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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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wir uns nicht gerade häßlich, aber auch nicht in Griechischer
Weise schön vor. Was wir Schönheit der Seele nennen,
ist der Begriff der Güte und Reinheit des Willens; eine
solche kann auch in einem Leibe wohnen, der unansehnlich,
ja häßlich ist. Der Wille an und für sich in dem Ernst
seiner Heiligkeit geht über das ästhetische Element hinaus.
Die Gesinnung mit der Tüchtigkeit ihres Inhaltes fragt
zunächst nicht nach der Form, in welcher sie erscheint. Die
Innigkeit des liebevollen Gemüthes läßt die eckigen Manieren,
die Armseligkeit des Anzugs, die etwaigen Sprachfehler u. dgl.
bei dem Handelnden vergessen. Es ist aber natürlich, daß
die Wahrheit und Güte des Willens eine Würde der per¬
sönlichen Haltung zur Folge hat, die auch äußerlich bis in
die sinnliche Erscheinung durchdringt und insofern gilt vom
Geist der Lichtenbergische Satz, daß alle Tugend verschönt,
alles Laster verhäßlicht.

Diesen an sich richtigen Satz können wir noch allge¬
meiner ausdrücken, indem wir sagen, daß alles Gefühl und
Bewußtsein der Freiheit verschönt und alle Unfreiheit ver¬
häßlicht, Freiheit wollen wir hier nur in dem Sinn der in
sich unendlichen Selbstbestimmung nehmen und dabei von der
Wahrheit ihres Inhaltes abstrahiren. Der Organismus ist
einmal dazu bestimmt, nichts für sich selber zu bedeuten,
sondern als das Werkzeug des Geistes diesen in sich durch¬
scheinen zu lassen. Wir können an den Racen und Ständen
die Wahrheit dieses Begriffs beobachten. Mit der wachsenden
Freiheit wächst auch die Schönheit der Erscheinung. Die
aristokratischen Geschlechter werden schöner, weil sie sich freier
fühlen, weil sie von der Gebundenheit an die Natur eman¬
cipirter sind, weil sie mehr Muße haben und dieselbe durch
Spiel, Liebe, Waffenübung, Poesie ausfüllen. Die Insulaner

wir uns nicht gerade häßlich, aber auch nicht in Griechiſcher
Weiſe ſchön vor. Was wir Schönheit der Seele nennen,
iſt der Begriff der Güte und Reinheit des Willens; eine
ſolche kann auch in einem Leibe wohnen, der unanſehnlich,
ja häßlich iſt. Der Wille an und für ſich in dem Ernſt
ſeiner Heiligkeit geht über das äſthetiſche Element hinaus.
Die Geſinnung mit der Tüchtigkeit ihres Inhaltes fragt
zunächſt nicht nach der Form, in welcher ſie erſcheint. Die
Innigkeit des liebevollen Gemüthes läßt die eckigen Manieren,
die Armſeligkeit des Anzugs, die etwaigen Sprachfehler u. dgl.
bei dem Handelnden vergeſſen. Es iſt aber natürlich, daß
die Wahrheit und Güte des Willens eine Würde der per¬
ſönlichen Haltung zur Folge hat, die auch äußerlich bis in
die ſinnliche Erſcheinung durchdringt und inſofern gilt vom
Geiſt der Lichtenbergiſche Satz, daß alle Tugend verſchönt,
alles Laſter verhäßlicht.

Dieſen an ſich richtigen Satz können wir noch allge¬
meiner ausdrücken, indem wir ſagen, daß alles Gefühl und
Bewußtſein der Freiheit verſchönt und alle Unfreiheit ver¬
häßlicht, Freiheit wollen wir hier nur in dem Sinn der in
ſich unendlichen Selbſtbeſtimmung nehmen und dabei von der
Wahrheit ihres Inhaltes abſtrahiren. Der Organismus iſt
einmal dazu beſtimmt, nichts für ſich ſelber zu bedeuten,
ſondern als das Werkzeug des Geiſtes dieſen in ſich durch¬
ſcheinen zu laſſen. Wir können an den Racen und Ständen
die Wahrheit dieſes Begriffs beobachten. Mit der wachſenden
Freiheit wächſt auch die Schönheit der Erſcheinung. Die
ariſtokratiſchen Geſchlechter werden ſchöner, weil ſie ſich freier
fühlen, weil ſie von der Gebundenheit an die Natur eman¬
cipirter ſind, weil ſie mehr Muße haben und dieſelbe durch
Spiel, Liebe, Waffenübung, Poeſie ausfüllen. Die Inſulaner

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[27/0049] wir uns nicht gerade häßlich, aber auch nicht in Griechiſcher Weiſe ſchön vor. Was wir Schönheit der Seele nennen, iſt der Begriff der Güte und Reinheit des Willens; eine ſolche kann auch in einem Leibe wohnen, der unanſehnlich, ja häßlich iſt. Der Wille an und für ſich in dem Ernſt ſeiner Heiligkeit geht über das äſthetiſche Element hinaus. Die Geſinnung mit der Tüchtigkeit ihres Inhaltes fragt zunächſt nicht nach der Form, in welcher ſie erſcheint. Die Innigkeit des liebevollen Gemüthes läßt die eckigen Manieren, die Armſeligkeit des Anzugs, die etwaigen Sprachfehler u. dgl. bei dem Handelnden vergeſſen. Es iſt aber natürlich, daß die Wahrheit und Güte des Willens eine Würde der per¬ ſönlichen Haltung zur Folge hat, die auch äußerlich bis in die ſinnliche Erſcheinung durchdringt und inſofern gilt vom Geiſt der Lichtenbergiſche Satz, daß alle Tugend verſchönt, alles Laſter verhäßlicht. Dieſen an ſich richtigen Satz können wir noch allge¬ meiner ausdrücken, indem wir ſagen, daß alles Gefühl und Bewußtſein der Freiheit verſchönt und alle Unfreiheit ver¬ häßlicht, Freiheit wollen wir hier nur in dem Sinn der in ſich unendlichen Selbſtbeſtimmung nehmen und dabei von der Wahrheit ihres Inhaltes abſtrahiren. Der Organismus iſt einmal dazu beſtimmt, nichts für ſich ſelber zu bedeuten, ſondern als das Werkzeug des Geiſtes dieſen in ſich durch¬ ſcheinen zu laſſen. Wir können an den Racen und Ständen die Wahrheit dieſes Begriffs beobachten. Mit der wachſenden Freiheit wächſt auch die Schönheit der Erſcheinung. Die ariſtokratiſchen Geſchlechter werden ſchöner, weil ſie ſich freier fühlen, weil ſie von der Gebundenheit an die Natur eman¬ cipirter ſind, weil ſie mehr Muße haben und dieſelbe durch Spiel, Liebe, Waffenübung, Poeſie ausfüllen. Die Inſulaner

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/49>, abgerufen am 29.03.2024.