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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Wurzel und Wurzeläste.

Zwischen der Wurzel und dem Stamme unserer Waldbäume ist hin-
sichtlich des innern Baues und Gefüges nur ein geringer Unterschied und
bei keinem findet sich eine scharf markirte Stelle, durch welche beide von
einander geschieden wären, von welcher an aufwärts der Stamm und
abwärts die Wurzel beginnt.

Diese innere Uebereinstimmung schließt nicht aus, daß im Ganzen
der äußerlichen Gestalt zwischen Stamm und Wurzel eine sehr große
Verschiedenheit stattfindet. Die vielleicht über 100 Fuß hohe mächtige
Fichte hat eine regellos in Aeste getheilte Wurzel, welche kaum 2 Fuß
tief in den Boden eindringen, sondern sich flach in demselben verbreiten,
so daß man sagen möchte, eine Fichte steht mehr auf einem flachen nur
leicht mit dem Boden verbundenen Fußgestelle, als daß sie tief eingreifend,
tief in dem Boden wurzele. Daher kommt es auch, daß von allen Wal-
dungen reine Fichtenwaldungen am meisten durch Windbruch leiden. Ein
Sturm legt zuweilen ganze Fichtenbestände um, ohne einen Baum zu
zerbrechen; er hebt verhältnißmäßig mit Leichtigkeit das flache seicht lie-
gende Wurzelgeflecht mit sammt dem zwischen den Wurzelästen festgehaltenen
Boden los, so daß jeder geworfene Baum einem umgeworfenen Christ-
bäumchen mit seinem Fußbretchen gleicht. Wird dann das hoch und hohl
liegende Stammende dicht über der Wurzel abgesägt, so fällt der Wurzel-
stock oft so genau von selbst wieder auf seinen alten Platz zurück, daß
man kaum noch sehen kann, was hier vorgegangen ist.

Doch es ist hier nicht der Ort, die Aeußerlichkeit der Baumwurzeln
zu beschreiben; wir versparen dies, so weit es nothwendig ist, auf die
spätere Betrachtung der einzelnen Baumarten, wo wir ja auch den ge-
staltlichen Charakter von Stamm und Krone zu unterscheiden haben werden.

Wenn wir die uns hier nicht beschäftigenden Zwiebeln und Knollen
und einige andere, gewöhnlich, aber fälschlich, Wurzeln genannte Gebilde
unberücksichtigt lassen, so ist die Gestalt der Wurzeln unserer Bäume im
Allgemeinen sehr schlicht und bietet wenig Anlaß zu Unterscheidung ver-
schiedener Wurzelformen.

Dem Ursprunge nach, d. h. nach der Art wie sie aus dem keimenden
Samen hervortritt, besteht auch jede Baumwurzel aus einer Haupt-
oder Pfahlwurzel und aus Neben- oder Adventivwurzeln.

Wurzel und Wurzeläſte.

Zwiſchen der Wurzel und dem Stamme unſerer Waldbäume iſt hin-
ſichtlich des innern Baues und Gefüges nur ein geringer Unterſchied und
bei keinem findet ſich eine ſcharf markirte Stelle, durch welche beide von
einander geſchieden wären, von welcher an aufwärts der Stamm und
abwärts die Wurzel beginnt.

Dieſe innere Uebereinſtimmung ſchließt nicht aus, daß im Ganzen
der äußerlichen Geſtalt zwiſchen Stamm und Wurzel eine ſehr große
Verſchiedenheit ſtattfindet. Die vielleicht über 100 Fuß hohe mächtige
Fichte hat eine regellos in Aeſte getheilte Wurzel, welche kaum 2 Fuß
tief in den Boden eindringen, ſondern ſich flach in demſelben verbreiten,
ſo daß man ſagen möchte, eine Fichte ſteht mehr auf einem flachen nur
leicht mit dem Boden verbundenen Fußgeſtelle, als daß ſie tief eingreifend,
tief in dem Boden wurzele. Daher kommt es auch, daß von allen Wal-
dungen reine Fichtenwaldungen am meiſten durch Windbruch leiden. Ein
Sturm legt zuweilen ganze Fichtenbeſtände um, ohne einen Baum zu
zerbrechen; er hebt verhältnißmäßig mit Leichtigkeit das flache ſeicht lie-
gende Wurzelgeflecht mit ſammt dem zwiſchen den Wurzeläſten feſtgehaltenen
Boden los, ſo daß jeder geworfene Baum einem umgeworfenen Chriſt-
bäumchen mit ſeinem Fußbretchen gleicht. Wird dann das hoch und hohl
liegende Stammende dicht über der Wurzel abgeſägt, ſo fällt der Wurzel-
ſtock oft ſo genau von ſelbſt wieder auf ſeinen alten Platz zurück, daß
man kaum noch ſehen kann, was hier vorgegangen iſt.

