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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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rührung kommen. Kaliban hat daher, Prospero gegenüber,
sogar ein Urrecht des Besitzes und weiß dies auch. Er ist
also nicht blos ein Ungethüm, sondern er drückt eine weltge¬
schichtliche Idee aus. Aber noch mehr. Als ätherische Com¬
pensation hat ihm Shakespeare den Ariel hinzugefügt,
wodurch uns einerseits das Täppische und Thierische des
gezähmten Ungeheuers schärfer hervortritt, wir andrerseits
aber auch uns über seine plumpe Massenhaftigkeit durch den
Contrast des zierlichen Luftgeistes erhoben fühlen.

Eine besondere Frage könnte hier die Architektur durch
ihre Ruinen veranlassen. Die Zertrümmerung eines Gebäudes
sollte nämlich Häßlichkeit erwarten lassen; allein es wird, ob
dies der Fall, theils von dem Bau, theils von der Art seiner
Zerstörung abhängen. Der schöne Bau nämlich wird auch
als Ruine noch die Größe seines Plans, die Kühnheit seiner
Verhältnisse, den Reichthum und die Zierlichkeit seiner Aus¬
führung zeigen und unsere Phantasie wird unwillkürlich aus
seinen Andeutungen wieder das Ganze herzustellen versuchen.
Der häßliche Bau kann durch die Zertrümmerung gewinnen;
seine Fragmente können phantastisch durcheinander geworfen
werden, abgesehen davon, daß die Zerstörung des Häßlichen
uns eine ästhetische Genugthuung gewährt. Allein es wird
auch darauf ankommen, wie die Ruine beschaffen ist, wie die
Trümmer durcheinandergeschleudert, welche Reste übrig ge¬
blieben sind. Ein winziger Steinhaufen, ein paar kahle
Mauren gewähren noch keinen malerischen Anblick. Die
Trümmer einer Scheune, eines Viehstalls werden selbst in
Mondscheinbeleuchtung uns nicht interessiren; ein Palast
hingegen, ein Kloster, eine Ritterburg werden uns romantisch
erscheinen. Daß die Ruine als schön erscheinen kann, wird
endlich nicht nur durch die urspünglichen Verhältnisse des

rührung kommen. Kaliban hat daher, Prospero gegenüber,
ſogar ein Urrecht des Beſitzes und weiß dies auch. Er iſt
alſo nicht blos ein Ungethüm, ſondern er drückt eine weltge¬
ſchichtliche Idee aus. Aber noch mehr. Als ätheriſche Com¬
penſation hat ihm Shakeſpeare den Ariel hinzugefügt,
wodurch uns einerſeits das Täppiſche und Thieriſche des
gezähmten Ungeheuers ſchärfer hervortritt, wir andrerſeits
aber auch uns über ſeine plumpe Maſſenhaftigkeit durch den
Contraſt des zierlichen Luftgeiſtes erhoben fühlen.

Eine beſondere Frage könnte hier die Architektur durch
ihre Ruinen veranlaſſen. Die Zertrümmerung eines Gebäudes
ſollte nämlich Häßlichkeit erwarten laſſen; allein es wird, ob
dies der Fall, theils von dem Bau, theils von der Art ſeiner
Zerſtörung abhängen. Der ſchöne Bau nämlich wird auch
als Ruine noch die Größe ſeines Plans, die Kühnheit ſeiner
Verhältniſſe, den Reichthum und die Zierlichkeit ſeiner Aus¬
führung zeigen und unſere Phantaſie wird unwillkürlich aus
ſeinen Andeutungen wieder das Ganze herzuſtellen verſuchen.
Der häßliche Bau kann durch die Zertrümmerung gewinnen;
ſeine Fragmente können phantaſtiſch durcheinander geworfen
werden, abgeſehen davon, daß die Zerſtörung des Häßlichen
uns eine äſthetiſche Genugthuung gewährt. Allein es wird
auch darauf ankommen, wie die Ruine beſchaffen iſt, wie die
Trümmer durcheinandergeſchleudert, welche Reſte übrig ge¬
blieben ſind. Ein winziger Steinhaufen, ein paar kahle
Mauren gewähren noch keinen maleriſchen Anblick. Die
Trümmer einer Scheune, eines Viehſtalls werden ſelbſt in
Mondſcheinbeleuchtung uns nicht intereſſiren; ein Palaſt
hingegen, ein Kloſter, eine Ritterburg werden uns romantiſch
erſcheinen. Daß die Ruine als ſchön erſcheinen kann, wird
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[46/0068] rührung kommen. Kaliban hat daher, Prospero gegenüber, ſogar ein Urrecht des Beſitzes und weiß dies auch. Er iſt alſo nicht blos ein Ungethüm, ſondern er drückt eine weltge¬ ſchichtliche Idee aus. Aber noch mehr. Als ätheriſche Com¬ penſation hat ihm Shakeſpeare den Ariel hinzugefügt, wodurch uns einerſeits das Täppiſche und Thieriſche des gezähmten Ungeheuers ſchärfer hervortritt, wir andrerſeits aber auch uns über ſeine plumpe Maſſenhaftigkeit durch den Contraſt des zierlichen Luftgeiſtes erhoben fühlen. Eine beſondere Frage könnte hier die Architektur durch ihre Ruinen veranlaſſen. Die Zertrümmerung eines Gebäudes ſollte nämlich Häßlichkeit erwarten laſſen; allein es wird, ob dies der Fall, theils von dem Bau, theils von der Art ſeiner Zerſtörung abhängen. Der ſchöne Bau nämlich wird auch als Ruine noch die Größe ſeines Plans, die Kühnheit ſeiner Verhältniſſe, den Reichthum und die Zierlichkeit ſeiner Aus¬ führung zeigen und unſere Phantaſie wird unwillkürlich aus ſeinen Andeutungen wieder das Ganze herzuſtellen verſuchen. Der häßliche Bau kann durch die Zertrümmerung gewinnen; ſeine Fragmente können phantaſtiſch durcheinander geworfen werden, abgeſehen davon, daß die Zerſtörung des Häßlichen uns eine äſthetiſche Genugthuung gewährt. Allein es wird auch darauf ankommen, wie die Ruine beſchaffen iſt, wie die Trümmer durcheinandergeſchleudert, welche Reſte übrig ge¬ blieben ſind. Ein winziger Steinhaufen, ein paar kahle Mauren gewähren noch keinen maleriſchen Anblick. Die Trümmer einer Scheune, eines Viehſtalls werden ſelbſt in Mondſcheinbeleuchtung uns nicht intereſſiren; ein Palaſt hingegen, ein Kloſter, eine Ritterburg werden uns romantiſch erſcheinen. Daß die Ruine als ſchön erſcheinen kann, wird endlich nicht nur durch die urſpünglichen Verhältniſſe des

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/68>, abgerufen am 19.04.2024.