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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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und Gemeinen ekelhaft, weil alles das uns Ekel einflößt,
was durch die Auflösung der Form unser ästhetisches Gefühl
verletzt. Für den Begriff des Ekelhaften im engern Sinn
aber müssen wir die Bestimmung des Verwesens hinzufügen,
weil dasselbe dasjenige Werden des Todes enthält, das nicht
sowohl ein Welken und Sterben, als vielmehr das Entwerden
des schon Todten
ist. Der Schein des Lebens im an sich
Todten ist das unendlich Widrige im Ekelhaften. Das Ab¬
surde in seiner alogischen Verworrenheit erregt auch Abscheu,
sofern es nicht in's Komische gewendet wird, allein wegen seines
intellectuellen Elementes ist seine Wirkung nicht so heftig,
als die des Ekelhaften, das unsern Sinnen den Genuß eines
für sie feindlichen Daseins zumuthet und das man auch das
sinnlich Absurde nennen könnte. Am Absurden, auch wenn
es ein Scherbenhaufen der Intelligenz, kann man noch ein
Interesse der Kritik nehmen, während das Ekelhafte
unsere Sinne empört und uns schlechthin von sich abstößt.
Das Ekelhafte als ein Product der Natur, Schweiß, Schleim,
Koth, Geschwüre u. dlg., ist ein Todtes, was der Orga¬
nismus von sich ausscheidet und damit der Verwesung über¬
gibt. Auch die unorganische Natur kann relativ ekelhaft
werden, aber nur relativ, nämlich in Analogie oder in
Verbindung mit der organischen. An sich selbst aber läßt sich
der Begriff der Verwesung auf sie nicht anwenden und aus
diesem Grunde kann man Steine, Metalle, Erden, Salze,
Wasser, Wolken, Gase, Farben durchaus nicht ekelhaft nennen.
Nur relativ, in Beziehung auf unsere Geruchs- und Ge¬
schmacksorgane, kann man sie so nennen. Ein Schlamm¬
vulcan, das gerade Gegentheil des majestätischen Schauspiels
eines feuerspeienden Berges, wird für uns widrig, weil das
Ausströmen trüber Effluvien analogisch uns an das Wasser

und Gemeinen ekelhaft, weil alles das uns Ekel einflößt,
was durch die Auflöſung der Form unſer äſthetiſches Gefühl
verletzt. Für den Begriff des Ekelhaften im engern Sinn
aber müſſen wir die Beſtimmung des Verweſens hinzufügen,
weil daſſelbe dasjenige Werden des Todes enthält, das nicht
ſowohl ein Welken und Sterben, als vielmehr das Entwerden
des ſchon Todten
iſt. Der Schein des Lebens im an ſich
Todten iſt das unendlich Widrige im Ekelhaften. Das Ab¬
ſurde in ſeiner alogiſchen Verworrenheit erregt auch Abſcheu,
ſofern es nicht in's Komiſche gewendet wird, allein wegen ſeines
intellectuellen Elementes iſt ſeine Wirkung nicht ſo heftig,
als die des Ekelhaften, das unſern Sinnen den Genuß eines
für ſie feindlichen Daſeins zumuthet und das man auch das
ſinnlich Abſurde nennen könnte. Am Abſurden, auch wenn
es ein Scherbenhaufen der Intelligenz, kann man noch ein
Intereſſe der Kritik nehmen, während das Ekelhafte
unſere Sinne empört und uns ſchlechthin von ſich abſtößt.
Das Ekelhafte als ein Product der Natur, Schweiß, Schleim,
Koth, Geſchwüre u. dlg., iſt ein Todtes, was der Orga¬
nismus von ſich ausſcheidet und damit der Verweſung über¬
gibt. Auch die unorganiſche Natur kann relativ ekelhaft
werden, aber nur relativ, nämlich in Analogie oder in
Verbindung mit der organiſchen. An ſich ſelbſt aber läßt ſich
der Begriff der Verweſung auf ſie nicht anwenden und aus
dieſem Grunde kann man Steine, Metalle, Erden, Salze,
Waſſer, Wolken, Gaſe, Farben durchaus nicht ekelhaft nennen.
Nur relativ, in Beziehung auf unſere Geruchs- und Ge¬
ſchmacksorgane, kann man ſie ſo nennen. Ein Schlamm¬
vulcan, das gerade Gegentheil des majeſtätiſchen Schauſpiels
eines feuerſpeienden Berges, wird für uns widrig, weil das
Ausſtrömen trüber Effluvien analogiſch uns an das Waſſer

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[313/0335] und Gemeinen ekelhaft, weil alles das uns Ekel einflößt, was durch die Auflöſung der Form unſer äſthetiſches Gefühl verletzt. Für den Begriff des Ekelhaften im engern Sinn aber müſſen wir die Beſtimmung des Verweſens hinzufügen, weil daſſelbe dasjenige Werden des Todes enthält, das nicht ſowohl ein Welken und Sterben, als vielmehr das Entwerden des ſchon Todten iſt. Der Schein des Lebens im an ſich Todten iſt das unendlich Widrige im Ekelhaften. Das Ab¬ ſurde in ſeiner alogiſchen Verworrenheit erregt auch Abſcheu, ſofern es nicht in's Komiſche gewendet wird, allein wegen ſeines intellectuellen Elementes iſt ſeine Wirkung nicht ſo heftig, als die des Ekelhaften, das unſern Sinnen den Genuß eines für ſie feindlichen Daſeins zumuthet und das man auch das ſinnlich Abſurde nennen könnte. Am Abſurden, auch wenn es ein Scherbenhaufen der Intelligenz, kann man noch ein Intereſſe der Kritik nehmen, während das Ekelhafte unſere Sinne empört und uns ſchlechthin von ſich abſtößt. Das Ekelhafte als ein Product der Natur, Schweiß, Schleim, Koth, Geſchwüre u. dlg., iſt ein Todtes, was der Orga¬ nismus von ſich ausſcheidet und damit der Verweſung über¬ gibt. Auch die unorganiſche Natur kann relativ ekelhaft werden, aber nur relativ, nämlich in Analogie oder in Verbindung mit der organiſchen. An ſich ſelbſt aber läßt ſich der Begriff der Verweſung auf ſie nicht anwenden und aus dieſem Grunde kann man Steine, Metalle, Erden, Salze, Waſſer, Wolken, Gaſe, Farben durchaus nicht ekelhaft nennen. Nur relativ, in Beziehung auf unſere Geruchs- und Ge¬ ſchmacksorgane, kann man ſie ſo nennen. Ein Schlamm¬ vulcan, das gerade Gegentheil des majeſtätiſchen Schauſpiels eines feuerſpeienden Berges, wird für uns widrig, weil das Ausſtrömen trüber Effluvien analogiſch uns an das Waſſer

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/335>, abgerufen am 25.04.2024.