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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Wald und Forst.
Hier und da staunen wir noch riesenhafte Eichen und Tannen
an, die ohne alle Pflege gewachsen sind, während wir uns
überzeugt fühlen, daß von uns an jenen Stellen durch keine
Kunst und Pflege ähnliche Bäume erzogen werden können.

Heinrich Cotta (1816).

Auch die Pflanzen haben im Umgang mit einander wie die Menschen
ihre Neigungen und Abneigungen, bald dem Sprichwort gehorsam gleich
und gleich sich gesellend, bald fern von ihres Gleichen die Gesellschaft
des Unverwandten suchend. Dies hat schon seit alter Zeit den Begriff
der geselligen Pflanzen gegründet. Ja als man, namentlich nach
Humboldt's Vorgange, das stille Volk der Pflanzen im Sinne einer Be-
völkerung neben der Thierbevölkerung des Erdenrundes auffaßte, bildete
sich allmälig die Lehre von der geographischen Vertheilung der Gewächse
aus, in welcher die sociale Seite ihre Rolle spielt. Nicht der Zufall oder
die Launen des Windes und der Gewässer -- welche die Samen bald hier
bald dorthin tragen -- bestimmen den Pflanzen ihre Stätte. Es herrscht
hier wie bei der menschlichen Gesellschaft ein Zug mächtiger Kräfte oder
einer sanften Innigkeit, dem die Pflanzen, wie auch oft wir, bewußtlos
folgen, und dabei dennoch, wie wiederum auch wir, in sich selbst die
maßgebenden Gesetze tragen, welche mit den Gesetzen der Außenwelt in
Verknüpfung stehen.

Es möchte scheinen, als übte die Natur Deutschlands und ihm gleich
beschaffener Lagen, welche die goldene Mittelstraße geht, in mehr als einer
Hinsicht den Geselligkeitszug aus; wenigstens zeigt sich dies in der Pflanzen-
welt wie in der menschlichen Gesellschaft. Zu keiner Zeit des Jahres zeigt
unser Klima so herrische Gegensätze, daß wir in einem Kampfe mit den-

Roßmäßler, der Wald. 1
1.
Wald und Forſt.
Hier und da ſtaunen wir noch rieſenhafte Eichen und Tannen
an, die ohne alle Pflege gewachſen ſind, während wir uns
überzeugt fühlen, daß von uns an jenen Stellen durch keine
Kunſt und Pflege ähnliche Bäume erzogen werden können.

Heinrich Cotta (1816).

Auch die Pflanzen haben im Umgang mit einander wie die Menſchen
ihre Neigungen und Abneigungen, bald dem Sprichwort gehorſam gleich
und gleich ſich geſellend, bald fern von ihres Gleichen die Geſellſchaft
des Unverwandten ſuchend. Dies hat ſchon ſeit alter Zeit den Begriff
der geſelligen Pflanzen gegründet. Ja als man, namentlich nach
Humboldt’s Vorgange, das ſtille Volk der Pflanzen im Sinne einer Be-
völkerung neben der Thierbevölkerung des Erdenrundes auffaßte, bildete
ſich allmälig die Lehre von der geographiſchen Vertheilung der Gewächſe
aus, in welcher die ſociale Seite ihre Rolle ſpielt. Nicht der Zufall oder
die Launen des Windes und der Gewäſſer — welche die Samen bald hier
bald dorthin tragen — beſtimmen den Pflanzen ihre Stätte. Es herrſcht
hier wie bei der menſchlichen Geſellſchaft ein Zug mächtiger Kräfte oder
einer ſanften Innigkeit, dem die Pflanzen, wie auch oft wir, bewußtlos
folgen, und dabei dennoch, wie wiederum auch wir, in ſich ſelbſt die
maßgebenden Geſetze tragen, welche mit den Geſetzen der Außenwelt in
Verknüpfung ſtehen.

Es möchte ſcheinen, als übte die Natur Deutſchlands und ihm gleich
beſchaffener Lagen, welche die goldene Mittelſtraße geht, in mehr als einer
Hinſicht den Geſelligkeitszug aus; wenigſtens zeigt ſich dies in der Pflanzen-
welt wie in der menſchlichen Geſellſchaft. Zu keiner Zeit des Jahres zeigt
unſer Klima ſo herriſche Gegenſätze, daß wir in einem Kampfe mit den-

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[[1]/0025] 1. Wald und Forſt. Hier und da ſtaunen wir noch rieſenhafte Eichen und Tannen an, die ohne alle Pflege gewachſen ſind, während wir uns überzeugt fühlen, daß von uns an jenen Stellen durch keine Kunſt und Pflege ähnliche Bäume erzogen werden können. Heinrich Cotta (1816). Auch die Pflanzen haben im Umgang mit einander wie die Menſchen ihre Neigungen und Abneigungen, bald dem Sprichwort gehorſam gleich und gleich ſich geſellend, bald fern von ihres Gleichen die Geſellſchaft des Unverwandten ſuchend. Dies hat ſchon ſeit alter Zeit den Begriff der geſelligen Pflanzen gegründet. Ja als man, namentlich nach Humboldt’s Vorgange, das ſtille Volk der Pflanzen im Sinne einer Be- völkerung neben der Thierbevölkerung des Erdenrundes auffaßte, bildete ſich allmälig die Lehre von der geographiſchen Vertheilung der Gewächſe aus, in welcher die ſociale Seite ihre Rolle ſpielt. Nicht der Zufall oder die Launen des Windes und der Gewäſſer — welche die Samen bald hier bald dorthin tragen — beſtimmen den Pflanzen ihre Stätte. Es herrſcht hier wie bei der menſchlichen Geſellſchaft ein Zug mächtiger Kräfte oder einer ſanften Innigkeit, dem die Pflanzen, wie auch oft wir, bewußtlos folgen, und dabei dennoch, wie wiederum auch wir, in ſich ſelbſt die maßgebenden Geſetze tragen, welche mit den Geſetzen der Außenwelt in Verknüpfung ſtehen. Es möchte ſcheinen, als übte die Natur Deutſchlands und ihm gleich beſchaffener Lagen, welche die goldene Mittelſtraße geht, in mehr als einer Hinſicht den Geſelligkeitszug aus; wenigſtens zeigt ſich dies in der Pflanzen- welt wie in der menſchlichen Geſellſchaft. Zu keiner Zeit des Jahres zeigt unſer Klima ſo herriſche Gegenſätze, daß wir in einem Kampfe mit den- Roßmäßler, der Wald. 1

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/25>, abgerufen am 18.04.2024.