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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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einem Unnatürlichen in der Natur als seiner Ursache zu
machen haben. Die Nothwendigkeit der Natur, Contraste in
Einem Organismus zu verknüpfen, Säugethiere als Walen
und Robben in's Wasser, als Flughäuter in die Luft zu
werfen, Chelidonen, Saurier und Batrachier für den Auf¬
enthalt im Wasser und auf dem Lande gleichmäßig auszu¬
rüsten, ist eben so klar, als die Nothwendigkeit des Zufalls,
der ein Thier von Außen gewaltsam verkrüppeln oder von
Innen durch Krankheit verbilden kann. Daß die Blutgier
der Carnivoren und das Gift mancher Thiere, mit Einschluß
des Gestankes, den einige zu ihrer Vertheidigung verbreiten,
mit der Schönheit oder Häßlichkeit so wenig im Zusammen¬
hang stehe, als das Gift einiger Pflanzen mit ihrer Form,
braucht noch kaum bemerkt zu werden. Wäre die super¬
naturalistische Hypothese vom Ursprung des Häßlichen durch
das Böse, was die Natur corrumpirt habe, wahr, dann
müßten auch die Giftschlangen und Raubthiere principiell
häßlich sein, was doch so wenig der Fall ist, daß vielmehr
die giftzahnigen Schlangen und die wilden Katzen durch
Schönheit, ja Pracht sich auszeichnen. Das Unnatürliche
aber hat für die Natur eigentlich keinen Sinn, da sie, als
ohne Freiheit des Bewußtseins und des Willens, einer will¬
kürlichen Verletzung eines Gesetzes nicht fähig ist. Für die
Thiere existirt kein Gesetz der Selbstachtung und Pietät, also
auch kein Verbrechen gegen ein solches. Selbstbefleckung,
Blutschande und Kindermord sind Begriffe, die nur der
Geisterwelt angehören und es ist eine falsche Sentimentalität,
sich über Unthaten der Thierwelt zu entsetzen, die als
solcher in ihr gar nicht da sind.

Gewöhnlich denken wir auch nicht an diese Einzelheiten,
wenn von Schönheit und Häßlichkeit der Natur die Rede

einem Unnatürlichen in der Natur als ſeiner Urſache zu
machen haben. Die Nothwendigkeit der Natur, Contraſte in
Einem Organismus zu verknüpfen, Säugethiere als Walen
und Robben in's Waſſer, als Flughäuter in die Luft zu
werfen, Chelidonen, Saurier und Batrachier für den Auf¬
enthalt im Waſſer und auf dem Lande gleichmäßig auszu¬
rüſten, iſt eben ſo klar, als die Nothwendigkeit des Zufalls,
der ein Thier von Außen gewaltſam verkrüppeln oder von
Innen durch Krankheit verbilden kann. Daß die Blutgier
der Carnivoren und das Gift mancher Thiere, mit Einſchluß
des Geſtankes, den einige zu ihrer Vertheidigung verbreiten,
mit der Schönheit oder Häßlichkeit ſo wenig im Zuſammen¬
hang ſtehe, als das Gift einiger Pflanzen mit ihrer Form,
braucht noch kaum bemerkt zu werden. Wäre die ſuper¬
naturaliſtiſche Hypotheſe vom Urſprung des Häßlichen durch
das Böſe, was die Natur corrumpirt habe, wahr, dann
müßten auch die Giftſchlangen und Raubthiere principiell
häßlich ſein, was doch ſo wenig der Fall iſt, daß vielmehr
die giftzahnigen Schlangen und die wilden Katzen durch
Schönheit, ja Pracht ſich auszeichnen. Das Unnatürliche
aber hat für die Natur eigentlich keinen Sinn, da ſie, als
ohne Freiheit des Bewußtſeins und des Willens, einer will¬
kürlichen Verletzung eines Geſetzes nicht fähig iſt. Für die
Thiere exiſtirt kein Geſetz der Selbſtachtung und Pietät, alſo
auch kein Verbrechen gegen ein ſolches. Selbſtbefleckung,
Blutſchande und Kindermord ſind Begriffe, die nur der
Geiſterwelt angehören und es iſt eine falſche Sentimentalität,
ſich über Unthaten der Thierwelt zu entſetzen, die als
ſolcher in ihr gar nicht da ſind.

Gewöhnlich denken wir auch nicht an dieſe Einzelheiten,
wenn von Schönheit und Häßlichkeit der Natur die Rede

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[25/0047] einem Unnatürlichen in der Natur als ſeiner Urſache zu machen haben. Die Nothwendigkeit der Natur, Contraſte in Einem Organismus zu verknüpfen, Säugethiere als Walen und Robben in's Waſſer, als Flughäuter in die Luft zu werfen, Chelidonen, Saurier und Batrachier für den Auf¬ enthalt im Waſſer und auf dem Lande gleichmäßig auszu¬ rüſten, iſt eben ſo klar, als die Nothwendigkeit des Zufalls, der ein Thier von Außen gewaltſam verkrüppeln oder von Innen durch Krankheit verbilden kann. Daß die Blutgier der Carnivoren und das Gift mancher Thiere, mit Einſchluß des Geſtankes, den einige zu ihrer Vertheidigung verbreiten, mit der Schönheit oder Häßlichkeit ſo wenig im Zuſammen¬ hang ſtehe, als das Gift einiger Pflanzen mit ihrer Form, braucht noch kaum bemerkt zu werden. Wäre die ſuper¬ naturaliſtiſche Hypotheſe vom Urſprung des Häßlichen durch das Böſe, was die Natur corrumpirt habe, wahr, dann müßten auch die Giftſchlangen und Raubthiere principiell häßlich ſein, was doch ſo wenig der Fall iſt, daß vielmehr die giftzahnigen Schlangen und die wilden Katzen durch Schönheit, ja Pracht ſich auszeichnen. Das Unnatürliche aber hat für die Natur eigentlich keinen Sinn, da ſie, als ohne Freiheit des Bewußtſeins und des Willens, einer will¬ kürlichen Verletzung eines Geſetzes nicht fähig iſt. Für die Thiere exiſtirt kein Geſetz der Selbſtachtung und Pietät, alſo auch kein Verbrechen gegen ein ſolches. Selbſtbefleckung, Blutſchande und Kindermord ſind Begriffe, die nur der Geiſterwelt angehören und es iſt eine falſche Sentimentalität, ſich über Unthaten der Thierwelt zu entſetzen, die als ſolcher in ihr gar nicht da ſind. Gewöhnlich denken wir auch nicht an dieſe Einzelheiten, wenn von Schönheit und Häßlichkeit der Natur die Rede

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/47>, abgerufen am 29.03.2024.