Doch es iſt hier nicht der Ort, die Aeußerlichkeit der Baumwurzeln
zu beſchreiben; wir verſparen dies, ſo weit es nothwendig iſt, auf die
ſpätere Betrachtung der einzelnen Baumarten, wo wir ja auch den ge-
ſtaltlichen Charakter von Stamm und Krone zu unterſcheiden haben werden.

Wenn wir die uns hier nicht beſchäftigenden Zwiebeln und Knollen
und einige andere, gewöhnlich, aber fälſchlich, Wurzeln genannte Gebilde
unberückſichtigt laſſen, ſo iſt die Geſtalt der Wurzeln unſerer Bäume im
Allgemeinen ſehr ſchlicht und bietet wenig Anlaß zu Unterſcheidung ver-
ſchiedener Wurzelformen.

Dem Urſprunge nach, d. h. nach der Art wie ſie aus dem keimenden
Samen hervortritt, beſteht auch jede Baumwurzel aus einer Haupt-
oder Pfahlwurzel und aus Neben- oder Adventivwurzeln.

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[119/0143] Wurzel und Wurzeläſte. Zwiſchen der Wurzel und dem Stamme unſerer Waldbäume iſt hin- ſichtlich des innern Baues und Gefüges nur ein geringer Unterſchied und bei keinem findet ſich eine ſcharf markirte Stelle, durch welche beide von einander geſchieden wären, von welcher an aufwärts der Stamm und abwärts die Wurzel beginnt. Dieſe innere Uebereinſtimmung ſchließt nicht aus, daß im Ganzen der äußerlichen Geſtalt zwiſchen Stamm und Wurzel eine ſehr große Verſchiedenheit ſtattfindet. Die vielleicht über 100 Fuß hohe mächtige Fichte hat eine regellos in Aeſte getheilte Wurzel, welche kaum 2 Fuß tief in den Boden eindringen, ſondern ſich flach in demſelben verbreiten, ſo daß man ſagen möchte, eine Fichte ſteht mehr auf einem flachen nur leicht mit dem Boden verbundenen Fußgeſtelle, als daß ſie tief eingreifend, tief in dem Boden wurzele. Daher kommt es auch, daß von allen Wal- dungen reine Fichtenwaldungen am meiſten durch Windbruch leiden. Ein Sturm legt zuweilen ganze Fichtenbeſtände um, ohne einen Baum zu zerbrechen; er hebt verhältnißmäßig mit Leichtigkeit das flache ſeicht lie- gende Wurzelgeflecht mit ſammt dem zwiſchen den Wurzeläſten feſtgehaltenen Boden los, ſo daß jeder geworfene Baum einem umgeworfenen Chriſt- bäumchen mit ſeinem Fußbretchen gleicht. Wird dann das hoch und hohl liegende Stammende dicht über der Wurzel abgeſägt, ſo fällt der Wurzel- ſtock oft ſo genau von ſelbſt wieder auf ſeinen alten Platz zurück, daß man kaum noch ſehen kann, was hier vorgegangen iſt. Doch es iſt hier nicht der Ort, die Aeußerlichkeit der Baumwurzeln zu beſchreiben; wir verſparen dies, ſo weit es nothwendig iſt, auf die ſpätere Betrachtung der einzelnen Baumarten, wo wir ja auch den ge- ſtaltlichen Charakter von Stamm und Krone zu unterſcheiden haben werden. Wenn wir die uns hier nicht beſchäftigenden Zwiebeln und Knollen und einige andere, gewöhnlich, aber fälſchlich, Wurzeln genannte Gebilde unberückſichtigt laſſen, ſo iſt die Geſtalt der Wurzeln unſerer Bäume im Allgemeinen ſehr ſchlicht und bietet wenig Anlaß zu Unterſcheidung ver- ſchiedener Wurzelformen. Dem Urſprunge nach, d. h. nach der Art wie ſie aus dem keimenden Samen hervortritt, beſteht auch jede Baumwurzel aus einer Haupt- oder Pfahlwurzel und aus Neben- oder Adventivwurzeln.

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/143>, abgerufen am 25.04.2024.