliches, das doch ſcheinbar wirklich iſt, ſelbſt aufhebt. Der Wahnſinn kann an ſich oft erhaben ſein, wie der eines Don Quixote, jedoch in ſeiner Ausgeſtaltung komiſch werden; die Narrheit aber kann auch an ſich als Faſelei, Zerſtreutheit, aberwitzige Einbildung höchſt komiſch ſein. Die Narren ſind privilegirte Lieblinge der Komik; der Uebermuth der Intelligenz kann auch mit dem Abſurden ſpielen. Hieher gehören auch jene Verkettungen des Heterogenen, die im Altdeutſchen Lugenmaerchen, Wun¬ dermaerchen, heut zu Tage: blühender Unſinn, im Franzö¬ ſiſchen coq à l'âne genannt werden. Hierher gehören die Krähwinkliaden, die Judenwitze, die Albernheiten des Hans¬ wurſtes, namentlich die, welche er als Turlupin mit dem Wunderdoctor producirte. Auf den Pariſer Jahrmärkten ſpielte dieſer eine Hauptrolle (67). In einem alten coq â l'âne wird dieſe Art des Abgeſchmackten als der beſtändigen contra¬ dictio in adjecto ein quasi radotiren genannt (O. L. B. Wolf, Altfranzösische Volkslieder, Leipzig, 1831, p. 118):

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/332>, abgerufen am 29.03.2024.